Vergiftete Wahrheit

Originaltitel
Dark Waters
Land
Jahr
2019
Laufzeit
126 min
Regie
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Frank-Michael Helmke / 4. Oktober 2020

Es fängt alles damit an, dass ein aufgebrachter Farmer im Jahr 1998 in das edle Büro des Unternehmensanwalts Rob Bilott (Mark Ruffalo) stürmt und zetert, das irgendwas den Bach auf seinem Land vergiftet, aus dem seine Tiere trinken. Der Farmer hat natürlich recht, denn gleich nebenan in seiner Heimatstadt Parkersburg liegt eine Mülldeponie des Chemie-Riesen Dupont. Doch bis Bilott herausgefunden und juristisch stichfest bewiesen hat, was da eigentlich in alle umliegenden Gewässer sickert und wie viele Menschen deswegen bereits erkrankt sind, vergehen viele niederschmetternde und entbehrungsreiche Jahre, denn der milliardenschwere Konzern wehrt sich mit allen erdenklichen Mitteln dagegen, dass die von ihm über Jahrzehnte vertuschte Sauerei ans Tageslicht kommt und er dafür tatsächlich zur Rechenschaft gezogen wird.

Wenn dieses Schema ein bisschen bekannt vorkommt, dann deswegen, weil „Vergiftete Wahrheit“ letztlich die gleiche, auf wahren Begebenheiten beruhende Geschichte erzählt wie jedes andere Justiz-Drama, in dem wenige aufrechte Kämpfer für Gerechtigkeit es mit einem skrupellosen Industrie-Goliath aufnehmen, und dass diese Geschichten in der Realität eben immer den gleichen, oftmals deprimierenden Verlauf nehmen.

Auch in „Vergiftete Wahrheit“ sind alle üblichen Zutaten solch einer Geschichte enthalten: Die entrüsteten einfachen Leute, die alles lostreten, und lange Zeit die Missgunst ihrer Mitbürger ertragen müssen – denn schließlich verklagt man den größten Arbeitgeber in der eigenen Heimatstadt und sägt damit an dem Ast, auf dem der ganze Ort sitzt. Der aufrechte Anwalt, der sich mit glasklarem Gerechtigkeitssinn, aber auch mit zunehmender Obsession in einen immer endloseren Kampf stürzt, und dafür sein eigenes heiles Familienleben opfert. Unvermeidliche visuelle Standards wie die Szene, in der unendliche Mengen von Aktenkartons in eine Anwaltskanzlei gekarrt werden, weil der böse Großkonzern seinen Gegner mit der schieren Masse an zu durchwühlenden Beweismitteln zu erschlagen versucht. Und die immer wiederkehrende Debatte, ob es all diese Opfer wirklich wert ist oder man nicht lieber aufgeben sollte, gekontert von wütenden Plädoyers voller gerechtem Zorn, dass man solch einen Kampf einfach nicht aufgeben darf.

„Vergiftete Wahrheit“ ist in dieser Hinsicht nicht gerade ein origineller Film, und er ist sicher auch kein Vergnügen. Nicht nur, weil seine Geschichte einem einmal mehr die deprimierende Tatsache vor Augen hält, dass Menschenleben nicht sonderlich viel zählen, wenn es um die Rendite eines milliardenschweren Aktienkonzerns geht. Sondern auch, weil die Bilder genau diese Erkenntnis so wirkungsvoll unterstreichen. Den geradezu lebensvernichtende Würgegriff, in dem der Chemie-Riese Dupont den Haupthandlungsort dieses Films hält, machen Regisseur Todd Haynes und sein Kameramann Edward Lachman deutlich in ihren grauen Bildern einer Welt, in der ewig ein trüber Herbst oder Winter herrscht – tatsächlich scheint in diesem Film nicht ein einziges Mal die Sonne.

Warum sollte man sich „Vergiftete Wahrheit“ trotzdem ansehen? Zum einen, weil er trotz seiner letztlich konventionellen Struktur und Erzählung meisterhaft ausgeführt ist. Denn angeführt vom grandiosen Regisseur Todd Haynes („Far from Heaven“, „I’m not there“, „Carol“) agiert hier ein herausragender Cast, zuvorderst Mark Ruffalo und Anne Hathaway als Rob Bilotts Ehefrau Sarah, der sich mit seinem zurückgenommenen Spiel ganz in den Dienst der Geschichte stellt.

Und zum anderen, weil einfach mehr Menschen diese Geschichte kennen sollten. Denn letztlich betrifft sie jeden von uns. Warum? Die Substanz, um die sich dieser ganze Film dreht und mit der so viele Menschen in Parkersburg buchstäblich vergiftet wurden, trägt viele Namen. Der bekannteste: Teflon. Auch du hast dieses Zeug zuhause in der Beschichtung deiner Bratpfannen. Mahlzeit.

Bilder: Copyright

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