"And I'm also hesitating by temptation lest it runs
Which it don't follow me
But I'm not there, I'm gone"
- Bob Dylan
Wer ist eigentlich Bob Dylan? Eine verstaubte Platte im Regal der Eltern, ein unverständlicher Liedtext im Englischunterricht, eine Best-Of-CD im Coffeeshop vielleicht. "Blonde on Blonde" steht in fast jeder gut sortierten Plattensammlung, Dylan gehört zum kollektiven Musikerbe des 20. Jahrhunderts und trotzdem ist er langsam verschwunden, als Star, als die prägende Figur einer Generation, obwohl er immer noch Hallen füllt. Vielleicht waren es am Ende doch ein paar Wandlungen zuviel, um ein Elvis oder ein John Lennon zu werden, eine Figur, die weit über ihre Zeit hinaus noch strahlt. Dylan war immer zu schwierig, zu kompliziert, zu wechselhaft, nicht greifbar. Und wahrscheinlich war dies genau, was er erreichen wollte.
Dennoch: Bob Dylan fasziniert den Feuilleton, immer noch und immer mehr, je weiter die Selbstdeutung der 68er-Generation voranschreitet. Da gab es 2005 den Versuch von Altmeister Martin Scorsese, sich dem Mythos Dylan mit der Dokumentation "No Direction Home" anzunähern. Das war handwerklich einwandfrei gemacht und ein bisschen nostalgisch dazu, aber erklärt hat der Film nicht allzu viel. Möglicherweise kann man Dylan auch nicht so einfach durchschauen. Vielleicht muss man, um die vielen Verwandlungen und Facetten von Bob Dylan einzufangen, tatsächlich die Form wählen, für die sich Todd Haynes in seinem großartigen Episodenfilm entschieden hat. Sich loszusagen von Dylan als singulärer, realer Person und die Essenz seiner Figur aufzuteilen in verschiedene Rollen und Darsteller war ein mutiger Schritt, der sich gelohnt hat. Haynes bricht die Karriere Dylans in einzelne Identitätsphasen auf, in denen Dylan jeweils unter einem anderen Namen und von einem anderen Schauspieler verkörpert auftritt.
Haynes nimmt uns mit auf eine Reise durch die Karriere Bob Dylans und durch die letzten Jahrzehnte amerikanischer Zeitgeschichte. Fakten stehen nicht im Vordergrund seiner Darstellung, Haynes versucht vielmehr, einzelne Aspekte aufzuzeigen, die Bob Dylan ausmachen. Man muss nicht viel über Dylan wissen um diesen Film zu genießen, aber es hilft, die zahlreichen Anspielungen auf Figuren und Begebenheiten zu verstehen.
Die Geschichte beginnt mit einem Hobo, einem Landstreicher, sehr überzeugend gespielt von Marcus Carl Franklin. Der 11-jährige Afroamerikaner Woody bewegt sich mit solch einer arroganten und altklugen Überlegenheit durch das Amerika der 50er, dass es eine wahre Freude ist. Die Verlorenheit, die dabei mitschwingt, ist nur in den Untertönen zu bemerken. Der junge Dylan, der sich nach seinem Vorbild, dem Folk-Sänger Woody Guthrie nennt, zeichnet sich bereits durch einen immensen Erfindungsreichtum aus, zugleich wird hier schon das Motiv einer Identitätssuche entwickelt, das in den späteren Episoden immer wieder auftauchen wird.
Durch den ständigen Wechsel zwischen den verschiedenen Lebensabschnitten und Inkarnationen von Dylan wird es dem Zuschauer zusätzlich erschwert, der Figur nahe zu kommen. Am einprägsamsten ist dabei die glamouröse Phase Ende der 60er Jahre, in der Dylan in seiner androgynen Phase umgeben von Modells (dekadent und hip: Michelle Williams als Coco) und Stars durch das hippe London reist. Cate Blanchett wurde für ihre Darstellung in dieser Episode zurecht mit dem Golden Globe als beste Nebendarstellerin belohnt und für den Oscar nominiert, kommt sie von allen Darstellern dem bekannten Dylan doch am nächsten mit ihren genau beobachteten, ungelenken Gesten und den kryptischen Interviews.
Hier macht sich ein Star rar, entzieht sich den Mechanismen und scheitert gleichzeitig an der eigenen musikalischen Neuerfindung. Es ist die Zeit, in der sich Dylan vom Folk abwendet und seine Fans vergrault, die in ihm eine Art musikalisch-politischen Messias gesehen haben. Und in der er Alan Ginsberg trifft, den Pop-Dichter, die zweite prägende Figur für amerikanische Linksintellektuelle. Wenn Dylan mit den Beatles in einer "Yellow Submarine"-artigen Verfolgungsjagd durchs Bild tobt, dann fängt dies wunderbar ironisch den Zeitgeist dieser Jahre ein und unterstreicht die einfühlsame Vorstellung der Darsteller. Ohnehin glänzt der Film vor allem durch eine hervorragende Besetzung bis in die Nebenrollen hinein. Jeder der Schauspieler verleiht den Episoden-Figuren einen persönlichen Anstrich, Christian Bale als Dylan in seiner späten religiösen Phase und Ben Whishaw ("Das Parfum"), der sich vor einer Art fiktiven Inquisition verteidigen muss, bleiben dabei noch am blassesten.
Neben den zahlreichen Veränderungen Dylans, die der Film beschreibt, bleibt der konstante Kampf gegen eine gefestigte öffentliche Meinung und Wahrnehmung die einzige Konstante in seinen verschiedenen Inkarnationen. Der kürzlich verstorbene Heath Ledger verkörpert tragischerweise Dylan als einen Jungstar, der mit dem schnellen Ruhm und dem Jetset-Leben nicht zurechtkommt und dessen Beziehung zu Claire, gespielt von der immer stillen aber großartigen Charlotte Gainsbourg, letztlich daran scheitert. Er legt sich gar mit einem Paparazzo an und hadert mit seinem Ruhm. Der alte Bob Dylan nimmt dann in einer fast surrealen Inszenierung die Rolle eines anderen amerikanischen Helden ein: Richard Gere spielt den zurückgezogen lebenden Billy the Kid, der seinen eigenen Tod vortäuschte, um der Öffentlichkeit zu entgehen, und am Ende doch noch auf sein Nemesis trifft: Pat Garrett, der erst als angeblicher Mörder von Billy berühmt geworden ist. Diese Episode findet in einer Umgebung statt, die direkt aus einem Dylan-Text entsprungen sein könnte: absurde Figuren, symbolische Charaktere und schwer verständliche Bilder. Ästhetisch erinnert das sehr an Tim Burtons "Big Fish", Haynes will aber wohl eher eine weitere Hommage an den Künstler Dylan erschaffen, der so großen Wert darauf legt, unverstanden zu bleiben.
Und so unternimmt "I'm not there" konsequenterweise auch nicht den tatsächlichen Versuch einer Analyse. Es bleibt dem Zuschauer selbst überlassen, welche Schlüsse er aus den Fragmenten dieses Starlebens zieht, in dem Versteckspiel und Selbstinszenierung ein ständiger Begleiter waren und das mehr Widersprüche und Wiedergeburten hervorgebracht hat als Madonna.
Auch wenn der Film streckenweise so schwer zugänglich bleibt, wie es Dylans musikalisches Werk ist, so gelingt Haynes mit seiner ungewöhnlichen Methode doch ein über weite Strecken überzeugendes Portrait, getragen von den individuellen Interpretationen seiner durchweg grandiosen Schauspieler. Die ungezählten Identitäten, die Bob Dylan im Laufe seiner Karriere einnahm, fängt "I'm not there" auf einmalige Weise ein, und man merkt dem Film an, dass für viele der Beteiligten ein persönlicher Bezug zu Dylan besteht. Oder wie Richard Gere es formuliert: "Er ist vermutlich der einflussreichste Künstler meines Lebens, auf fast jedem Gebiet." Wenn man nur wüsste, wer er eigentlich ist, dieser Bob Dylan....
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