Das Leben von Finbar McBride (Peter Dinklage) dreht sich um Eisenbahnen. Wirkliche Eisenbahnen, Eisenbahnen in Büchern, Eisenbahnen in Bildern. Und so arbeitet der zwergenwüchsige Eigenbrötler in einem Laden für Modelleisenbahnen, bis sein dortiger Geschäftspartner tot umfällt. Dieser vermacht ihm eine alte Eisenbahnstation mitten im Ödland New Jerseys. Und da Fin nichts anderes zu tun hat, macht er sich auf nach Newfoundland, NJ. Und findet eher zufällig zwei potentielle Freunde, Außenseiter wie er. Das ist zum einen der gutmütige und penetrant gutgelaunte Joe, dessen fahrbarer Kaffeestand genau vor Fins neuem Zuhause aufgestellt wird (obwohl dort so gut wie niemand vorbeikommt, aber das ist eine andere Geschichte). Und zum anderen die etwas unbeholfene Künstlerin Olivia (Patricia Clarkson), die aus persönlichen Gründen die Abgeschiedenheit im Provinzkaff gesucht hat. Außerdem gibt es da noch die naive Dorfbibliothekarin Emily (Michelle Williams) und das neugierige schwarze Nachbarsmädchen Cleo (Raven Goodwin). Und so zeigt der Mikrokosmos in dieser amerikanischen Kleinstadt inmitten des Nichts wie sich diese Einsamen und Außenseiter annähern, von einander zurückziehen oder einfach nur versuchen, ihr Leben zu leben, so wie sie es möchten.
Wer bei dem Namen des "Station Agent" stutzig wird, hat irgendwo recht. Finbar McBride ist zwar schottisch, aber der Gute wird überall Fin gerufen. Und von Fin nach Finnland ist es da gedanklich nur noch ein kleiner Schritt. Von Aki Kaurismäki ist Thomas McCarthy zwar namentlich noch ein gutes Stück weg, hat aber trotzdem den skandinavischsten Film geschaffen, der in den letzten Jahren in den USA gedreht wurde. Soll heißen: das Tempo ist langsam, die Stimmung lakonisch, die Menschen eher maulfaul (bis auf Quasselstrippe Joe, der hört nie auf zu quatschen, woraus die Szenen mit ihm und dem Schweiger Fin ihre Komik beziehen). Das muss man schon mögen, damit einem "The Station Agent" gefällt. Wer's mag, der bekommt einen wunderbar beobachteten, pointierten, seine Außenseiter zärtlich umstreifenden Film geboten, der nicht umsonst bei diversen Festivals und Preisverleihungen (u.a. die BAFTA-Awards und das Sundance-Festival, um nur einige zu nennen) die Trophäen abräumte. Ein ganz und gar unaufgeregter, aufregender Film.
Natürlich
geht es in diesem Film auch um einen (sagen wir's mal politisch
korrekt) "besonderen" Menschen. Und das Thema Zwergwüchsigkeit
wurde bei der Hollywoodbehandlung ja bisher auch eher außen
vorgelassen. Kein Wunder, dass dieser Film nicht aus Hollywood stammt.
Denn es ist in jedem Moment zu sehen, was bissige Indie-Ware wie
diese dem angepassten Mainstream voraus hat und warum ein Film wie
"The Station Agent" mit klischiertem Betroffenheitsmist
à la "Sie nennen ihn Radio" den Fußboden
wischt. Dies ist ein Film mit einem "Behinderten" als
Hauptdarsteller, aber sämtliche blöden Klischees und stereotypen
Handlungsbögen, die sich darum drehen könnten, lässt
"The Station Agent" ganz locker links liegen. Das Besondere
an diesem Film ist, dass er einen Protagonisten hat, der offenkundig
"anders" ist, dies aber als Tatsache hin nimmt und dann
einfach weitermarschiert. Natürlich gibt es auch Szenen, in
denen Finbars Kleinwüchsigkeit thematisiert oder seine Frustration
aufgrund der Intoleranz vieler Mitmenschen gezeigt wird. Alles andere
wäre ja auch falsch und feige. Aber das Thema "Mensch
mit Behinderung" hängt nie tonnenschwer über den
Geschehnissen, nie wird der Zuschauer mutwillig und zynisch in die
Rührung gedrängt. Die stellt sich dank dem tollen Spiel
der Darsteller und dem gelungenen Drehbuch/Regie-Doppel-Whopper
von Thomas McCarthy eh von ganz allein ein. Und so nimmt dieser
Film unverhoffte und frische Pfade, ohne dass er eigentlich irgendwo
ankommen will. Dieser filmische Modellzug fährt im Kreise,
dreht sich auf abgelegenen Schienen um sein tolles Darstellerteam,
Endstation kleines Glück für kleine und etwas größere
Leute.
Nicht
mal das beliebte und in der Beschreibung beliebige "seinen
Platz im Leben finden" trifft diese Außenseitermär
so richtig. Denn es ist doch so (auch wenn dies genau so beliebig
klingt): Manchmal findet man "seinen" Platz im Leben selbst
und manchmal sucht das Leben einem einen Platz aus, der einem vielleicht
nicht mal sonderlich gefällt. Und damit arrangiert man sich
dann. Darum geht es in diesem Film, und das nicht nur für seinen
kleingeratenen Protagonisten. Alle drei Hauptpersonen müssen
sich in das, was das Leben ihnen vorwirft, einfinden. Natürlich
Fin, der als Selbstschutz vor Intoleranz und Demütigung sich
ganz aus der menschlichen Nähe zurückgezogen hat. Olivia,
die den Verlust von Kind und Ehemann nicht verwunden hat. Und selbst
Joe, das offenkundig immer fröhliche Plappermaul, verbirgt
unter seiner jovialen Art eine tiefe Einsamkeit und den Wunsch nach
wirklicher Nähe und Kontakt zu Mitmenschen.
Schlichtweg perfekt ist das Ensemble-Casting. Patricia Clarkson
begeisterte ja erst vor einigen Monaten in "Pieces of April"
und ist hier mindestens genauso gut. Bobby Canavale ist eine Freude,
sobald er auf der Leinwand erscheint. Michelle Williams und die
kleine Raven Goodwin leisten wertvolle Unterstützung. Und trotzdem
steht oder fällt ein Film wie dieser mit seinem Hauptdarsteller.
Und wie dieser Film steht! Wie dieser Hauptdarsteller steht! Ein
Monolith von 1,30 Körpergröße! Peter Dinklage beherrscht
den Film zu jeder Zeit, ständig gibt es eine interessante Nuance
in seiner Mimik zu lesen. Und dazu ist er so wie er sich hier gibt,
Körpergröße hin oder her, eine der coolsten Säue
unter der (Film-)Sonne.
Wie auch der Film saucool ist wie ein Finne beim Eisfischen. Und so wie er sich über seine gesamte Laufzeit präsentiert, so endet er auch: unspektakulär, das aber ganz wunderbar. Recht hat er sowieso: Mit Freunden leicht benebelt auf der Veranda sitzen und ein wenig Blödsinn reden. Mehr braucht man doch gar nicht zum momentanen Glücklichsein.
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