Mit "Rapunzel - Neu Verföhnt" ist in diesem Winter der 50. abendfüllende Animationsfilm aus dem Hause Disney weltweit auf den Leinwänden zu bewundern. Nachdem vor einem Jahr mit "Küss den Frosch" die mit Spannung erwartete Rückkehr zur traditionellen 2D-Animation erfolgte und auch als geglückt betrachtet werden darf, schickt man dieses Jahr wieder einen Computer-Animationsfilm (natürlich in 3D) ins vorweihnachtliche Rennen um die Gunst des Publikums. Die Gemeinsamkeit beider Filme liegt jeweils in einer als Handlungsgrundlage dienenden klassischen Märchenvorlage, wobei auch für "Rapunzel" gilt, was auf sämtliche der neueren Disney-Versionen klassischer Geschichten zutrifft: Mit seiner literarischen Vorlage hat der Film nämlich kaum noch etwas zu tun. Lediglich die Grundkomponente des Märchens der Brüder Grimm - Mädchen mit extrem langen Haaren lebt eingesperrt in einem Turm, bis es daraus befreit wird - ist hier noch hinübergerettet worden. Wer also die ursprüngliche Geschichte kennen lernen will, der greife bitte ins Bücherregal nach dem angestaubten Märchenbuch aus Kindertagen. Für gute Unterhaltung sorgt die Trickfilm-Version der Geschichte aber trotz - oder gerade wegen - der großen künstlerischen Freiheiten, die man sich hier genommen hat.
Die Geschichte beginnt im Film damit, dass die alte Gothel eine magische Blume entdeckt, deren Zauberkraft ihr ihre Jugend zurückgibt, wenn sie sie regelmäßig durch ihren Gesang zum Leuchten bringt. Als jedoch eines Tages die Königin schwer erkrankt und im Sterben liegt, entdecken ihre Diener auf der Suche nach einem Heilmittel die Zauberblume, graben sie aus und bereiten daraus ein Heilmittel für die Königin zu. Kurz darauf bringt diese ihre Tochter Rapunzel zur Welt, auf die sich die wundersame Heilkraft der Blume übertragen hat. Gothel, die sich ihre ewige Jugend um jeden Preis erhalten will, entführt das Mädchen und sperrt es in einen hohen Turm. So wächst Rapunzel einsam und von der Außenwelt abgeschnitten auf, bis kurz vor ihrem 18. Geburtstag der gerissene und sehr von sich selbst überzeugte Dieb Flynn Rider den gut versteckten Turm entdeckt. Die Wachen des Königs auf seinen Fersen, flüchtet sich Flynn in den Turm und macht die Bekanntschaft Rapunzels sowie ihrer überlangen, blonden Haare. Doch damit geht das Abenteuer für die beiden erst richtig los, denn als Rapunzel gemeinsam mit Flynn zum ersten Mal in ihrem Leben ihren Turm verlässt, um sich ihren größten Wunsch zu erfüllen, sind den beiden sowohl die Häscher des Königs als auch die wütende Gothel auf den Fersen.
Disney-Trickfilme sind ja so eine Sache: Die einen lieben sie, weil sie schon im Kindesalter quasi auf die Disney-Formel konditioniert wurden und ihnen bei in regelmäßigen Abständen in Gesang ausbrechenden Prinzessinnen/Dorfschönheiten/Meerjungfrauen das Herz aufgeht. Die anderen wiederum lässt derartiger Kitsch völlig kalt, dafür werden sie von den Disney-Liebhabern allerdings für das riesige, durch nichts zu ersetzendes Loch in ihrer Kindheit bemitleidet, das durch die fehlende Berührung mit Bambi, Aladdin, Simba und Co. entstanden ist. Deshalb sei an dieser Stelle vorausgeschickt: Wer mit der Form des typischen Disney-Musicals à la "Schneewittchen" oder "Die Schöne und das Biest" noch nie etwas anfangen konnte, der wird auch mit "Rapunzel" so seine Probleme haben.
Denn hier haben wir es mit einem klassischen, ganz eindeutig in der eigenen Tradition stehenden Disney-Film zu tun, der allerdings optisch in modernstem Gewand daherkommt. Denn im Unterschied zu seinen handgezeichneten Vorgängern bietet "Rapunzel" dem Auge zwar ebenfalls comicartig überzeichnete (menschliche und tierische) Figuren, die sich jedoch in einer zum Teil schon fast fotorealistischen 3D-Welt bewegen. Und auch die Figuren an sich wirken so plastisch und lebensecht, dass es gelegentlich schon wieder irritiert, dass sie eben dennoch nicht wie reale Personen aussehen. Auf visueller Ebene gibt es hier also nichts zu meckern; auch die für die Handlung wichtige Darstellung menschlicher Haare - in den Anfangszeiten der Computeranimation ja stets eine ihrer großen Schwierigkeiten - funktioniert hier erwartungsgemäß vollkommen überzeugend.
Die Geschichte von der verlorenen, einsam aufgewachsenen Prinzessin und dem verwegenen Draufgänger bildet hier die Grundlage für ein formelhaft ausgeführtes Disney-Märchen. Da passiert nichts großartig Überraschendes und wie die Geschichte endet, dürfte jedem von vornherein klar sein. Das muss jedoch nichts Schlechtes bedeuten, denn schließlich sind es gerade jene typischen Elemente, deretwegen man sich den Film anschaut und die vor allem langjährige Disney-Fans trotz ihrer Vorhersehbarkeit zu Tränen rühren.
Was den Film aber zumindest stellenweise noch über diese Formelhaftigkeit hinaushebt, sind jene Momente, an denen er es schafft, auch ohne Worte (und ohne Gesang) allein mit seinen Bildern große Gefühle zu erzeugen. Zudem gesellt sich hier zu den eher flachen, nicht über ihre reine Helden- bzw. Bösewichtsfunktion hinausreichenden Hauptcharakteren eine Reihe von wirklich gelungenen Nebenfiguren, von denen jede ihren Zweck erfüllt. Als Beispiel sei nur das Pferd namens Maximus genannt, das sich vollkommen in seine Jagd auf Flynn verbissen hat und dabei schon mal sein Pferdedasein vergisst, um eher einem Spürhund gleich die Fährte aufzunehmen.
Es mag sein, dass solche skurrilen Nebenfiguren und die zuvor angesprochenen emotionalen Momente dem Einfluss von Pixar zu verdanken sind, schließlich ist Pixar-Gründer John Lasseter seit einigen Jahren hauptverantwortlicher Kreativ-Chef der gesamten Disney-Animationsabteilung und sorgte in der Vergangenheit beispielsweise schon dafür, dass in der Disney-Produktion "Bolt - Ein Hund für alle Fälle" an einigen Stellen die Kreativkraft und der Humor der Pixar-Filme aufblitzte. Die emotionale Tiefe der besten Pixar-Filme erreicht "Rapunzel" aber zu keinem Zeitpunkt.
Was die Disney-Werke der alten Schule seit jeher auszeichnete und wo die Kollegen von Pixar ausnahmsweise mal nicht als Hilfe und Vorbild dienen können, sind die typischen Songeinlagen. Die lang anhaltende Wirkung, die "Das Dschungelbuch", "Arielle" oder "Der König der Löwen" auf all jene hatten, die als Kinder im Kino saßen, beruht nicht zuletzt auch auf den schmissigen bis schmalzigen Ohrwürmern, die die Helden und Bösewichte jener Filme zum Besten gaben. Bei "Rapunzel" hat man einen besonderen Coup gelandet und erneut Alan Menken verpflichtet, jenen Komponisten also, der für seine Arbeit an den Songs und der Musik zu "Arielle", "Die Schöne und das Biest", "Aladdin" und anderen Disney-Filmen insgesamt acht Oscars gewonnen hat.
Die demzufolge besonders hochgesteckten Erwartungen an die Filmsongs werden hier aber leider nicht erfüllt. An der Qualität der einzelnen Songs gibt es zwar kaum etwas auszusetzen, so schwungvoll wie zu den besten Zeiten der großen Disney-Musicals kommen sie aber nicht daher und das Zeug zum Klassiker haben sie ganz sicher nicht. Zudem wirkt ihr Einsatz im Film oftmals zu forciert und damit die Übergänge zwischen Sprech- und Gesangsszenen nicht flüssig. Lediglich das große romantische Duett der beiden Hauptfiguren kann in seiner Gesamtheit aus Musik, Gesang und stimmungsvollen Bildern vollkommen überzeugen - wenn Flynn und Rapunzel nachts gemeinsam in einem Boot auf den See hinausfahren, umringt von hunderten schwebender Laternen, dann werden Erinnerungen an die Teppichflugszene aus "Aladdin" wach.
Das Fazit bleibt am Ende dieses Textes jedenfalls dasselbe wie am Anfang: Wer den Disney-Trickfilmen noch nie etwas abgewinnen konnte, der wird sich auch mit "Rapunzel" kaum anfreunden können. Allen anderen kann man diesen Film jedoch nur wärmstens empfehlen. Er reicht zwar nicht an die Klasse der früheren Meisterwerke heran, macht bei seiner Neuaufbereitung der klassischen Disney-Formel aber weit mehr richtig als falsch.
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