Nur zehn Jahre in der Zukunft und die USA haben sich zu einer völlig anderen Gesellschaft entwickelt. Im Jahr 2022 rufen die „neuen Gründungsväter“ nicht zum ersten Mal den „Tag der Säuberung“ aus – zwölf Stunden von Sonnenuntergang bis zum Morgengrauen, in denen alle Verbrechen bei zugesicherter Straffreiheit erlaubt sind, Mord inklusive. Treffen tut es dabei überwiegend die sozial Benachteiligten und Obdachlosen, während sich jeder der es sich leisten kann in seiner Villa verbarrikadiert, sofern er nicht gleich selbst am wilden Treiben teilnimmt. Sich im eigenen Haus einzuschließen ist auch die Option, die James Sadin (Ethan Hawke) mitsamt seiner Frau Mary (Lena Headey) wählt, hat der Sicherheitsexperte doch mit entsprechenden Vorrichtungen auch sein Vermögen gemacht. Doch in dieser Nacht wird einiges schieflaufen, vor allem weil die beiden Teenagerkinder der Sadins sich nicht an die vom Vater vorgegebenen Regeln halten und dadurch die Familie in tödliche Gefahr bringen.
Das ist doch mal eine unverbrauchte Grundidee, die sofort Interesse und Aufmerksamkeit weckt. Die Prämisse von der „einen Nacht, in der mit Segen der Regierung jedes Verbrechen erlaubt ist“ macht dann auch die große Attraktivität von „The Purge“ aus und die so angestachelte Neugier sorgte dafür, dass dieser extrem günstig produzierte Film bereits wenige Tage nach US-Start ein Vielfaches seiner Kosten eingespielt hat. Es ist allerdings auch eine ganz hübsche Blendgranate, die Regisseur und Drehbuchautor James DeMonaco da geworfen hat, denn von der reizvollen SF-Prämisse einer Gesellschaftsordnung, welche die menschlichen Bedürfnisse nach Aggression und Gewalt in dieser Form kanalisiert und sich zugleich ihres Problems mit überbordenden Verbrechen entledigt, ist dann im Film nicht wirklich viel zu sehen.
„The Purge“ spielt nämlich zu 90% im Eigenheim der Familie Sadin, alles was sonst in dieser Nacht im Land geschieht wird dem Zuschauer nur mit Hilfe von im Hintergrund laufenden TV- und Radionachrichten vermittelt. Womit dann schon mal klar ist, warum dieser Film nicht allzu viel gekostet hat. Was bei einem originellen und cleveren Drehbuch ja auch durchaus akzeptabel wäre, doch damit haben wir es hier bedauerlicherweise nicht zu tun.
Die in den ersten Minuten noch recht geschickt aufgebaute Spannung kulminiert stattdessen schnell in einen sehr konventionellen Horrorfilm, bei dem eine in ihrem Haus eingeschlossene Familie von einer Horde Psycho-Killer terrorisiert wird und verzweifelt versucht irgendwie die Nacht zu überleben. Nichts also, was man so oder ähnlich dann nicht doch schon häufiger gesehen hätte, diverse Logikfehler sowie unvernünftiges Verhalten der potentiellen Opfer inklusive. Das ist dann nicht besonders spannend und des Öfteren sogar ziemlich nervig, wenn die sattsam bekannten Genre-Klischees bis zum Äußersten strapaziert werden. Merke: Wenn hier jemand vermeintlich ausweglos in den Lauf einer Pistole blickt, kann er sich todsicher darauf verlassen, dass sein Angreifer im allerletzten Moment von einer noch rechtzeitig aufgetauchten Person aus dem Hintergrund niedergestreckt wird. Und natürlich eskaliert das Ganze vor allem deshalb, weil sich die Bedrohten nicht einig sind, ständig ihre Ansicht ändern oder zur besseren Meinungsfindung erstmal einige Minuten alleine im Haus umherirren.
So weit, so öde, und es ist schade, dass sich der zuletzt in dem ausgezeichneten Genrebeitrag „Sinister“ auftrumpfende Ethan Hawke hier nun so unter Wert verkaufen muss. Immerhin durchläuft sein zunächst moralisch fragwürdig agierender Familienvater aber noch so etwas Ähnliches wie eine charakterliche Entwicklung, während Lena Headey („Dredd“, „Game of Thrones“) lediglich Stichworte gibt und es somit dem in den Credits immerhin passend als „Polite Stranger“ aufgeführten Rhys Wakefield vorbehalten bleibt, mit ein wenig psychopathischem Irrsinn etwas Würze in die Suppe zu bringen.
Dass diese trotzdem sehr fade schmeckt, liegt aber vor allem an dem verschenkten Thema, bei dem allerdings Stück für Stück die Erkenntnis naht, dass man dem Ganzen auch mit einer längeren Laufzeit oder anders gesetzten Schwerpunkten wohl keinen größeren Sinn hätte verleihen können. Zu unsinnig und geradezu absurd (selbst für amerikanische Verhältnisse) ist nämlich die Behauptung, diese Gesellschaft könnte tatsächlich so funktionieren. Denn wieso betrachten selbst die Reichen und kaum Gefährdeten einerseits diese „Nacht der Verbrechen“ als notwendiges Übel um den Rest des Jahres in Frieden leben zu können, während gleichzeitig von offizieller Regierungs- und Medienseite förmlich dazu angestachelt wird, sich an der Menschenhatz zu beteiligen und eine neue „Rekordsäuberung“ zu erzielen? Wäre es dann nicht einfacher und sicherer selbst gut ausgerüstet auf Jagd zu gehen anstatt ängstlich zuhause zu zittern? Aber warum sollten die Armen und Benachteiligten an 364 Tagen im Jahr das Leben in diesem Staat klaglos hinnehmen, wenn sie doch genau wissen, was ihnen schließlich mit der Säuberung droht? Und reicht es bereits auf einen neureichen Nachbarn eifersüchtig zu sein um mal eben einen Massenmord zu begehen, nur um sich tags darauf dann wieder friedlich und psychisch unbelastet zum Morgenkaffee zu treffen? Ach ja, und was sagt eigentlich der Rest der (zivilisierten?) Welt zu so einem „Rechtsstaat“? Das sind nur einige der offensichtlichsten Fragen und Widersprüche, auf die es aber im Grunde keine halbwegs schlüssige Antwort gibt, was nicht zuletzt auch der Grund sein dürfte, warum sie hier wohlweislich ausgespart bleiben. Denn so richtig weiter gedacht hat das Konstrukt vermutlich eh keiner.
Funktioniert hat es ja aber trotzdem, zumindest wenn das Hauptziel des Films „Die Leute anlocken und ordentlich Geld machen“ gelautet haben sollte (was es höchstwahrscheinlich tat). Was die Leute hier zu sehen bekommen ist allerdings keine originelle SciFi-Parabel sondern lediglich ein ziemlich uninteressanter und vor inhaltlichen Fehlern bzw. Lücken nur so strotzender kleiner Horror-Thriller, der somit alles andere als eine „saubere“ Leistung ist.
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