"Mein Gott, hast Du mich erschreckt!"
"Ich wohne hier...!"
"Aber doch nicht jetzt, um diese Zeit."
"Hannibal ante portas!" sollen die alten Römer in Panik geschrieen haben, "Hannibal vor den Toren!", als der karthagische Feldherr samt seinen Elefanten die Alpen überquerte, das römische Heer vernichtete und Kurs auf die damals noch gar nicht so Ewige Stadt nahm. Nun, ganz so martialisch geht es in "Pappa ante Portas" nicht zu, mehr als ein bisschen Film-im-Film-Blut fließt gar nicht - und auch klassische Vorbildung ist unnötig, obwohl Loriot im Titel den Bildungsbürger raushängen lässt.
Dennoch ist der Schrecken im Hause Lohse nicht eben klein, als "Pappa" Heinrich (Loriot) plötzlich am späten Vormittag in der guten Stube steht und die großbürgerliche Hausidylle durcheinanderbringt. Dabei durchlebt der Arme gerade eine ziemlich schwere Zeit: Weil er doch nur das Beste wollte für seine Deutsche Röhren-AG, hat er mal eben für die nächsten vierzig Jahre kistenweise Radiergummis und fünfhunderttausend Blatt Schreibmaschinenpapier eingekauft - immerhin mit über fünfzig Prozent Rabatt. Leider fand das Generaldirektor Blume (Kurt Hübner) gar nicht so sinnig, und so steht Pappa mit Mitte Fünfzig plötzlich auf der Straße ("ICH entscheide, wann mir Ihre Röhren zum Hals raushängen: JETZT!"). Gattin Renate (Evelyn Hamann) und Sohn Dieter (Gerrit Schmidt-Foß) fällt also beim Mittagessen erstmal die Kinnlade auf den Tisch, als sie zusätzlich zur Birne Helene (Running Gag des Films - in diesem Fall ein Apfel mit Schokoladensoße) die "Überraschung" des Familienoberhaupts verdauen müssen.
Und die unguten Vorahnungen sind durchaus berechtigt. Denn schon am nächsten Morgen geht Pappa voller Tatendrang und mit Krawatte unter dem Flanellpulli ans Haushalts-Werk, hält Renate vom gemütlichen Telefonieren ab, vermacht dem Sohn seinen eigenen müllreifen Uraltmantel, und erwirbt schließlich im Haustürgeschäft Wurzelbürsten und Badezusatz, weil er doch so schlecht Nein sagen kann. Überhaupt verwandelt sich das Lohse'sche Heim ein bisschen in die Direktionsetage der Röhren-AG: Pappa kann einfach nicht vom verlorenen Beruf lassen, organisiert Meetings mit der völlig überforderten Putzkraft (Inge Wolffberg, ein Juwel des Films) und feilscht im Tante-Emma-Laden um den Preis für ein Glas Senf. Das Ergebnis ist - wie immer bei Loriot - die bürgerlich-vornehme Katastrophe. Aus einem werden hundertfünfzig Glas, weil das ja viel billiger ist, die Betten hängen in der Kletterrose, und beim gemeinsamen Abendessen im Restaurant gerät das Ganze vollends aus den Fugen: Pappas entnervtes "Genügt es, wenn ich mich irgendwie auflöse?" kündigt eine veritable Ehekrise an.
Also muss Abhilfe her, aber weder der Vorschlag, Pappa in den Bastelkeller auszulagern, noch dessen Strategie, einfach mit zum Höschenkauf und zum Kulturkränzchen zu kommen, bringen wirklich Entspannung. Dafür schenkt uns Loriot mit der folgenden Dichterlesung eine unsterblich komische Glanzleistung, in der der mit knarzender Lederjacke bewehrte Dichter Lothar Frohwein (auch Loriot) durch Pappa von seinem Schluckauf geheilt wird und endlich die klassischen Verse sprechen kann:
"Melusine... -
Krawehl, krawehl!
Taubtrüber Ginst am Musenhain,
Trübtauber Hain am Musenginst.
Krawehl, krawehl!"
Das bürgerliche Trauerspiel in drei Akten "Goethe in Halberstadt" kommt dann leider nicht mehr zur Aufführung, aber Renate hat trotz Heinrichs kultureller Rettungstat genug vom häuslichen Drama und sucht sich einen Job auswärts. Natürlich hat auch das seine Tücken, und über allem dräut auch noch der achtzigste Geburtstag von Oma Jensen (Gerda Gmelin). Die Lohses haben also noch eine Menge zu lernen, und die Lektion ist wahrlich nicht leicht. Aber ein großer Spaß anzusehen. Dass dagegen die Dreharbeiten nicht unbedingt ein einziger Witz waren, zeigt das Bonusmaterial der DVD - der perfektionistische Regisseur, Drehbuchautor und Urpreuße Loriot konnte ganz schön autoritär werden.
Man könnte über diesen Film so vieles sagen, was doch vor allem auf Loriot allgemein zutreffen würde und deshalb "Pappa ante Portas" nur unzulänglich beschriebe: brillanter Sprachwitz, begnadete Phantasie, nimmermüder Blick für unser alltägliches Chaos. Deswegen darf man es wohl auf die knappe Formel bringen: Mit diesem Werk hat Vicco von Bülow einen wirklich großen Wurf gelandet, mit dem er sich selbst die satirische Krone aufsetzt. Was bei "Ödipussi" drei Jahre zuvor noch manchmal in etwas melancholischer Unschlüssigkeit verharrte, ist hier konsequent in den bisweilen slapstickhaften nackten Wahnsinn überzeichnet. Schrullige Geigenspieler (natürlich: Loriot) wälzen sich auf dem Straßenpflaster, Küchenmaschinen mit Eigenleben fliegen in die Luft, und irre Zwillingsschwestern von nebenan (ideale Paarung: Dagmar Biener und Ortrud Beginnen als Brigitte und Gertrud Mielke) jagen sich gegenseitig durch Lohses Wohnzimmer.
Dennoch: Loriot wäre ja nicht Loriot, wenn er das Ganze nicht auch mit einer gehörigen Portion Bosheit gegenüber seinen Zuschauern in Szene setzen würde. "Pappa ante Portas" seziert die deutschen Befindlichkeiten von A bis Z - angefangen von Pappas Ordnungs- und Aufbewahrfimmel über das verklemmte Aufklärungsgespräch am Mittagstisch, das nicht ohne ein bisschen Geschichte auskommt ("Königsberger Klopse aus der Dose. Königsberg war die Hauptstadt von..." - "Weiß ich."), bis zur feinen Behäbigkeit der Ehefrauen der besseren Kreise, die ihr Fünfzig-Quadratmeter-Wohnzimmer im grünen Berliner Westen von der Putzhilfe pflegen lassen und selbst derweil mit der besten Freundin in der öffentlichen Anlage ihre Ehe- und Egoprobleme wälzen.
Dass der ganze Film sein großes Finale auf der frisch renovierten Ahlbecker Seebrücke auf Usedom hat, ist eine schöne Pointe dieses ersten großen cineastischen Werks des wiedervereinigten Deutschland. Loriot hat hier neben den üblichen Verdächtigen aus seiner Fernseh-Schaffensperiode - um nur drei zu nennen: Evelyn Hamann, wie immer grandios, Heinz Meyer als gestresster Regisseur, Gerda Gmelin, die Reiterin Elisabeth vom Kosakenzipfel, als verbiesterte Oma Jensen - auch große Namen des deutschen Films versammelt. Irm Hermann, die die verdrehte Tante Hedwig verkörpert, hatte zuvor mit Rainer Werner Fassbinder und Werner Herzog gearbeitet. Ihr Film-Ehemann, die "Milchsemmel" Hellmut (Hans-Peter Korff), hatte schon vor Volker Schlöndorffs und Wolfgang Petersens Kamera gestanden, von seiner Rolle als legendärer Onkel Heini in "Neues aus Uhlenbusch" mal ganz zu schweigen.
Wer Loriot nicht kennt, noch nie etwas von seinen Fernsehkultgestalten, dem Lottogewinner Lindemann, vom Filmmonster Vic Dorn oder von Familie Hoppenstedt gehört hat (solche Menschen soll's ja immer noch geben), für den ist "Pappa ante Portas" die ideale Einstiegsdroge, um zum Loriot-Junkie zu werden. Und gleichzeitig ein herrlicher Aufklärungsfilm - nicht wegen Pappas hilflosen Versuchen, Dieter das Wunder des Lebens zu erklären ("Männer sind... und Frauen auch. Überleg Dir das mal!"), sondern weil er uns Deutsche in diesem unserem Lande als die leicht bekloppten Umstandskrämer bloßstellt, die wir nun mal auch sind. Vielleicht sollte man "Pappa ante Portas" als Pflichtprogramm in den deutschen Goethe-Instituten zeigen, damit man auch in Addis Abeba, Turin und Hanoi weiß, was die Krauts daheim so umtreibt.
Aber es wäre auch schon viel gewonnen, wenn "Pappa ante Portas" endlich mal aus den hintersten Regalen der Videotheken wegkäme, wo er zwischen fettgewordenen Wollmäusen oft und ganz zu Unrecht ein reichlich trauriges Nischendasein führt. Denn hier schlummert, jawohl, ein großes deutsches Bildungswerk.
Krawehl.
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