"Die Firma Kunststoff-Meier
Legt Kunststoff-Eier
Aus Polyvinyl-chlo-rid!
Herr Meier hat da schon den richtigen Dreh…
Er sagt, die Welt wird schöner durch P-V-C!
Meine Schwester heißt Polyester,
Die lutscht nun schon bald neun Jahre
Immer denselben gelben Plastikbonbon -
Das ist eben Spitzenware..."
Ein wirklich fürchterlicher Film. Kunststoffeier von Herrn Kunststoffmeier und der kleinen Schwester, die seit Ewigkeiten ihr Plastikbonbon zutzelt, das Ganze vorgetragen auf einer verqualmten Betriebsfeier vor ein paar Dutzend gelangweilten Angestellten, werden zum künstlerischen Trauma der nebenbei tanzenden Diplompsychologin Margarethe Tietze (Evelyn Hamann), die es sowieso schon schwer genug hat im Leben: Ihre Praxis läuft mehr schlecht als recht, weil sich ihre Patienten lieber gegenseitig die Hölle heiß machen statt die angstfreien Ratschläge der Therapeutin anzunehmen. Dann sind da noch die Eltern: Ihre neurotische Mutter (Edda Seippel), die mit der Tochter nie zufrieden ist, und der leicht debile Vater (Richard Lauffen), der aus seiner Vergangenheit als Chef der städtischen Müllbeseitigung nicht mehr herauskommt und sich deshalb jetzt für die Unordnung der Zahnpastatuben im Hause Tietze verantwortlich fühlt ("alles durcheinander - und uns steht die Schiete bis zum Hals"). Und zu allem Überfluss lernt Margarethe dann in einem Wäschegeschäft auch noch Paul "Pussi" Winkelmann kennen (eben Loriot), genauso verklemmt wie sie und obendrein noch mit einem Ödipus-Komplex erster Güte geschlagen: Denn der ganze Mann ist Ende Fünfzig, Inhaber eines Möbelgeschäfts für vorwiegend skandinavische Erzeugnisse und erfolgreicher Kaufmann, isst aber immer noch zuhause bei Mama (Katharina Brauren: furchteinflößend bis tyrannisch), lässt sie seine Hemden bügeln und steht sowieso komplett unter Mutters Fuchtel.
Die Reise in die seelischen Abgründe von Menschen wie du und ich kann also beginnen, und Vicco von Bülow alias Loriot inszeniert sie in nicht einmal neunzig Minuten, wie man es schon aus seinen Sketchen gewohnt war: mit einer Virtuosität, die keine Peinlichkeit auslässt, aber gleichzeitig auch mit einer Grausamkeit, dass man sich als Zuschauer mehr als einmal schamrot vom Fernseher abwenden möchte.
Es kommt jedenfalls, wie es - durch die Zwänge der Zwanghaftigkeiten gesteuert - kommen muss: Paul und Margarethe arbeiten zusammen (denn sie ist überzeugt, Farbberatung müsse psychologisch vorgehen) und versuchen einem Rentnerehepaar ein knalliges Sofa anzudrehen ("Grün hat so was Frisches!"), was Pussi mit seiner belgischen Graukollektion aber erfolgreich zunichte macht. Dennoch springt eine Verabredung zum Tee und Hefezopf in seiner der Mutter abgetrotzten Stadtwohnung heraus ("Andere Jungs wohnen doch auch noch zuhause!"), und irgendwie gelingt es Paul, die verkorkste Wissenschaftlerin auf Geschäftsreise nach Italien einzuladen. Denn es scheint wohl noch etwas mehr im Spiel zu sein als nur geschäftliche Synergieeffekte. Aber natürlich sind da noch sowohl die ebenso gestrenge wie eifersüchtige Mutter Winkelmann als auch die beknackt-hilflosen Tietzes vor. Das Drama kann also beginnen.
"Kuck ma', Frau Tietze": Den Ratschlag des tuntigen Damenfriseurs Bröseke darf man hier getrost beherzigen. Genial hat man Loriot schon oft genannt, und das wahrscheinlich jedesmal zurecht. Spätestens sein erster Kinofilm aber - ein Frühwerk: 1988, also im zarten Alter von 65 Jahren, vollendet - beweist es. Angeblich hat er seinem Produzenten Horst Wendlandt das Drehbuch in Rohfassung geschickt mit der Frage "Und was muss alles geändert werden?". Wendlandt schüttelte nur den Kopf - die tragikomischen Phantasien des Nasenmännchenschöpfers konnten eins zu eins in Kinowirklichkeit umgesetzt werden.
Man muss eine Ader für diesen Humor haben, das ist wohl richtig. Aber wenn man sich einmal auf diesen Film einlässt, wird man kaum unberührt bleiben können. Er hat gar keine Längen, das scheint nur so - spätestens beim fünfzehnten Mal merkt man beim Mitsprechen der inzwischen klassischen Dialoge ("Moooment, Moooment, mein Name ist Win-kel-mann, und ich habe keinen Sinn für solche Scherze"), dass diese Ruhepausen das nächste Unheil schon vorbereiten.
Es ist ja auch nicht nur komisch, was hier vorkommt. Die verkrachten Existenzen Paul und Margarethe können einem schließlich genauso leid tun wie bei näherem Hinsehen die gruselige Elternschaft und das wie immer bei Loriot vereinigte Sammelsurium von abgedrehten Gestalten, die den ganzen Film bevölkern. Wenn Paul in seinem Kinderzimmer sitzt, an der Wand die alte Afrikakarte aus Kaisers Zeiten, in der Hand den hilflos brummenden Uraltteddy, dann ist das auch ein Abgesang auf eine unwiederbringlich verlorene Kindheit, der tieftraurig, aber sehr wahr ist. Nicht nur komisch ist es aber vor allem deswegen, weil sich aus den Psychosen und Neurosen, Ängsten und Verklemmungen, Zwanghaftigkeiten und Komplexen, die dieser Seelenstrip vor uns ausbreitet, jeder Zuschauer problemlos mindestens eine raussuchen kann, in der er sich wiederfindet - schließlich ist nicht zuletzt das Loriots Erfolgsgeheimnis.
Aber natürlich ist es vor allem komisch. Paul und Margarethe schlingern von einer Verlegenheit in die andere, ob an Tietzes Teetafel ("Ist das einer von deinen Bekloppten?" - überhaupt ist der Film schon wegen Edda Seippel als Mutter Tietze ein absolutes Muss), im Hause Winkelmann ("Ach... Hat Dir Deine Frau Doktor freigegeben?"), vor der völlig unverständlichen, weil unerwarteterweise französischen Speisekarte im italienischen Luxushotel, beim Eierbalancieren in der Trattoria nebenan, bei der missglückten Demonstration der Vorzüge der dänischen Kombiserie Trulleberg oder in der Sitzung des Vereins zur Integration von Frau und Umwelt in den Karneval (oder so ähnlich). Keine der massenhaft in diesem Streifen auflaufenden skurrilen Figuren, die nicht von irgendwelchen psychischen Absurditäten geplagt wäre und diese auch nahtlos in entsprechendes Verhalten umsetzen würde; keine Situation, die ohne Peinlichkeiten, kleine und große Katastrophen abgehen würde - Loriot in Höchstform zeigt uns, wie wir wirklich sind, auch wenn wir das manchmal gar nicht wahrhaben wollen. In jedem und jeder schlummert ein Paul Winkelmann oder eine Margarethe Tietze: Es hilft gar nichts, sich da irgendwas vorzumachen.
Selbst das scheinbar harmlose Scrabble offenbart gruppendynamische schwarze Löcher, in die nicht nur Tante Mechthild (großartig: Rose Renée Roth) mit den mittlerweile legendären Neuschöpfungen Hundnase und Schwanzhund zuverlässig abstürzt. Schließlich lutschen wir doch alle immer denselben gelben Plastikbonbon - oder wie war das?
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