Mord im Orient-Express

Originaltitel
Murder on the Orient Express
Land
Jahr
2017
Laufzeit
115 min
Genre
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Volker Robrahn / 7. November 2017

orient 1Im Jahr 1934 hat er den Ruf des „weltbesten Detektivs“ - und sieht das auch selbst so. Hercule Poirot (Kenneth Branagh) hat gerade erst in Jerusalem einen Streit zwischen den Religionen geschlichtet, indem er den wahren Schuldigen für einen Diebstahl ausmachte. Sein nächster Einsatz führt ihn über Istanbul direkt in den ebenfalls legendären Orient-Express, der Poirot eigentlich nach London bringen soll. Doch als der Zug inmitten eines heftigen Schneesturms zum Stehen kommt, entwickelt sich daraus prompt ein neuer Fall für den detailverliebten Belgier. Denn der zwielichtige Geschäftsmann Edward Ratchett (Johnny Depp), der Poirot erst wenige Stunden zuvor – vergeblich – als Beschützer engagieren wollte, wird ermordet in seinem Abteil aufgefunden, malträtiert mit einem Dutzend Messerstichen. Verdächtige gibt es viele, denn sowohl die Witwe Hubbard (Michelle Pfeiffer), der deutsche Professor Hartmann (Willem Dafoe), die adlige Prinzessin Dragomir (Judi Dench), die Gouvernante Mady (Daisy "Star Wars" Ridley) und eine Handvoll weiterer Mitreisender haben etwas gemeinsam: Sie alle scheinen in einem besonderen Verhältnis zum Opfer zu stehen und ein Motiv für die Tat zu haben. Selbst die Bediensteten des Ermordeten sind keinesfalls unverdächtig, und so steht Meisterdetektiv Hercule Poirot vor seinem vielleicht kniffligsten Fall.
 

orient 2Oh ja, so ein Big Budget-Film vor prächtiger Kulisse, mit edlen Kostümen und einem halben Dutzend Stars ist schon was Feines – und in diesem Fall auch etwas ziemlich Mutiges, denn diese Art Ensemblefilme voll prominenter Namen sind im Prinzip genauso ein Relikt der 70er Jahre (dort gerne auch für Kriegs- und Katastrophenfilme zusammengestellt) wie der Stoff, den man sich hier vorgenommen hat. Obwohl größtenteils schon deutlich früher entstanden, erreichten die Romane der sehr britischen Krimiautorin Agatha Christie ihre größte Popularität in den 60er bis 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts, nicht zuletzt dank zahlreicher Verfilmungen. Neben der burschikosen Hobby-Ermittlerin im Rentenalter namens Miss Marple ist der stets für einen Franzosen gehaltene belgische Detektiv Hercule Poirot ihre populärste Schöpfung, in den Adaptionen am bekanntesten in der Interpretation durch Peter Ustinov in „Der Tod auf dem Nil“ und „Das Böse unter der Sonne“. Albert Finney dagegen spielte Poirot nur ein einziges Mal und gilt bei einigen als einziger kleiner Schwachpunkt in der ansonsten sehr beliebten und damals für immerhin sechs Oscars nominierten Version von „Mord im Orient-Express“ aus dem Jahr 1974.

orient 3Während die vertrackten Mitrate-Krimis nach Art der Agatha Christie aber vor einigen Jahrzehnten zu den Höhepunkten eines sonntäglichen Fernsehtages zählten, muss man schon die Frage stellen, wer dafür heute wohl noch ins Kino gehen wird. Denn so charmant dieses Subgenre einerseits anmutet, so hoffnungslos betulich und altmodisch ist es auch. Was für den öffentlich-rechtlich sozialisierten TV-Zuschauer von damals ein aufregender Blick in die Welt der Schönen & Reichen war, wirkt heute oft genauso albern wie realitätsfern. Wie also einen Mord im Orient-Express im Jahr 2017 inszenieren?

Nun, diese Frage beantwortet der nach längerer Zeit mal wieder in Personalunion als Regisseur & Hauptdarsteller tätige Kenneth Branagh mit einem entschiedenen "Sowohl als auch", indem er zwar einerseits ganz in nostalgischer Ausstattung schwelgt, dabei aber nicht darauf verzichtet, vor allem im Bezug auf die Charaktere und ihre persönlichen Befindlichkeiten einen neuen, deutlich ernsthafteren Ansatz zu wählen.

orient 4Doch zunächst müssen eben diese Charaktere erst einmal vorgestellt und anschließend die Figur von Johnny Depp um die Ecke gebracht werden. Dessen Leinwandzeit ist daher naturgemäß begrenzt, doch ist seine zurückgenommene Darstellung des sein Schicksal ahnenden Mr. Ratchett nichtsdestotrotz geradezu eine Wohltat nach all den überdrehten schrägen Gestalten, die Mr. Depp in den letzten Jahren quasi auf Autopilot spielte – es geht also erfreulicherweise doch noch anders. Die folgenden Verhöre des runden Dutzends Verdächtiger bieten dann jedem Darsteller zunächst genau eine größere Szene um zu glänzen, was vor allem von Willem Dafoe als vermeintlich rassistischem deutschen Arzt und von Josh Gad („Die Schöne und das Biest“) in der Rolle des unglücklichen Sekretärs des Ermordeten genutzt wird. Aber irgendeine Blöße in Form einer schwachen Leistung gibt sich hier aus dem wahrlich exquisiten Cast erwartungsgemäß auch sonst niemand.

Formal setzt Branagh neue Akzente, indem er auch Schauplätze außerhalb des durch den Schneesturm vorübergehend lahmgelegten Zuges einsetzt, sei es ein kleines Picknick neben den Bahngleisen oder die Verlegung des abschließenden großen gemeinsamen Verhörs in einen Tunnel, bei dem die versammelte Gesellschaft als Abbild von Leonardo Da Vincis berühmten Gemälde „Das Abendmahl“ positioniert wird. Was zwar keinen tieferen Sinn ergibt, aber allemal hübsch aussieht. Am auffälligsten ist jedoch die Kameraarbeit, die mit diversen kleinen Spielereien wie von oben oder von außen durch die Fenster gefilmten Szenen angereichert wird.

orient 5Das, was am meisten Eindruck hinterlässt, ist jedoch die Seriosität, mit der das moralische Dilemma behandelt wird, indem sich Hercule Poirot schließlich befindet. Hatte der in einem der eigentlichen Handlung vorangestellten Prolog sich noch überzeugt davon geäußert, dass es kein Grau, sondern immer nur Schwarz und Weiß gebe, demnach also nur „schuldig oder nicht schuldig“, so kommt ihm diese Gewissheit im Verlauf des „Orient“-Falles zunehmend abhanden. So einfach ist die Schuldfrage nämlich diesmal nicht zu beantworten, und zu zeigen wie ein sonst stets kontrollierter und überlegener Geist wie der von Poirot an dieser Erkenntnis fast innerlich zerbricht, ist das ganz große Aha-Erlebnis dieser Neuinszenierung und verleiht der (hier zudem auch mit einer Art „Backstory“ versehenen) Figur des Meisterdetektivs eine zuvor noch nicht gesehene Tiefe.

Wenn am Ende also der Fall offiziell gelöst ist, so gibt es trotzdem nicht wirklich einen Gewinner, der Abschied im Schnee ist bittersüß und macht aus dem vermeintlich angestaubten Rätselkrimi ein ziemlich zeitloses Drama. Das ist mehr als man erwarten konnte.

Bilder: Copyright

@Gast:
Das ist bei einem Klassiker der Unterhaltungsliteratur eigentlich bekannt, dass der Charakter, den Johnny Depp spielt, das Opfer ist. Zudem wird das vermutlich in der ersten Viertelstunde passieren und Ihnen nicht den Film versauen, da es nicht darum geht, wer umkommt, sondern warum und durch wen? Die Täterschaft ist übrigens auch bekannt, sofern Kenneth Branagh nicht von der Originalvorlage abweicht, werde sie aber für micht behalten.

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8
8/10

Kenne die Altverfilmung, die mir schon sehr gut gefallen hat. Den Film werde ich mir daher auf jeden Fall einmal ansehen,
schon wg. der Regie durch Kenneth Brannagh und dem erlesenen Cast.
Die Story ist mir hinlänglich bekannt und den Hinweis, dass Johnny Depp das Mordopfer darstellt, finde ich jetzt nicht so
tragisch.

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3
3/10

Ich kannte die Vorlage weder als Buch noch als Film von 19XX.
Was ich leider bemängeln muss, ist die uninspirerte Machart - wie bei heutigen Filmen üblich: Man wird das Gefühl nicht los, alles wurde schnell schnell abgedreht, geschnitten und dann mit CGI aufgehübscht, um Wooooow Momente für zwischendurch und den Trailer zu generieren.
Das Star Ensemble (Oscar nominiert und Preisträger) leidet auch sehr unter dieser Art Filme zu machen.
So gerät der Film schnell zur Kostümparty. Es gibt keinen einzigen verzweifelten oder schweißtreibenden Moment.
Alles wird von A-Z erzählt, jeder ist da wo er sein soll... Überraschung kam mir dadurch auch als Nichtkenner der Story nicht auf, was strengenommen einer Themaverfehlung des Regisseurs gleichkommt. Ich verlies das Kino mit einem Stirnrunzeln - Motion Picture? Eher die heutige Kunst, Trailer zu Filmen zu strecken. Etwas mehr Entwicklungszeit für die Charaktäre hätte diesen Film zu einem Meilenstein machen können.

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6
6/10

Es hat mich schon überrascht, dass Branaghs Verfilmung der ersten von 1974 so nahe kommt. Klar, beide sind nahe am gleichen Ausgangsstoff, etwas in der Art musste passieren. Keine Frage, so ähnlich sah es schon bei den anderen beiden TV-Verfilmungen aus.

Aber dass er auch die vorhanden Schwächen neu aufsetzt, wenn er z.B. das tolle Ensemble kaum ausnutzt, wenige neue Szenen einbaut, sowie die im Grunde genau gleichen Verhöre lediglich etwas anders im Film verteilt, ist schon schade. Einfach eine verpasste Chance.
Ich hatte nach dem amüsanten Prolog, der so bisher noch nicht zu sehen war, mehr erwartet. Zumal dieser einen spürbar anderen Ton anschlägt als der Hauptteil im Zug.
Insgesamt ist diese Verfilmung etwas dynamischer erzählt, weniger brav und nimmt den Zuschauer nicht ganz so sehr bei der Hand als die immer noch empfehlenswerte mit Albert Finney.

Außerdem ist er die meiste Zeit auch schön anzusehen. Vielleicht zu schön, denn die gesamte Cinematographie wirkt etwas zu perfekt, leicht unterkühlt und zu sauber. Damit hat sie etwas für die 1930er Jahre unpassend werbefilmhaftes. Fairerweise ist das aber wiederum passend für eine moderne Verfilmung und bleibt damit wohl Geschmackssache.

Allerdings hätte Branagh, der übrigens einen wirklich guten Poirot mit charmanter Zwangsneurose spielt, mehr aus dem Stoff rausholen können. Vielleicht etwas mehr Erklärung von Poirots Gedankengängen durch Rückblenden, etwas mehr Exposition und Interaktion der anderen Figuren und gerne auch mehr Depp, der zumindest im Originalton einen klasse Bösewicht spielt.

Insgesamt in Ordnung, aber ich würde abends wohl eher die Variante mit Albert Finney nochmal rauskramen.

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6
6/10

Der Film geht natürlich schon sehr gegen die akuellen Sehgewohnheiten. Fand ihn streckenweise etwas pathetisch. Das Motiv für den Mord hätte dem Zuschauer gerne etwas tiefgehender aufgezeigt werden können, so dass mehr Verständnis für die Message des Films geschaffen werden kann.

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