Maestro

Land
Jahr
2023
Laufzeit
129 min
Release Date
Streaming
Bewertung
7
7/10
von Frank-Michael Helmke / 31. Dezember 2023

An den Weihnachtstagen, eine knappe Woche nach seiner Veröffentlichung, war Bradley Coopers zweite Regiearbeit (nach "A Star is Born"), sein Biopic über den legendären Dirigenten Leonard Bernstein, nirgendwo in den Top Ten der aktuell meistgesehenen Filme auf Netflix zu finden. Vom Publikum derart mit Desinteresse gestraft zu werden, hat der Film wahrlich nicht verdient, auch wenn "Maestro" nicht frei von Schwächen ist. 

Ein bisschen Etikettenschwindel ist der Film auch, denn es steht gar nicht der Künstler Leonard (Bradley Cooper höchstselbst, von einer formidablen Maske in einen sehr originalgetreuen Bernstein verwandelt) und seine Karriere im Vordergrund, sondern die Liebesgeschichte zwischen ihm und seiner Frau Felicia (Carey Mulligan, die sich hier vermutlich ihre dritte Oscar-Nominierung erspielt), die sehr verkompliziert wurde durch die Tatsache, dass Bernstein eigentlich schwul war.

Tatsächlich sind Bernsteins kreatives Schaffen und seine größten Erfolge hier nicht mehr als Randnotizen, schnell abgefrühstückt als Info-Häppchen in Interview-Szenen. Als Cooper sich im letzten Drittel einmal die Zeit nimmt, Bernsteins eigenwilligen Dirigat-Stil und sein leidenschaftliches Brennen für die Musik bei einer Performance von Mahlers zweiter Symphonie über mehrere Minuten nachzuempfinden, ist man richtiggehend überrascht, überhaupt noch so etwas zu sehen zu kriegen. 

Wer sich also viele Einblicke in Bernstein als Künstler und seinen Werdegang versprochen hat, wird hier enttäuscht werden. Sowieso spielt die nominelle Hauptfigur hier in Wahrheit eher die zweite Geige. Es ist viel mehr Felicia, die das eigentliche Zentrum des Films ist. Mit ihr leidet man mit, kann sich einfühlen in ihr Dilemma, einen Mann zu lieben und treu zur Seite zu stehen, dessen wahres Verlangen dem anderen Geschlecht gilt, und kann durch und über sie das Faszinosum dieses Mannes etwas besser greifen.  

Bernstein selbst bleibt hingegen etwas farb- und facettenlos, jenseits des erwarteten Standards vom so charismatischen wie egoistischen kreativen Genies, dem sein ganzes Umfeld zu Füßen liegt. Sein eigenes Ringen damit, seine Homosexualität nicht offen leben zu können, findet kaum statt - bis auf eine Szene, in der er seiner älteren Tochter gern die Wahrheit sagen möchte, aber nicht kann. Dieser Moment ist der Höhepunkt in Coopers Schauspiel-Performance, der ansonsten in typischer Biopic-Art zu viel Energie darauf verschwendet, die bekannten Manierismen seines realen Vorbilds möglichst präzise nachzustellen.

So bleibt ausgerechnet die Hauptfigur dieses Biopics etwas blass, dem ansonsten in nahezu jeder Einstellung Coopers Leidenschaft für dieses Projekt anzufühlen ist. Seine Regie ist über weite Strecken absolut fabelhaft, die Inszenierung von großartigen Szenenübergängen und einigen grandios starken Bildern geprägt - auch wenn der ganze Film beizeiten auch etwas "überkünstelt" wirkt, nicht zuletzt, weil Cooper ihn konsequent im 4:3-Bildformat gedreht hat, um noch zu verstärken, dass die Optik des Films jeweils genau der Zeit entspricht, in der er gerade spielt, inklusive eines Anfangs in Schwarz/Weiß (die Handlung erstreckt sich insgesamt über fast vier Jahrzehnte). Die Dialoge aus der Feder von Cooper und seinem Co-Autor Josh Singer verlieren leider gerade in einigen Schlüsselszenen ihre Natürlichkeit, wenn es zwischen dem Ehepaar ans Eingemachte geht, und ihr verbales Hin und Her zu sehr ins Hochgestochene abdriftet, um noch glaubwürdig zu sein. Doch anderswo, und vor allem dann, wenn es wirklich drauf ankommt, ist die Seelenverwandtschaft zwischen Leonard und seiner Felicia deutlich spürbar - mit aller traurig-tragischer Konsequenz, die das mit sich bringt. 

Die beachtliche Chemie des Hauptpaares und Coopers herausragende Arbeit als Regisseur machen "Maestro" zwar noch lange nicht zu einem Meisterwerk, aber allemal zu einem lohnenden Filmerlebnis. Dass sich dafür allerdings so wenige Zuschauer interessieren, dürfte der Sargnagel für Netflix' Kalkül sein, sich mit diesem eigentlich perfekt auf die Award Season zugeschnittenen Film in aussichtsreiche Position im Oscar-Rennen bringen zu können.      

Bilder: Copyright

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