Zur Einleitung ein paar Worte zur Orientierung für unsere jüngeren Leser, und jeden anderen, der mit dem Namen "Mad Max" nicht soviel anfangen kann. Dieser ziemlich wortkarge "Held" wurde 1979 vom australischen Regisseur George Miller erschaffen in einem Low-Budget-Exploitation-Actionfilm, dessen ungezügelte Gewaltexzesse damals dafür sorgten, dass der Film in seiner ungekürzten Fassung hierzulande indiziert wurde (was erst vorletzten Monat rückgängig gemacht wurde - jetzt trägt der Film eine recht harmlose FSK16-Freigabe). Max war ein Highway-Polizist in einer Welt, die infolge einer schweren Energiekrise am Rande zu Anarchie und Chaos stand, und nachdem eine Bande marodierender Motorradrocker seine Frau und seinen Sohn umgebracht hatte, wurde Max ziemlich "mad" und nahm mächtig brutale Rache.
Seinen Status als Legende des Actionkinos verdiente sich Max indes vor allem mit der ersten Fortsetzung, dem 1981 erschienen "Mad Max: Der Vollstrecker". Hier hatte Miller seine Zukunftswelt bereits in vollständiges post-apokalyptisches Chaos versinken lassen, das Dasein in den unendlichen Weiten des australischen Outback war ein fortwährender Überlebenskampf und Benzin ein so wertvolles Gut, dass man für einen vollen Tank ohne weiteres mordete. Es war eine Welt, in der Moral keine Rolle mehr spielte, auch nicht für den vermeintlichen "Helden" Max. Die Gewalt war nicht weniger exzessiv als zuvor, und Millers so verstörende wie bildgewaltige Visionen, wie die Menschen in dieser Welt verrohten und ihre Fortbewegungsmittel zu archaischem Kriegsgerät mutierten, wurden stilbildend für eine ganze Generation von Exploitation-Videotheken-Futter. "Mad Max: Der Vollstrecker" kann mit Fug und Recht als das größte Meisterwerk in der Geschichte des B-Action-Films betrachtet werden, spielte bei vier Millionen Dollar Produktionskosten damals weltweit 100 Millionen Dollar ein und legte den Grundstein zur Weltkarriere von Max-Darsteller Mel Gibson. Die Brillanz von George Millers Inszenierung konnten damals selbst die Kollegen vom katholischen Filmdienst nicht verkennen, die über so etwas naturgemäß die Nase rümpfen müssen, in ihrem Lexikon des internationalen Films aber dennoch einräumten: "Angesichts seiner gewaltverherrlichenden Tendenz wirkt die technische Perfektion des Films um so ärgerlicher." 1985 erschien schließlich mit "Mad Max - Jenseits der Donnerkuppel" noch eine Fortsetzung (mit Tina Turner als Antagonistin und dem legendären Titelsong "We don't need another hero"), und Mad Max ging als eine der größten Action-Ikonen in die Filmgeschichte ein.
Seitdem gingen nun also 30 Jahre ins Land, in denen George Miller immer wieder über eine weitere Fortsetzung sprach. Doch den diversen Versuchen, die tatsächliche Produktion anzuschieben, wurde von der Weltgeschichte stets ein Strich durch die Rechnung gemacht. Einmal brach die Finanzierung durch die Wirtschaftskrise in Folge des 11. September zusammen, ein andern Mal scheiterte der im Irak geplante Dreh an der Invasion der USA und dem Ausbruch des Irakkriegs. Hauptdarsteller Mel Gibson hatte sich mittlerweile sowieso unmöglich gemacht (und wäre wohl eh inzwischen viel zu alt gewesen). Doch George Miller, der sich inzwischen einen Animations-Oscar mit "Happy Feet" verdient hatte, ließ nicht locker, und so wurde "Fury Road" nach drei Jahrzehnten doch noch Wirklichkeit. Und steht hier nun als der vielleicht größte Triumph, den das Actionkino in den letzten zehn Jahren hervorgebracht hat.
Über die Handlung von "Fury Road" braucht man gar nicht viele Worte verlieren. Der Film folgt einer klaren, schnörkellosen narrativen Linie und fängt im Prinzip eine einzige, große Verfolgungsjagd ein. Das Ziel der Gejagten zu verraten, käme aber bereits einem Spoiler gleich, den wir hier definitiv aussparen wollen. Ähnlich reduziert wie die Handlung kommt auch die Charakterisierung der Hauptfigur daher. In der ersten Szene hält Straßenkrieger Max (Tom Hardy) einen kurzen inneren Monolog, der sein zerrissenes Dasein illustriert - fortwährend gejagt von Plünderern, fortwährend verfolgt von den Dämonen jener, die er nicht retten konnte - und erahnen lässt, dass Max selbst bereits mit einem Bein im Wahnsinn steht, wie der Rest der Welt auch. Den Großteil der ersten halben Stunde ist Max dann als Gefangener zu ziemlicher Untätigkeit verdammt, und die erste große Actionsequenz des Films verbringt er festgekettet als bizarrer Motorhauben-Aufbau wie die Gallionsfigur eines Kriegsschiffs, per Infusion als wandelnde Blutspende verbunden mit dem Krieger/Fahrer Nux (Nicholas Hoult). Man könnte dieses Bild als bizarr empfinden, hätte man zuvor nicht schon die diktatorische "Gesellschaft" kennengelernt, zu der Nux gehört, angeführt bzw. unterdrückt und gehirngewaschen von Immortan Joe (Hugh Keays-Byrne). Was hier präsentiert wird, ist so barbarisch, pervers und entmenschlicht, dass man es selbst gesehen haben muss. Der Versuch einer Beschreibung würde Millers Bildern in dieser Eingangssequenz nicht gerecht werden. Zu den verlässlichsten Kriegern von Immortan Joe gehört jedenfalls auch Furiosa (Charlize Theron), die ihren Herrscher jedoch hintergeht und mit einem fahrbaren Kriegsschiff von einem Sattelschlepper die Flucht versucht. Warum soll hier wie gesagt nicht verraten werden, jedenfalls werden Max, Furiosa und ihre Begleiter zu einer Zweckgemeinschaft, die den Rest des Films damit verbringen werden, irgendwie Immortan Joe und seinen Schergen zu entkommen.
Ebenso wie seine drei Vorgänger inhaltlich nur sehr lose miteinander zusammenhingen (und damit jeder für sich problemlos alleinstehend genießbar ist), schert sich auch "Fury Road" nicht um eine kohärente Einbettung innerhalb des bestehenden "Mad Max"-Kosmos, produziert sogar bewusst Widersprüche: Während Max im Originalfilm seinen Sohn verliert, wird der hiesige Max durch den Tod eines Mädchens verfolgt, wobei nicht mal klar wird, ob es seine eigene Tochter war. Man muss also keinen der alten Filme gesehen haben, um diesen hier begreifen und genießen zu können. Man wird ihn aber vermutlich (noch) mehr zu schätzen wissen, denn "Fury Road" atmet durch jede seiner Poren den Geist, die Atmosphäre und die rohe Energie von "Mad Max 2", und es ist bereits eine Leistung für sich, mit einem Abstand von 33 Jahren ein bahnbrechendes Meisterwerk des Actionkinos derart zu neuem Leben zu erwecken, als wäre es gerade erst gestern gewesen. "Fury Road" fängt perfekt die "Hölle auf Rädern"-Essenz seiner Low-Budget-B-Film-Vorfahren ein, nur diesmal mit einem Multimillionen-Dollar-Budget.
Was übrigens nicht heißt, dass es hier nun also erstmals "Mad Max" mit jeder Menge CGI-Effekten gibt. Mitnichten. George Miller bleibt dem Handwerk treu, das ihn damals groß gemacht hat, und so versprüht "Fury Road" eine visuelle Kraft, die im modernen, von künstlichem Effekte-Bombast dominierten Action-Kino so gut wie ausgestorben ist. Das hier ist echte, handgemachte Old-School-Action, und Miller arbeitet zum Teil mit simplen visuellen Kniffen, die seit zwei Jahrzehnten eigentlich niemand mehr benutzt - und die hier gerade deswegen wie eine kleine Frischzellenkur wirken. Wer mit dem Blockbuster-Kino des neuen Jahrtausends aufgewachsen ist, der wird so etwas wie hier wahrscheinlich noch nie gesehen haben. Roh, direkt, ungeschönt brutal und schmutzig, so weit weg wie nur irgend möglich von der aseptischen Künstlichkeit einer digitalen CGI-Explosion á la "Transformers".
"Fury Road" macht keine Kompromisse. Es ist unfassbar erfrischend einen derart groß angelegten Action-Film zu sehen, der sich nicht einen Deut um das übliche Regelwerk eines auf Massenkompatibilität ausgelegten, konventionellen Blockbuster-Films schert. Es gibt hier keine schmissigen Oneliner. Keine augenzwinkernde Ironie. Es gibt hier eine schwangere Frau, aber wer glaubt, allein deswegen ahnen zu können, welchen Verlauf die Handlung ungefähr für sie nehmen wird, wird ganz schön staunen. Die Inszenierung seiner weiblichen Figuren ist ohnehin ein Punkt, der Millers Film meilenweit von Hollywoods Standard-Konfektionsware absetzt. Es gibt hier eine Szene, die in den Händen eines Michael Bay zu einem Wet-T-Shirt-Contest mit voyeuristischer Superzeitlupe verkommen wäre. Bei Miller ist es nur ein simpler Umschnitt, der durch seinen inhärenten Kontrast einen echten Lacher und maximalen narrativen Effekt produziert. Und dann ist da natürlich die Figur der Furiosa, von Charlize Theron mit grandioser Toughness angelegt, die als absolut gleichwertiges Äquivalent zu Tom Hardys Max dargestellt wird und nicht einen Deut weniger hart, weniger versiert oder weniger entschlossen daherkommt. Die gerade grassierende Debatte um Sexismus im modernen Hollywood-Kino wird in "Fury Road" jedenfalls kein Futter finden. Höchstens als herausragendes Positiv-Beispiel.
Man kann sich bei "Fury Road" ein wenig daran reiben, dass er dem Zuschauer letztlich sehr wenig über seine Hauptfigur erzählt und bis auf eine minimale Exposition nichts darüber erläutert, wie seine Welt zu dem geworden ist, was sie jetzt ist. Aber er bleibt in dieser Hinsicht eben ein lupenreiner Exploitation-Film, in dem das Setup für seine Schauwerte nahezu irrelevant ist im Vergleich zu den Schauwerten selbst. Man könnte natürlich hier wie schon bei den alten "Mad Max"-Filmen darüber referieren, wie George Miller klassische Western-Motive in eine post-apokalyptische Zukunft transferiert. Oder man lässt sich einfach hinwegspülen von einem nahezu in Perfektion ausgeführten Actionfilm, der für seine gesamte zweistündige Laufzeit fast immer in Bewegung ist und nicht ein Gramm überflüssiges Fett an seinem Körper trägt. Man kann sich berauschen an der Comic-artig überzeichneten, teilweise fast absurden Ästhetik von Millers Straßenkrieg-Armada (der Gitarrist!!!) und an der absolut prachtvollen Farbkomposition des gesamten Films. Wohl noch nie hat ein Regisseur so vollendet mit der gesamten Palette von Orange gearbeitet, so dass man fast den Sand in seiner Lunge fühlen und den allgegenwärtigen Rost auf seiner Zunge schmecken kann.
Das einzige große Fragezeichen, das bei "Fury Road" bleibt, ist wie das heutige Kino-Publikum auf einen Film reagieren wird, der so anders ist als alles, was ihm sonst im Blockbuster-Action-Gewand vorgesetzt wird. Ja, es ist eine Fortsetzung, aber zu einer 30 Jahre alten Franchise, von der viele junge Zuschauer vielleicht noch nie gehört haben. Er hat einen sehr wortkargen Helden, dessen Dialoge sich auf das allernötigste beschränken, der als Identifikationsfigur genauso wenig taugt wie der Rest der Besetzung, und dessen moralischer Kompass bestenfalls ambivalent ist. "Hope is a mistake" ist einer von Max' Schlüsselsätzen. Und es hat lange, lange, lange keinen großen Hollywood-Film mehr gegeben, der so etwas verkündet und auch noch ziemlich ernst gemeint hat. Sei's drum. Wenn das heutige Kinopublikum mit diesem Film nicht klar kommt - es ist sein eigener Verlust. George Miller darf sich so oder so des Verdienstes rühmen, mit 70 Jahren noch einmal einen der besten Actionfilme des Jahrzehnts gemacht zu haben.
Neuen Kommentar hinzufügen