"Lone Survivor" beginnt mit einer Montage von realen, dokumentarischen Szenen aus dem Ausbildungsprogramm für die amerikanische Elite-Einheit der Navy SEALS, eine Aneinanderreihung verschiedenster Aufgaben und Prüfungen mit dem offensichtlichen einzigen Ziel, die Soldaten an die äußerste Grenze ihrer körperlichen und mentalen Belastbarkeit und darüber hinaus zu bringen (Zitat eines Ausbilders: "Gentlemen, I will introduce you to not being able to breathe"). Schon in diesen ersten Momenten setzt beim Amerika-kritischen Betrachter ein Reflex ein, mit dem man für den Rest dieses Films kämpfen wird: Uach, wieder so eine propagandistische Heldenparade über den unbezwingbaren amerikanischen Supersoldaten? Eine knappe Stunde später, während der zentralen Kampfsequenz von "Lone Survivor", wenn man halb gebannt, halb erschlagen im Kinosessel sitzt und sich erschüttert fragt, wie auch nur einer der vier beteiligten US-Soldaten überhaupt noch stehen kann nach all dem, was ihre Körper soeben alles aushalten mussten, kommt der Moment in dem man sich an diese Eröffnungs-Montage erinnert und endlich deren Sinn begreift: Nur wenn man weiß, dass diese Männer solch eine Ausbildung durchgestanden haben, kann man überhaupt glauben, dass sie in einer Situation wieder aufstehen, in der das eigentlich menschenunmöglich erscheint.
Der Amerika-kritische Betrachter mit seinem Propaganda-Skepsis-Reflex gerät spätestens an diesem Punkt in einen ernsthaften Zwiespalt. Gefangen zwischen dem Wunsch, sich von jedweder Heroisierung amerikanischer Soldaten im kontroversen "Krieg gegen den Terror" nicht einwickeln zu lassen, und dem Wissen, dass sich diese Geschichte wirklich so zugetragen hat, und man sich gegen ehrfürchtige Bewunderung für den Einsatz- und Leidenswillen dieser Männer darum kaum noch wehren kann. Es ist in der Tat die große Leistung von "Lone Survivor", dass man durchweg das Anliegen des Films spürt, aus eben solcher Bewunderung heraus diesen Männern ein Denkmal setzen zu wollen, es der Film aber gleichzeitig schafft, allzu naheliegende Vorwürfe blinder Propaganda zu entkräften. Dies ist eben nicht "Act of Valor". Dies ist die ehrliche, ungeschönte Version.
Der titelgebende "Lone Survivor", auf dessen Tatsachen-Bericht dieser Film basiert, ist der Soldat Marcus Luttrell (Mark Wahlberg), der zusammen mit seinen drei Gefährten Michael Murphy (Taylor Kitsch), Danny Dietz (Emile Hirsch) und Matt Axelson (Ben Foster) während ihres Afghanistan-Einsatzes auf eine recht klare Mission geschickt wird: Um die Eliminierung eines wichtigen Taliban-Anführers vorzubereiten, sollen sie durch unwegsames Gelände zu Fuß zu einem abgelegenen Bergdorf vordringen, um dort unbemerkt den Aufenthaltsort des gesuchten Mannes zu verifizieren, bevor dann der eigentliche Angriff erfolgt. Doch dann verwandelt sich der Einsatz plötzlich in einen schier ausweglosen Kampf ums nackte Überleben, als das Soldaten-Quartett von einigen unschuldigen Zivilisten entdeckt wird und mit einer schwerwiegenden Entscheidung konfrontiert ist: Entweder entgegen ihrer Einsatzbefehle handeln und die Unschuldigen töten, oder sie laufen lassen und damit in Kauf nehmen, kurz darauf von über einhundert Taliban-Kämpfern gehetzt zu werden, ohne Hilfe rufen zu können. Denn in dieser abgelegenen Gegend ist die Kommunikation zur Basis abgeschnitten.
Wie diese Entscheidung ausfallen wird und dass ihre Folgen für drei der vier Soldaten kein gutes Ende nehmen werden, kann man kaum als Spoiler bezeichnen, denn schon allein der Filmtitel verrät mehr als eindeutig, wie diese Sache ausgeht. Nichtsdestotrotz ist jene Szene, in der die vier Soldaten hitzig über ihre Optionen diskutieren und mit allem (absolut nachvollziehbaren) Für und Wider eben auch ganz offen die Möglichkeit in Betracht ziehen, diese Zivilisten zu erschießen, von nervenzerreißender Intensität und Spannung, denn dem Zuschauer ist ebenso wie den Soldaten selbst klar, dass sie hier mit großer Wahrscheinlichkeit ihr eigenes Todesurteil unterschreiben, falls sie sich für das moralisch Richtige entscheiden. Für den Weg hin zu diesem zentralen Wendepunkt nimmt sich Regisseur und Drehbuchautor Peter Berg indes viel Zeit, um die Lebenswelt und das Miteinander seiner Figuren zu etablieren, und damit etwas zu leisten, was seinen Film entscheidend von einem reinen Propaganda-Werbefilm wie "Act of Valor" abhebt: Er schafft Glaubwürdigkeit.
Es ist absolut und geradezu faszinierend authentisch, wie diese Männer kumpelig aber eben auch mit einer militärischen Ruppigkeit miteinander sprechen, umgehen, agieren. Wie sie sich gegenseitig hochnehmen und durch peinliche Initiationsrituale zwingen, dann aber auch wiederum in selbstverständlicher Offenherzigkeit ihre Sehnsucht nach ihren Frauen daheim teilen. Das alles wirkt so echt, so überhaupt nicht aufgesetzt, dass das herausragende Drehbuch (ebenfalls von Peter Berg) hier fast seine größte, wenn auch dezenteste Leistung vollbringt: Dem Zuschauer den Glauben an diese Figuren schenken. Damit ist der Film für seine restliche Laufzeit vor dem Vorwurf gefeit, dass er unglaubwürdige Werbefiguren von Supersoldaten abbildet. Und damit investiert das Publikum auch soweit emotional in diese Geschichte, dass es wirklich mitleidet, wenn das ausweglose Martyrium für die vier zentralen Figuren beginnt.
Die bereits angesprochene, zentrale Kampfsequenz des Films ist darum dann auch für den Zuschauer eine geradezu schmerzhafte Erfahrung, und gleichzeitig ein denkwürdiger Höhepunkt im Genre des Kriegsfilms. Selten hat ein Film so lange eine solch konzentrierte Kampfsituation dokumentiert und dabei derart Herausragendes geleistet was Spannung, Intensität und Klarheit der filmischen Erzählung betrifft. Hier zeigt sich Peter Bergs Meisterschaft als Regisseur sowie die kaum minder großartige Leistung seines (übrigens deutschen) Kameramannes Tobias Schliessler fast noch mehr als in der stimmungsvollen ersten Stunde des Films, die auch immer wieder mit absolut prachtvollen Aufnahmen der kargen afghanischen Berglandschaft aufwartet.
Die letzte halbe Stunde und Marcus Luttrells letztendlicher Weg aus dieser Todesfalle spricht den Film schließlich vollends von dem reflexartigen Vorwurf frei, eine rein amerikanische Heldengeschichte erzählen zu wollen. Hier wird nachhaltig daran erinnert, dass alle westlichen Soldaten in diesem Land zwar wegen dem "Krieg gegen den Terror" dort sind, aber eigentlich nur Gastkämpfer sind in einem Konflikt, der vor Ort in Wirklichkeit ein Bürgerkrieg ist. Ohne Aussicht auf ein Ende.
Ohnehin ist der Propaganda-Vorwurf-Reflex zum Ende des Films längst verstummt, und ist einem bleibenden Eindruck gewichen: Beeindruckt vom Durchhaltevermögen der porträtierten Soldaten, beeindruckt von der aufwühlenden Geschichte, die man hier bezeugt hat, und beeindruckt von der Leistung Peter Bergs, der hier etwas abgeliefert hat, was wirklich Seltenheitswert genießt: Ein Actionfilm mit Substanz.
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