Bunt, bunter, noir?
Madrid, 1980. Der junge Regisseur Enrique Goded (Fele Martínez, "Sprich mit ihr", "Open your eyes") bekommt Besuch von einem jungen Schauspieler (Gael García Bernal, "Amores Perros", "Y tu Mama tambien"), der sich als sein ehemaliger Schulkamerad Ignacio ausgibt. Enrique ist erfreut, aber hat Schwierigkeiten, den alten Freund wieder zuerkennen, zumal dieser auch noch mit "Ángel" angeredet werden möchte. Der Schauspieler bringt ihm die Geschichte "Der Besuch" als Vorlage für ein Drehbuch. Die Geschichte handelt von ihrer gemeinsamen Schulzeit auf der Klosterschule und ihrer Jugendliebe, die von Padre Manolo (Daniel Giménez-Cacho) jäh zerstört wurde. "Der Besuch" beschreibt wie Ignacio, der mittlerweile ein drogensüchtiger Transvestit ist, seinen früheren Lehrer mit seinem Missbrauch konfrontiert und erpressen will. Enrique ist sehr berührt und beschließt, die Geschichte zu verfilmen. Darüber hinaus beginnt er eine Beziehung mit Ángel ohne zu ahnen, worauf er sich eingelassen hat.
Was wie eine in Rückblicken erzählte Geschichte beginnt, entpuppt sich mit zunehmendem Verlauf als eine komplizierte Verschachtelung von Beziehungen und Rollen der Figuren miteinander. Almodóvar spielt mit den Möglichkeiten des Geschichtenerzählens und genießt es offensichtlich, den Zuschauer an der Nase herumzuführen, so dass man sich einigermaßen schwer tut, eine klare Linie in das Geschehen auf der Leinwand zu bringen. Die Episode des (nur angedeuteten) Kindesmissbrauchs ist dabei nicht mehr als ein Mittel, die Männer in der Gegenwart zu verbinden, und hat mit der eigentlichen Handlung nicht viel zu tun. Allerdings wird Almodóvar diesem heiklen Thema mit einem derart leichtfertigen Umgang nicht gerecht: Er bedient er sich der Anziehungskraft und Symbolik der kindlichen Unschuld, um seinen Film zu verkaufen. Warum ziert z.B. ein kleiner Junge im Turnhemd das Plakat, wenn der Film sich mit etwas ganz anderem beschäftigt? Almodóvar verurteilt das Verhalten Padre Manolos, aber gleichzeitig verweilt die Kamera etwas zu lange auf den im Wasser planschenden Jungen. Er lädt den Zuschauer ein, sich in eben diese Position des Voyeurs zu begeben. Dieses Motiv wird durch den Film hindurch beibehalten. Die Figuren beobachten einander und filmen einander. Wie schon in "Sprich mit ihr" konfrontiert Almodóvar den Zuschauer ständig mit unbequemen moralischen Konflikten und Entscheidungen. Der Zuschauer wird durch das Zuschauen zum Komplizen gemacht, eine Rolle die mitunter unangenehm ist.
Almodóvar möchte seinen Film als Film Noir verstanden wissen, bei dem die Figur des Ignacio gleichzeitig "Femme fatale" und "Enfant terrible" ist. Er ist sich seiner Anziehungskraft bewusst und reißt andere damit ins Verderben. Dabei ist es besonders die allgegenwärtige Fatalität, die dem Film die Atmosphäre eines Noir gibt. Diese und weitere Anspielungen an die klassische "Schwarze Serie" sind allerdings auch bitter nötig, denn bei all den für Almodóvar typischen Bonbonfarben fällt es bisweilen schon etwas schwer, an Noir zu denken. Zum Beispiel gehen die Männer nach verübter Tat in ein Kino in dem rein zufällig "Noir Woche" ist und sehen sich unter anderem "Bestie Mensch" an, was als kleiner Wink mit dem Zaunpfahl verstanden werden kann. Zudem gibt es eine Szene im Puppenmuseum, die als Hommage an die Supermarkt-Szene aus "Frau ohne Gewissen", Billy Wilders Meisterwerk des Noir, gedacht ist. Man könnte sagen der Regisseur ist ein bisschen zu sehr bemüht, seinem Film ein paar Genre-Merkmale zu geben. Besonders da diese weit hergeholt sind. Das Farben und Noir nicht zusammen passen findet man zumindest in England: In einem Werbespot des englischen Telefonanbieters Orange wird Roy Scheider ("Der Weiße Hai") dazu aufgefordert, aus seinem von der Firma gesponserten Film Noir einen Film "Orange" zu machen. Daraufhin stürmt er beleidigt aus dem Büro. Almodóvar wäre wohl geblieben...
Nachdem sich Spaniens Vorzeige-Regisseur in seinen letzten Filmen ("Sprich mit ihr", "Alles über meine Mutter") hauptsächlich mit Frauen beschäftigt hatte, sind Frauen in diesem Film erstaunlich rar. Das macht aber nichts, sind die Hauptfiguren von "La Mala Educación" doch androgyne Grenzfälle, die problemlos auch als Frauen durchgehen. Besonders Gael García Bernal ist es zu verdanken, dass Ignacios Auftritt als Zahara nicht zur Farce wird. Laut Regisseur war sein wichtigstes Auswahlkriterium, dass sein Hauptdarsteller sowohl als Mann und als Frau verführerisch und glaubhaft wirken musste. Dies gilt nicht unbedingt für Javier Cámara, aber im Gegensatz zu Zahara soll sein Transvestit Paquito das Publikum wohl auch amüsieren. Sehr bewegend ist außerdem Lluis Homar, der den alten Padre, der der "Femme" fatale Ángel verfallen ist, spielt. Sein Verlangen bringt ihn abermals in Schwierigkeiten, womit der Film zu seinem Ausgangspunkt zurückkehrt.
Anfangs brillant zeigt "La Mala Educación" ein Netz von Intrigen und verhängnisvollen Liebschaften. Er setzt wirkungsvoll Elemente wie den Film im Film ein. Auch die Titelsequenz ist fantastisch. Leider ist Almodóvar nicht dabei geblieben. Der Film ist zu bemüht, immer noch ein Element einzubauen, wie zum Beispiel die vielen Anlehnungen an den Film Noir. Außerdem hätte die Geschichte des Missbrauchs der Jungen einen eigenständigen Film verdient, anstatt als kleine Episode verheizt zu werden. Obwohl Almodóvar selbst diesen Film als seinen persönlichsten bezeichnet, kommt er nicht an die Klasse von "Alles über meine Mutter" oder "Sprich mit ihr" heran. Und: "Moon River" sollte ausschließlich von Audrey Hepburn gesungen werden. Alles andere schmerzt.
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