Jahrmarktsrummel

MOH (38): 6. Oscars 1934 - "Jahrmarktsrummel"

In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".

von Matthias Kastl / 23. Januar 2024

Vor einige Zeit hatte ich ja gebeichtet, dass ich in dieser Reihe bei mir eine Art emotionale Achillesferse für alte Filme, die mit einem nahezu unerschütterlichen Optimismus ihre Storywege beschreiten, entdeckt habe. Auch bei "Jahrmarktsrummel" sei wieder gewarnt, wer den inneren Zyniker nicht ausschalten kann wird dem Film nicht viel abgewinnen können. Falls doch ist wohliges Kaminfeuer-Gefühl angesagt, das im Vergleich zu "Lady für einen Tag" aus der letzten Folge hier aber gleich von Anfang an zündet.

Jahrmarktsrummel

Originaltitel
State Fair
Land
Jahr
1933
Laufzeit
99 min
Genre
Regie
Release Date
Oscar
Nominiert "Outstanding Production"
Bewertung
8
8/10

Eine der schönsten Eigenschaften des Kinos ist es, dass es auf der großen Leinwand auch mit ganz kleinen Geschichten wundervoll unterhalten kann. “Jahrmarktsrummel“ bietet ein Nichts an Story und hält eine ziemlich simple Botschaft bereit, ist aber dank seiner sympathischen Figuren und dem niedlichen “Fish out of Water“-Flair für seine 99 Minuten ein sehr angenehmer und wohliger Zeitgenosse.

In diesen begleiten wir den Farmer Abel Frake (Will Rogers) aus Iowa mit seiner Familie auf eine State Fair, die sich am Besten als Mischung aus Kirmes und zahlreichen landwirtschaftlich geprägten Wettbewerben beschreiben lässt. So möchte Will mit seinem prächtig genährten Eber Blue Boy die Preisrichter überzeugen, während seine Frau Melissa mit ihren Kochkünsten in der Kategorie “Bester Hackbraten“ antritt. Für den Spaß und die moralische Unterstützung sind bei diesem Familienausflug auch die beiden Kinder Margy (Janet Gaynor) und Wayne (Norman Foster) dabei. Als Margy aber den jungen Reporter Pat (Lew Ayres) und Wayne die Trapezkünstlerin Emily (Sally Eilers) kennenlernt, merken beide, dass so eine State Fair auch noch einen ganz anderen Reiz haben kann.


Nüchtern betrachtet besteht “Jahrmarktsrummel“ eigentlich fast nur aus ein paar harmlosen Flirts und überraschungsfrei ablaufenden Strängen rund um die beiden Preisverleihungen. Dabei wird deutlich mehr Wert auf leichten Humor und gute Laune als ausgefeilte Spannungsbögen oder tiefgehende Dramatik gelegt. Ob einem der Film gefällt hängt somit vor allem davon ab, ob man sich von der Kaminfeuer-Stimmung des Filmes anstecken lässt, die ihre Kraft vor allem aus der wundervollen Chemie zwischen den vier Familienmitgliedern zieht. Dabei schafft man es hier gekonnt, genau soviel Zuckerguss über die Geschichte zu kippen, dass man davon dann doch keine Bauchschmerzen kriegt.

So wird die Heile-Welt-Atmosphäre in der Familie immer wieder erfolgreich durch kleine Neckereien und ironische Seitenhiebe zwischen den Akteuren aufgelockert, wodurch das alles sympathisch-unterhaltsam anstatt anstrengend-kitschig daherkommt. Wenn Papa heimlich den Brandy in das Wettbewerbsessen seiner Frau kippt, um den Geschmack zu verbessern oder die Familie sich bezüglich dessen Liebe zu Eber Blue Boy lustig macht, dann ist das mit soviel Sympathie und Liebe umgesetzt, das man nur zu gerne ein Dauergrinsen aufsetzt.

Dazu wird wieder einmal deutlich, dass man mit tollen Darstellern selbst den simpelsten Figuren mächtig Leben einhauchen kann. Der grummelige Vater, die stets besorgte Mutter, der naiv-schüchterne Sohn und die energiegeladene Tochter – viel komplizierter legt man die Protagonisten hier nicht an. Weil aber alle Schauspieler und Schauspielerinnen hier so unglaublich sympathisch agieren und interagieren, wachsen sie einem alle irgendwie ans Herz. Allen voran die wieder einmal unglaublich charismatische Janet Gaynor, deren Ausstrahlung wir in dieser Reihe ja schon mehrmals gelobt haben. Das “Jahrmarktrummel“ sich selbst nicht so wirklich ernst nimmt und gerade die stattfindenden Wettbewerbe auf dem Rummel mit dem nötigen Augenzwinkern kommentiert, macht es noch einfacher sich ein klein wenig in diesen Film zu verlieben.


All das ist auch noch relativ flott und mit schönen Bildern inszeniert, wobei der Film ein besonders gutes Gespür dafür beweist, die Faszination für die wuselige Jahrmarktwelt der ja eher Ruhe und Einsamkeit gewöhnten Farmer-Familie erfolgreich einzufangen. Es ist dabei auch faszinierend zu sehen, wie souverän inzwischen die Filmsprache mit den Herausforderungen des erst vor wenigen Jahren eingeführten Tonfilms umgeht. Ob die Kamerafahrten über die wuselige Kirmes oder ein clever und temporeich geschnittenes Pferderennen, Regisseur Henry King holt auch mit dem damals ja noch sperrigen Tonequipment in Sachen Inszenierung das Maximum aus dieser einfachen Geschichte raus.

King, der in seinen Filmen oft den Fokus auf sehr persönliche und oft nostalgisch angehauchte Geschichten legte, ist heute wohl nur noch den wenigsten Cineasten ein Begriff. Wenn man aber dessen Feingefühl für die Interaktion zwischen den Figuren hier sieht, kann man ganz gut nachvollziehen, warum King über mehrere Jahrzehnte einer der kommerziell erfolgreichsten Regisseure der Traumfabrik war.

So harmlos “Jahrmarktsrummel“ aber auch eigentlich inhaltlich daherkommt, die immer stärker in Erscheinung tretenden Moralhüter Hollywoods hatten trotzdem etwas zu meckern. Als der Film 1936 Jahre für einen Re-Release veröffentlicht wurde musste kurzerhand eine für zu erotisch deklarierte Szene, in der im Hintergrund die Anwesenheit eines Negligees Sexualverkehr implizierte, entfernt werden. Die Szene ist heute leider für immer verschollen und ein gutes Beispiel dafür, wie vorsichtig Hollywoods Filmemacher und Filmemacherinnen schon bald bei der Inszenierung und Wahl ihrer Geschichten vorgehen mussten.

Ob jetzt mit oder ohne Negligee, “Jahrmarktsrummel“ ist am Ende einfach ein wirklich rund um gelungener Gute-Laune-Film, der komplett ohne Antagonisten auskommt und seine einfache Story mit einer großen Portion Charme und sehr sympathischen Figuren aufwertet. Das mögen manche weniger hoch bewerten als ich, aber ich vertrete in dieser Reihe ja schon immer die Meinung (siehe hier und hier), dass so kompetent und liebevoll umgesetztes Wohlfühlkino bei aller Schlichtheit auch mal ne ordentliche Wertung einsacken darf.

"Jahrmarktsrummel" ist aktuell leider nicht offiziell als DVD erhältlich. Man findet den Film aber aktuell auf Youtube (Stichwortsuche: "State Fair 1933").
 

Die "Verführung" von Wayne - allerdings in der Jugend- und Negligé-freien Version.


Ausblick
In unserer nächsten Folge gönnen wir uns eine verdiente Pause vom emotionalen Zuckerguss der letzten beiden Episoden und tauchen ein in die Abgründe des amerikanischen Justizsystems.


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