New York 2095: Die Stadt ist in Zonen unterteilt, in denen mehrere Bevölkerungsschichten hierarchisch aufgeteilt leben, Menschen ebenso wie genmanipulierte Humanoiden. Regiert wird die Stadt von skrupellosen Großkonzernen und ihrer Polizeimacht. Plötzlich taucht eine freischwebende Pyramide am Himmel auf: Die alten ägyptischen Götter sind zurück! Bei denen handelt es sich jedoch in Wirklichkeit um eine Rasse unsterblicher Außerirdischer, die auf die Erde kommen um einen der ihren dort ins sterbliche Exil zu schicken. Sieben Tage als unsterbliche Gottheit bleiben dem ausgestoßenen Horus, die dieser - wie besessen von dem Wunsch nach Unsterblichkeit - nutzen will, um sich fortzupflanzen. Die Eigenschaft mit Göttern zu schlafen ist den Menschen normalerweise verwehrt, weswegen das Interesse an Jill (Ex-Model Linda Hardy) - zum Teil Mensch, zum Teil Mutantin - rapide ansteigt. Der körperlose Horus sichert sich die Dienste des nach einem Unfall im Sterben liegenden Nikopol (unser Exportschlager Thomas Kretschmann) durch ein Angebot, das dieser nicht ausschlagen kann: Er wird weiterleben, wenn er Horus für eine Woche seinen Körper überlässt. Und so machen sich Horus/Nikopol auf die Suche nach Jill, deren Geheimnis auch die Ärztin Turner (Charlotte Rampling) ergründen will. Derweil macht auch ein Serienkiller, der sogenannte Hammerhaimörder, die Stadt unsicher, an dessen Fersen sich Polizeikommissar Fröbe heftet....
Man hatte ja durchaus Erwartungen, was Enki Bilals "Immortel" betraf. Ein sehr interessant aussehender Teaser versprach einen optischen Leckerbissen, man hatte gar ganz leise Hoffnung auf einen neuen "Blade Runner". Und dann das hier: "Immortel" kann leider nicht nur die in ihn gesteckten Erwartungen nicht erfüllen, der Film erweist sich gar als eine der größten Enttäuschungen der letzten Zeit. Denn man ahnt noch, was aus den definitiv vorhandenen interessanten Ideen Bilals hätte werden können, hätte er nur einen vernünftigen Weg gefunden, sie zu präsentieren.
Er fand ihn nicht und traf fast alle falschen Entscheidungen, die er treffen konnte. Er war gleichzeitig zu mutig und zu feige. Zu mutiges Vertrauen in eine noch nicht hundertprozentig ausgereifte Technik, aber zu feige, den eigenen erzählerischen Ansprüchen zu genügen. Denn was Bilal auch an visuellen Tricks hervorzieht, sie können sein desaströses Drehbuch oder die schwache Regieführung zu keinem Zeitpunkt aufwiegen. Immerhin kann Bilal alles nur sich selbst zuschreiben. Denn wenn man einem Comiczeichner schon die Möglichkeit gibt, seine eigene Kreation zu verfilmen, dann liegen dem doch praktisch alle Möglichkeiten offen, sein Werk adäquat zu verfilmen.
Aber wie gesagt, er war auch zu feige, der gute Enki Bilal. Denn weil laut Eigenaussage ein Film sowieso nicht die erzählerischen Freiheiten der Papierzeichnung bietet, hat er es gar nicht erst versucht und Motive aus seinen Comicalben "La Foire aux Immortels" und "La Femme Piège" nur noch so rudimentär übernommen, dass man so gut wie nix versteht. Die ausschweifende Story wurde auf ein dünnes und nicht tragfähiges Gerüst reduziert, das gleichzeitig zuviel und zuwenig liefert: Zuviel nicht erklärte oder ausgeführte Handlungsstränge (so wird etwa Nikopols Hintergrund als Anführer einer Revolte kurz erwähnt, ohne dass das wichtig ist oder wieder aufgegriffen wird) und zuwenig Ausarbeitung der komplett eindimensionalen Charaktere.
Überhaupt lässt das Drehbuch einen roten Faden vermissen, denn die Auswahl der Motive scheint Bilal willkürlich vorgenommen zu haben. So gibt es mindestens drei Handlungsstränge, die alle mehr schlecht als Recht miteinander verbunden werden. Fast tödlich: Ausgerechnet die Hauptgeschichte um Jill und Nikopol ist langweilig und höhepunktarm, einzig Fröbes Mörderhatz kann zumindest in Ansätzen so etwas wie Spannung aufbauen.
Aber größtenteils ist das Gezeigte sterbenslangweilig und konfus, zum Teil auch mit peinlichen Aussetzern. Dazu muss man sicherlich auch die ganze "Horus will sich fortpflanzen"-Storyline zählen. Offenbar leiden auch Außerirdische unter vorzeitiger Ejakulation - anders ist wohl kaum zu erklären, dass er Jill nicht einmal sondern gleich zweimal vergewaltigen muss. Und dass diese Vergewaltigungen dann nicht einmal entsprechend thematisiert, sondern als Notwendigkeit präsentiert werden, ist ein beiläufiges, aber böses Foul.
Was bleibt bei diesem Unsinn eigentlich noch? Na klar, die Optik. Zumindest auf den ersten Blick können die Bilder des futuristischen New York beeindrucken und sind quasi alleinverantwortlich für die paar Gnadenpunkte, die man diesem ausgemachten Schmarren noch zugestehen kann. Ein paar Szenen hat man so noch nicht gesehen und die bleiben dann auch hängen (Horus' Heraustreten aus der Pyramide, Nikopols "Schienenbein", der die Wände entlang düsende Hammerhaimörder). Aber innerhalb von kürzester Zeit stolpert man auch bei der Optik über Bilals konzeptlose und ziellose Regie.
Dazu muss gesagt werden, dass "Immortel" wie etwa auch der "Sky Captain" fast ausschließlich vor Green Screens, also ohne echte Kulissen entstand. Das Problem, was weder der eine noch der andere Film zufrieden stellend löst: Die von Schauspielern aus Fleisch und Blut dargestellten Figuren und ihre computergenerierte Umgebung mischen sich nicht, die künstliche Welt bleibt immer als solche erkennbar, kein Sprung oder Schlag hat eine erkennbare Wucht, alles ist glatte CGI-Oberfläche. Das menschliche Hauptdarstellertrio Hardy, Kretschmann und Rampling - durch das Drehbuch offenbar noch nicht genug gestraft - müssen noch die zusätzliche Schmach hinnehmen, dass sie als komplette Fremdkörper durch die gezeigte Welt wandern.
So dreht und wendet man ein Problem: Während Dreck wie "Van Helsing" seine liebe Not hatte, die tausend lausigen CGI-Animationen sinnvoll in die Realkulissen zu integrieren, so hat man hier umgekehrt Probleme, die menschlichen Darsteller in die virtuelle Kulisse zu integrieren. Die vollanimierten Figuren dagegen haben nicht nur Probleme, was ihre Glaubwürdigkeit betrifft, da sie allzu offensichtlich aus dem Rechner stammen. Sie haben auch Probleme ganz existenzieller Art, denn oft fragt man sich, was sich Bilal bei dieser wilden Ansammlung von CGI-Figuren quer durch die Bevölkerungsschichten der "Immortel"-Welt gedacht hat. Warum werden manche menschlichen Charaktere von menschlichen Darstellern gespielt, während andere dagegen komplett aus dem Rechner stammen? Wäre es nicht sinnvoller gewesen, nur die nicht-menschlichen Wesen (Mutanten und Außerirdische) aus dem Computer zu generieren? Oder wenn schon viel animieren, dann eben alle Figuren im "Final Fantasy"-Stil? Hier folgen die Charaktere auch in ihrer Darstellung keinerlei System, keinerlei führenden Hand und zeugen einmal mehr von Bilals offensichtlicher Überforderung als Regisseur.
Nicht einmal als gescheitertes Experiment will "Immortel" noch ein gewisses Interesse aufbieten, denn dafür ist das Gezeigte schlicht zu uninteressant und doof. Dagegen war ja selbst der "Sky Captain" noch ein Meisterwerk, und das will nun wirklich was heißen. Da bleibt es also in ein paar Wochen "Sin City" überlassen, zur Ehrenrettung des kleinen "Virtuelle-Kulissen"-Booms anzutreten, denn nach zwei Fehlschlägen ist dieser Versuchsballon schon so gut wie abgeschmiert.
Hoffen wir also auf bessere Zeiten für grüne Leinwände und das alte Sprichwort mit dem Schuster und den Leisten. Denn statt noch einmal so eine filmische Vollkatastrophe abzuliefern, setzt sich Bilal vielleicht lieber wieder an den Zeichentisch und lässt seiner Fantasie da freien Lauf, damit es weniger fürchterlich wird. Unsterblichkeit kann sich "Immortel" jedenfalls abschminken, das einzige was für diesen Film drin ist, ist ein wenig Berüchtigtsein als einer der Flops des Jahres.
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