Ein Horrorfilm, ein Drama, ein verschachtelter Mystery-Thriller. All dies verbirgt sich hinter dem sperrigen Titel „Hereditary“, was so viel wie „Vererbung“ bedeutet. Womit im Grunde bereits ein Hinweis auf die Erklärung für viele Vorkommnisse in dieser Geschichte gegeben wird, bei der lange unklar zu sein scheint, wohin sie führen soll. Bis schließlich alles einen Sinn ergibt und sich der Kreis zum Anfang schließt. Es ist daher Aufmerksamkeit gefragt und sicher auch ein wenig Geduld, beim ungewöhnlich erzählten Werk von Regisseur Ari Aster, der damit sein bemerkenswertes Langfilmdebüt gibt. Eine Investition, die sich aber definitiv lohnt wenn man denn mehr von einem intelligenten Schocker erwartet als ein paar blutige Szenen und gleichmäßig über die Laufzeit verteilte Jump Scares. Belohnt wird man stattdessen mit einem der intensivsten Film des Jahres, der noch lange nachwirkt.
Ihre Mutter und Großmutter ist gestorben, doch von Beginn an fällt auf, dass anscheinend weder Tochter Annie (Toni Collette) noch Enkel Peter (Alex Wolff) echte Trauer über diesen Verlust empfinden können. Irgendwas war offenbar ganz und gar nicht in Ordnung mit der alten Dame, und auch mit deren zweiter Enkeltochter Charlie (Milly Shapiro) scheint etwas nicht zu stimmen, legt die doch ein zunehmend erratisches Verhalten an den Tag. Lediglich das männliche Familienoberhaupt Steve (Gabriel Byrne) sorgt für etwas Ruhe und Ausgeglichenheit, doch auch damit ist es vorbei als ein schwerer Schicksalsschlag die Familie erschüttert. Fortan sind Annie und auch Peter psychisch schwer angeschlagen und kaum noch in der Lage ihren Alltag zu bewältigen. Bis sich für Annie durch die Bekanntschaft mit einer Leidensgenossin plötzlich die Chance ergibt, das Geschehene irgendwie zu verarbeiten und Trost zu finden. Es könnte aber auch sein, das durch ihre Reise ins Okkult-Übernatürliche alles nur noch viel schlimmer wird.
Man sehe dem Rezensenten die etwas nebulöse Inhaltsbeschreibung nach, aber es wäre wirklich schade zu viel von der Entwicklung der Handlung vorwegzunehmen. Selbst anschauen und überraschen lassen soll hier das Motto sein, auch wenn die dabei anstehende Reise in eine Welt aus Schmerz und Leid per se keine wirklich angenehme ist. Und wenn nach etwas mehr als einer halben Stunde mit einer im Kern sogar noch dezent inszenierten Szene das pure Grauen Einzug hält, dann geschieht dies auf eine Weise, die nicht nur die Protagonisten auf der Leinwand in absolute Schockstarre versetzt. Schlichtweg brillant ist die Umsetzung dieser Sequenz und es gilt zu attestieren, dass hier jemand versteht wie man seinem Publikum einen echten Wirkungstreffer versetzt.
Die Kunst, die Ebene des Realistisch-Glaubwürdigen bis zum Schluss nicht zu verlassen, auch wenn es irgendwann um Seancen und Geisterbeschwörungen geht, beherrscht der Newcomer auf dem Regiestuhl vortrefflich, und es hat wohl seit M . Night Shyamlans „The Sixth Sense“ keiner mehr mit einem derartigen Paukenschlag das Genre des übernatürlich-gruseligen Kinos betreten (weshalb es nur passend ist, dass auch in diesem Film Toni Collette mitwirkt und eine überragend intensive Leistung abliefert). Ein Lob, dass es ohne Abstriche an ihre beide jungen Kollegen Alex Wolff und Milly Shapiro weiterzugeben gilt, die ihren vom Schicksal gebeutelten Figuren extrem scharfe Konturen verleihen, vor allem Shapiro schafft dies fast allein mit ihrem Mienenspiel. Also entweder damit oder halt mit ihrer absoluten Ausdruckslosigkeit beim gelegentlichen Abschneiden von Vogelköpfen.
„Hereditary“ besteht aus vielen kleinen Elementen, die alle ihre eigene Bedeutung und Ebene haben, seien es die fast abstoßend realen Miniatur-Modelle mit denen Annie ihre eigenes Leben nachbaut oder die immer wieder auftretenden Albträume und Selbstverstümmelungen. Es ist ein Gefühl von schrecklicher Unausweichlichkeit, das hier vermittelt wird, und das sich dann auch konsequenterweise nicht einfach am Ende in Luft auflöst, auch wenn durchaus die Gefahr besteht, dass der eine oder andere Ari Aster bei der präsentierten Auflösung dann doch nicht mehr folgen mag und sich mit Blick auf den zuvor gezeigten Realismus vielleicht sogar ein wenig betrogen fühlt. Doch Betrug ist dieses Ende ganz sicher nicht, wenn man zurückblickt wird völlig klar, dass im Prinzip von Anfang an alles auf genau so ein Finale hinaus lief, in einem Film, bei dem jede einzelne Szene genau geplant, durchkomponiert und absolut stimmig ist. Das Ergebnis ist ein kleines, aber feines Meisterwerk.
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