
Stanley
Phillips (John Cusack) verkörpert genau das, was sich der Europäer
unter dem Kleinstadt-Amerikaner vorstellt. Er hat ein Haus, eine
Frau, zwei Kinder, ein paar Pfunde zu viel auf den Rippen und den
festen Glauben an das, was Präsident Bush auf militärischer
Ebene in anderen Teilen der Erde so treibt. Wenn er sich mit einer
Gruppe Frauen seines Alters zum gemütlichen Beisammensein trifft,
könnte man meinen, es handle sich hierbei um einen Buch-Club.
Doch stattdessen treffen sich Lebenspartner
von Soldaten, die in den Irak-Krieg gezogen sind. Stanleys Frau
Grace ist als Sergeant dort stationiert. Eines Tages klingelt es;
ein Mann von der US-Army und ein Priester stehen vor der Tür.
Sie überbringen Stanley die Nachricht vom Tod seiner Frau.
Kurz darauf kommen die beiden Mädchen nach Hause, Heidi (Shélan
O'Keefe) und die etwas jüngere Dawn (Gracie Bednarczyk). Stan
bringt nicht die Kraft auf, es ihnen zu sagen. Stattdessen überrascht
er sie kurz entschlossen mit einem Ausflug zum Freizeitpark "Enchanted
Gardens" am anderen Ende des Landes. Dort will er es ihnen
sagen. Dort ist die Zeit reif dafür.
Klingt nicht wirklich nach einem spektakulären Film und in der Tat ist "Grace Is Gone" auch alles, nur eben kein spektakulärer Film. Regie-Debütant James C. Strouse erzählt im Prinzip eine Geschichte von größter Schlichtheit und behandelt ein Ur-Thema, nämlich den Umgang mit Verlust, mit Trauer. Leicht variiert, da Vater Stan den Tod der Mutter zunächst verheimlicht, um auf den vermeintlich richtigen Moment zu warten. Das ist der wesentliche Plot. Eigentlich nicht der Stoff, aus dem Filme gemacht sind, die die Welt noch unbedingt braucht. Doch nach 85 Minuten steht die Erkenntnis: Verzichten möchte man auf diese kleine Perle nun wahrlich nicht mehr.
Seine Spannung zieht "Grace Is Gone" aus den Fragen,
die sich unvermeidlich stellen: Wie versteckt Stan die Trauer vor
seinen Kindern, wie geht er mit dem Tod seiner Frau um? Findet er
wirklich den passenden Zeitpunkt, es ihnen zu sagen? Existiert ein
solcher Zeitpunkt überhaupt und wie sieht er aus? Oder kommt
ihm seine Tochter Heidi vielleicht sogar zuvor? Sie merkt, dass
irgendetwas nicht stimmt. Und je länger die Reise dauert, desto
größer wird auch ihr Misstrauen.
Mit
der Zeit lernt der Zuschauer auch Stan besser kennen. Man erfährt,
warum der Vater seinen Töchtern Nachrichten-Sendungen, die
den Irak-Krieg behandeln, verbietet, warum sein Verhältnis
zu den Beiden überhaupt so schlecht ist, warum er - nicht erst
seit dem Tod seiner Frau - so verbittert wirkt und worauf sich sein
Vertrauen in die Führungskräfte seines Landes stützt.
Neben diesem Hauptthema tauchen auch immer wieder diese kleinen,
wundervollen Szenen auf, die zur Handlung eigentlich wenig beitragen.
Wie Stan sich zum Beispiel alte Jugend-Träume erfüllt
und mit dem Auto querfeldein über den Acker jagt oder wie er
seiner älteren Tochter das Rauchen unschmackhaft macht; das
ist durchaus humorvoll. Und dringend notwendig, um dem Film die
erdrückende Last seiner ernsten Thematik zu nehmen. So geschieht
es, dass ein auf dem Papier todtrauriger Film relativ leicht daherkommt
und das Schauen nicht zur tränenreichen Qual gerät.
Das ändert sich jedoch, je näher das Unvermeidliche heranrückt.
Besonders auf den Szenen im Vergnügungspark, die eigentlich
die fröhlichsten im gesamten Film sein sollten, lastet plötzlich
eine bleierne Schwere. Denn es ist klar, was nun kommt. Was nun
kommen muss. Die Art und Weise, wie Strouse seine Geschichte erzählt,
wie er seine Figuren dem Zuschauer nahe bringt, das sorgt dafür,
dass der unausweichliche Höhepunkt das Publikum unmöglich
kalt lassen kann.
Außer
den bisher Genannten fällt nur einem weiteren Charakter eine
größere Rolle zu. Auf der Reise zum "Enchanted Gardens"
macht Stan einen Zwischenstopp, bei dem er auf seinen Bruder John
(Alessandro Nivola) trifft - der vollkommen andere politische Ansichten
vertritt. An dieser Stelle hätte das Konstrukt von "Grace
Is Gone" leicht ins Wanken geraten können, indem sich
Strouse allzu sehr auf die Seite von John schlägt. Der Regisseur
und Autor macht keinen Hehl daraus, dass er dessen Ansichten viel
eher teilt als die von Stan, doch verzichtet er darauf, Partei zu
ergreifen oder gar in Kategorien wie "richtig" oder "falsch"
zu urteilen. John und Stan vertreten verschiedene Meinungen. Warum
sie das tun, vermittelt Strouse glaubhaft. Auch wenn wohl nur ein
Bruchteil des deutschen Publikums zu den Ansichten von Stan tendiert,
stellt das kein Hindernis dar, für den Charakter Sympathien
zu entwickeln. Strouse konzentriert sich aufs Wesentliche, macht
keinen politischen Film aus "Grace Is Gone" oder versieht
ihn gar mit einer Botschaft, sondern behält das im Blick, worauf
es wirklich ankommt: die Charaktere.
Neben
dem feinen Gespür für eben diese erweisen sich die wenigen
Darsteller als große Stärke. Wenn John Cusack zu Beginn
den Gang seiner Filiale entlang läuft, dann muss man wirklich
genau hinsehen, um zu erkennen, dass das wirklich Cusack ist. Der
Cusack aus "Zimmer 1408",
"Identität", "High
Fidelty" oder "Con Air". Der Cusack, der für
gewöhnlich mit seinen Rollen einen kraftvollen Eindruck hinterlässt,
hier aber ein menschliches Wrack verkörpert, das jede Freude
am Leben verloren hat. Cusack meistert diese für ihn untypische
Rolle absolut mit Bravour. Die Trauer, der Frust, die Bitterkeit
- man nimmt es ihm ab.
Den Rest erledigen zwei sehr junge Darstellerinnen. Wenn Kinder
sehr zentrale Rollen übernehmen, geht das häufig in die
Hose, doch was speziell Shélan O'Keefe als ältere Tochter
Heidi hier abliefert, verdient allergrößten Respekt.
Wie viel Ausdruck, wie viel Tiefe sie in so manchen Blick legt,
das dürfte so manchen erwachsenen Charakter-Mimen vor Neid
erblassen lassen. Vielleicht bahnt sich da eine große Karriere
an.
Abschließend sei noch der Erfolg beim Sundance Film-Festival
erwähnt, bei dem "Grace Is Gone" den Preis für
das beste Drehbuch sowie den Publikums-Preis einheimsen konnte.
Dazu gibt's einen Soundtrack auf die Ohren, der von Clint Eastwood
komponiert und für den Golden Globe nominiert wurde - zurecht.
"Grace Is Gone" ist ein leiser, unaufgeregter Film, der auf berührende Weise von einem Vater erzählt, der seinen Kindern vom Tod ihrer Mutter berichten muss, dies aber nicht kann. Nicht mehr und nicht weniger. Das bietet keine Gelegenheit, ihn zum zeitlosen Meisterwerk zu erklären, ihn aber allen Freunden von kleinen Filmen ans Herz zu legen, die sich nicht unbedingt nur dafür interessieren, was erzählt wird, sondern auch wie etwas erzählt wird. Nach gerade mal 85 Minuten ist die Reise beendet. Alles ist gesagt, alles ist gezeigt. Ganz ohne Überlängen-Epos.
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