Über Steven Spielbergs neuen Spielfilm „Gefährten“ zu schreiben, bedeutet in erster Linie über die eigene Erwartungshaltung zu schreiben. Man hat sich Schreckliches ausgemalt, als einem die ersten Bilder des frühzeitig veröffentlichten Trailers erreichten. Pferde, Krieg, Freundschaft – nichts als triefender Kinokitsch. Und die ersten Einstellungen des Films zeigen auch nicht den geringsten Willen, diesen Eindruck zu ändern.
Spielberg eröffnet „Gefährten“ mit Helikopteraufnahmen von prächtig grünen britischen Landschaften. Kameramann Janusz Kaminiski kann dabei den Kontrastregler gar nicht stark genug aufdrehen. Und Spielbergs Stammkomponist John Williams legt über diese Bilder einen wuchtigen und vor Melodramatik überquillenden Score. Es beschleicht einen das Gefühl, dass bereits hier der Höhepunkt des Films stattfindet, dabei hat die eigentliche Handlung noch gar nicht angefangen.
„Gefährten“ ist eine Abenteuergeschichte, die von der untrennbaren Freundschaft zwischen Tier und Mensch erzählt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts kauft Ted Narracott (Peter Mullen), ein dem Alkohol zugeneigter Bauer, ein Pferd. Doch anstatt eines kräftigen Nutztiers, das seinen Acker bestellen und somit das Überleben seiner Familie und den fälligen Pachtzins an den Landbesitzer sichern könnte, ersteigert er Joey. Das Pferd ist eine Kämpfernatur und wird der beste Freund von Teds Sohn Albert (Jeremy Irvine). Als der Erste Weltkrieg ausbricht, wird Joey allerdings als Pferd für die Armee eingezogen und die Gefährten getrennt, bis Albert seinem Pferd in den Krieg folgt.
Es wäre ein Leichtes auf diesen Film einzudreschen. Man könnte sich herrlich über dieses angeblich so schrecklich naive Gutmenschenkino auslassen. Abhaken und zum nächsten, besseren Film übergehen. Aber: Mit „Gefährten“ sind nur jene schnell fertig, die mit ihm auch schnell fertig sein wollen.
Spielbergs Film ist klug und spielt gekonnt auf der Klaviatur des großen Familienkinos. So ist „Gefährten“ eine wuchtige Odyssee. Joey selbst wird in ihr zum Mittelpunkt vieler kleiner Episoden, die verschiedene Personenkonstellationen umfassen. Hier ist schon zu erkennen, worauf Spielberg hinaus will. In seinem ersten Kriegsfilm seit „Der Soldat James Ryan“ zeigt er sich immer noch als Meister des Schlachtengetümmels. Wie er mit seinen Kamerafahrten die Kriegsfelder entlang rast und so das Gemetzel dynamisiert – das ist schon ganz toll. Aber er kann auch anders: Nach einer Schlacht gibt es eine Kranfahrt, die das Schlachtfeld in ein fast schon surreales Muster des Grauens verwandelt. Nicht unähnlich Picassos epischem Gemälde „Guernica“, das Spielberg hier bewusst zitiert.
Mit seiner Oldschool-Inszenierung (kein 3D, wenig digitale Effekte, dafür viele Statisten), erinnert „Gefährten“ auch an die Anfänge des Kinos. Denn das Pferd war das erste Tier, das von der Kinomaschine erfasst wurde. In den ersten filmischen Experimenten der Laterna Magica wurden gerne Pferde und Reiter gefilmt, weil in ihnen der Ursprung aller Bewegung liegt. In Spielbergs Film - auch das macht ihn so sehenswert – ist dieser Pioniergeist stets zu spüren. Das Kriegsepos ist zudem auch eine herzliche Hommage an Filmklassiker wie „Vom Winde verweht“ oder „Im Westen nichts Neues“. Dabei greift Spielberg, anders als beispielsweise seine Kollege Martin Scorsese in „Hugo Cabret“, nicht zu direkten Zitaten. Spielberg, so subtil war er dann doch selten, hält den Geist und die Emotionen jener Filme in seinen wohl komponierten Bildern fest. Denn Kino ist hier noch reine Bewegung, reine Kinetik. Damit beschwört und huldigt „Gefährten“ auch der Vision eines der größten Kinogenies, nämlich John Ford. Mensch und Tier, Natur und Zivilisation sind die Gegensatzpaare, die sich hier immer wieder begegnen (natürlich gebrochen durch Spielbergs immer präsente Themen wie Familie, Verlust und Kindheit).
In dieser Hinsicht kann man gar nicht anders als „Gefährten“ im Zusammenhang mit einer ganzen Reihe von Filmen zu betrachten, die gerade die Entstehungsgeschichte des Kinos thematisieren, wie z.B. Michel Hazanavicius‘ betörend mutiges Stummfilmexperiment „The Artist“ oder Scorseses 3D-Kinderabenteur „Hugo Cabret“. All diese klugen Regisseure wissen, dass sich das Kino als Kunst weiterentwickeln muss; dass die üblichen Erzähl- und Darstellungsformen in einer digitalisierten Welt sich ändern; dass dies auch eine Metamorphose des Kinos bedeutet. Und sie drehen diese Filme, um die Zukunft des Kinos nicht von seiner Vergangenheit zu trennen.
Mit einem Budget von 66 Millionen Dollar gibt uns Spielberg noch einmal Kino, wie er es am besten kann, noch einmal ist alles „bigger than life“, die Geschichte, die Emotionen und die Bilder. Man sollte dem Film daher mit eben jener sehnsüchtigen Haltung begegnen, mit der schon Ingrid Bergman in „Casablanca“ sich an den Barpianisten Sam wandte: Spiel es noch einmal, Steven! Aber im Anschluss dann bitte runter vom Schlachtross und rein in die Moderne.
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