Irgendwann in der nahen Zukunft: Die Welt befindet sich im Bann einer neuen Videospiel-Sensation, kreiert von dem charismatischen Tech-Genie Ken Castle (TV-Star Michael C. Hall, "Six Feet Under", "Dexter"). In "Society" - quasi die nächste Entwicklungsstufe von "Second Life" - kontrolliert der Spieler nicht länger einen virtuellen Avatar in einer virtuellen Welt, sondern einen echten Menschen in realen Spielzonen. Das funktioniert dank Nano-Technologie und in die Gehirne der "Spielfiguren" injizierter künstlicher Gehirnzellen, die einen Menschen sozusagen mit einer eigenen IP-Adresse versehen und fernsteuerbar machen. Und der durch "Society" zu absurdem Reichtum gelangte Castle hat bereits die nächste Spiel-Sensation am Start: "Slayers" überträgt das Kontrollsystem von "Society" ins Ego-Shooter-Genre - hier schießt man mit seiner "Spielfigur" tatsächlich andere Menschen über den Haufen. Die Avatare sind allesamt zum Tode verurteilte Häftlinge, die sich für dieses mörderische Spiel freiwillig gemeldet haben und denen die Freiheit winkt, wenn sie 30 Runden "Slayers" überleben sollten. "Held" dieses neuen Medienspektakels ist der vom Teenager Simon (Logan Lerman) kontrollierte Kable (Gerard Butler), der bereits 26 Runden überlebt hat und sich der Freiheit und einer Rückkehr zu seiner geliebten Ehefrau Angie (Amber Valletta) sehr nahe wähnt. Allerdings hat Mastermind Ken Castle ein gezieltes Interesse daran, dass Kable die Rückkehr in die Freiheit niemals gelingt….
Na, was ist das denn? Ein Neveldine/Taylor-Film, der tatsächlich so etwas wie eine Geschichte hat? Da kann man schon erstmal staunen, denn das Drehbuch/Regie-Duo hat mit seinem Debüt "Crank" und dessen Fortsetzung nicht nur ziemlich eindrucksvoll seinen ganz eigenen, hyperüberdrehten Inszenierungsstil geprägt, sondern auch Filme geschaffen, die weitestgehend von einer stringenten Handlung befreit waren, um als absurd-aufregende Nummernrevue für Adrenalinjunkies mit ADS zu fungieren. Was, zumindest beim ersten Teil, auch sehr gut klappte. In "Gamer" versuchen Neveldine/Taylor, nun einerseits ihren Stil beizubehalten und ihre Testosteron-geladene Fangemeinde unvermindert zu erfreuen, andererseits aber auch ein paar durchaus ernste Töne anzuschlagen mit einer Geschichte, die gewichtige Science-Fiction-Konzepte in die Hand nimmt.
Wenig verwunderlich, dass genau diese Aspekte von "Gamer" kaum funktionieren und bei näherer Betrachtung komplett in sich zusammenfallen. Auch wenn man den glorreichen Quark der "Fernbedienung" anderer Menschen über künstliche Gehirnzellen akzeptiert, bleibt man doch spätestens bei der Frage hängen, wie das damit realisierte Spiel "Society" in der Praxis funktionieren soll. In einer konsequenten Weiterdenkung des Treibens in "Second Life" portraitieren Neveldine/Taylor die Spielwelt von "Society" als kunterbuntes Sodom und Gomorrha, ein weitestgehend enthemmter Sündenpfuhl, in dem es allen Spielern vornehmlich um das Ausleben ihrer sexuellen Fantasien zu gehen scheint und drum auch allerorts und permanent kopuliert wird. Was also heißt, dass die Menschen, die sich gegen Bezahlung als "Society"-Avatare zur Verfügung stellen, sich auf die schlimmste vorstellbare Art prostituieren, da sie überhaupt keine Kontrolle mehr über das haben, was mit ihren Körpern getan wird. Wer so etwas freiwillig mit sich machen lässt - gute Frage. Aber vor allem: Wenn Avatar in "Society" ein geregelter Job ist, was passiert, wenn der menschliche Avatar Feierabend hat, sein Spieler aber noch weitermachen will? Gibt es festgelegte Spielzeiten? Begrenzte Login-Dauer? Wieviel Zeit braucht es vom Einloggen bis zum Spielstart, wenn der Avatar erstmal das vom Spieler ausgewählte Outfit anziehen muss? Und wer bezahlt eigentlich die ganzen Klamotten?
Das Problem von "Society" ist das Problem dieses ganzen Films: Auf den ersten Blick sieht es aus wie ein ebenso beängstigendes wie faszinierendes SciFi-Konzept, doch bei näherer Betrachtung erweist es sich als dermaßen undurchdachter und hanebüchener Käse, dass man es schlichtweg nicht mehr ernst nehmen kann. Womit sich der ganze Filmspaß aufzulösen beginnt, denn auch über die Geschichte und Figuren von "Gamer" haben sich Neveldine/Taylor gerade eben genug Gedanken gemacht, um eine kohärente und durchgehende Handlung stricken zu können - die aber eben nicht genug durchdacht ist, um wirklich zu packen. Zu hohl und holzschnittartig bleiben hier alle Figuren, die im Zweifelsfall eben doch für einen grellen Gag herhalten müssen, bevor sie so etwas wie Konturen entwickeln dürfen.
Grell ist dabei das passende Stichwort für den gesamten Stil des Films - in dieser Hinsicht sind sich Neveldine/Taylor absolut treu geblieben. "Subtil" ist ein Wort, das in ihrem Vokabular schlichtweg nicht vorkommt. Hier ist mal wieder alles over-the-top und völlig überzeichnet. Klar stellt man sich den typischen "Society"-Spieler als leicht perversen, hässlichen Fettsack vor - und bekommt hier den so ziemlich widerwärtigsten perversen Fettsack präsentiert, den man sich nur vorstellen kann. Mit ihrem Schnitt-Stakkato und wilden Kamerawinkeln kombiniert mit dieser systematischen Überzeichnung entwerfen Neveldine/Taylor hier einen Film, der stellenweise visuell anstrengend und intensiv bis an die Grenze zu verstörend ist. Zartbesaiteten Zeitgenossen sei vom Filmbesuch daher definitiv abgeraten.
"Counterstrike"-Veteranen und andere Ego-Shooter-Freunde werden damit kaum ein Problem haben - wie auch, sie sind schließlich die Zielgruppe dieses Films. Für sie kommt der Höhepunkt von "Gamer" gleich zu Anfang, in einer virtuos ausgeführten Eröffnungssequenz, in der man Kable durch eine Runde von "Slayers" begleitet und die Atmosphäre eines aufregenden Ego-Shooters so perfekt getroffen wird, dass sich erfahrene Spieler hier sofort zu Hause fühlen werden. Die Kamera macht ihm Sekundentakt Dinge, die sie normalerweise nie tut, und für knapp zwei Minuten kann man sich auf einen wahnwitzigen Ritt für die nächsten 90 Minuten freuen. Dass dieser eher in ein Traben verfällt, liegt an der eindeutig ungünstig dosierten Action, denn die nimmt mit zunehmender Laufzeit von "Gamer" nicht zu, sondern stetig ab, bis hin zu einem Showdown, den man in Anbetracht des vorangegangenen Films eigentlich nur noch als lahm und enttäuschend bezeichnen kann.
So bleibt "Gamer" (der inhaltlich eigentlich nicht mehr als ein Update des 80er-Schwarzenegger-Hits "Running Man" ist) in so ziemlich jeder Hinsicht auf halber Linie stecken: Potentiell faszinierende SciFi-Konzepte, die nicht richtig zu Ende gedacht sind, eine potentiell mitreißende Geschichte, die wegen lieblos behandelter Figuren nicht zünden kann, und potentiell atemberaubende Action, die trotz einer erneuten Vielzahl abgedrehter Szenen- und Gag-Ideen (inkl. der unkonventionellsten Betankung eines spritlosen Autos ever) im Vergleich zum bisherigen Schaffen von Neveldine/Taylor eher nachlässt. Gaming- und Virtual Reality-Freaks werden trotzdem ihre helle Freude an diesem Film haben. Alle anderen können getrost zuhause bleiben.
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