Der Verräter

MOH (54): 8. Oscars 1936 - "Der Verräter"

In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".

von Matthias Kastl / 7. Mai 2024

In unserer letzten Folge agierte mit Katharine Hepburn in “Alice Adams“ ja eine der großen Hollywoodlegenden vor der Kamera, nun setzt sich für “Der Verräter“ eine solche dahinter. Nach dem 1932 für den Oscar nominierten “Arrowsmith“ treffen wir hier erneut auf Regisseur John Ford, der sich bei der Verleihung 1936 nun seinen ersten Academy Award in der Kategorie “Beste Regie“ sichern konnte.

Der Verräter

Originaltitel
The Informer
Land
Jahr
1935
Laufzeit
91 min
Genre
Regie
Release Date
Oscar
Nominiert "Outstanding Production"
Bewertung
6
6/10

In seiner über 50 Jahre langen Hollywoodkarriere gelang Regisseur John Ford das Kunststück gleich viermal den Academy Award für die “Beste Regie“ zu gewinnen und damit zum noch heute alleinigen Rekordhalter in dieser Kategorie zu avancieren. Ironischerweise spielte keiner dieser vier Filme aber in dem Genre, für das man sich heute hauptsächlich an ihn erinnert: dem Western. Die Handlung von drei der vier Filmen spielt sogar nicht einmal in der USA. Darunter auch das Drama “Der Verräter“, für das sich Ford seinen ersten Regie-Oscar sichern konnte und das bei der Preisverleihung 1936 auch gleich noch Oscars für den besten Hauptdarsteller, das beste Drehbuch und die beste Filmmusik abstaubte.

“Der Verräter“ spielt in Dublin im Jahr 1922 und nutzt den Irischen Bürgerkrieg als Hintergrund für seine Geschichte, ohne dabei aber je explizit die beteiligten Parteien, wie die Irish Republican Army (IRA), beim Namen zu nennen. Grund dafür war die Sorge der Produzenten es sich mit dem nicht ganz unwichtigen britischen Markt zu verscherzen, weswegen man das Drehbuch bereits im Vorfeld zur Sicherheit dem British Board of Film Censors vorlegte, die wiederum auf ein paar Änderungen zu Gunsten eines “neutraleren“ Filmerlebnisses pochten. Trotzdem ist es auch in der finalen Fassung relativ offensichtlich, dass unsere Hauptfigur Gypo Nolan (Victor McLaglen) ehemals für die IRA aktiv war, dort aber nun aufgrund von Befehlsverweigerung in Ungnade gefallen ist.
 


Angesichts eines leeren Geldbeutels und einer Freundin (Margot Grahame), die von einer teuren Reise nach Amerika träumt, ist Gypo im Film auf der Suche nach einer neuen Einnahmequelle und steht schon bald vor einem moralischen Dilemma. Seine Geldsorgen könnten nämlich mit einem Mal verfliegen, wenn er seinen besten IRA-Kumpel Frankie (Wallace Ford) für ein ordentliches Kopfgeld bei den Behörden verpfeifen würde. Am Ende ist die Verlockung zu verführerisch, die Konsequenzen der Entscheidung aber fatal. Denn natürlich möchte die IRA, unter der Führung von Dan Gallagher (Preston Foster), den Verräter Frankies so schnell wie möglich finden. Und der eher einfach gestrickte Gypo ist jetzt nicht gerade gut darin, seinen neu erworbenen Reichtum zu verheimlichen.  

Wenn am Anfang des Filmes eine Zeitung wie ein Strohballen durch die Gassen Dublins weht, dann weht damit auch ganz kurz ein klein wenig Western-Feeling durchs Bild. Das war es dann aber auch mit möglichen Verbindungen zu Fords späterem Lieblingsgenre, denn in Sachen Atmosphäre orientiert sich Ford in “Der Verräter“ viel lieber am deutschen Expressionismus und so Filmen wie “Sonnenaufgang – Lied von zwei Menschen“. Die Straßen sind neblig (nicht schlecht, um das schmale Budget zu übertünchen), die Schatten besonders schwarz und Tageslicht ist sowieso verpönt. Heiter sieht definitiv anders aus aber dank spannender Lichtsetzung, intensiver Kontraste und clever gewählten Kameraeinstellungen ist das Geschehen hier immer irgendwie interessant anzuschauen. Auch wenn die Inszenierung nicht an die ganz großen Meister des Expressionismus heranreicht, was Ford hier visuell auf die Leinwand zaubert und wie er gekonnt eine bedrohlich-düstere Atmosphäre aufbaut ist wirklich sehr sehenswert.
 


Wäre doch nur die Story auf dem gleichen Niveau. Schon um die Hauptgeschichte überhaupt in Gang zu bringen entscheidet sich das Drehbuch für ein eher plumpes als subtiles Vorgehen. So wird die Freundschaft zwischen Gypo und Frankie überhaupt nicht groß etabliert, was dem großen moralischen Dilemma von Gypo deutlich an Wirkung raubt. Dessen Ringen mit der Entscheidung wird wiederum etwas platt und überhastet in Szene gesetzt, so dass man sich nicht groß wundert, wenn man liest, dass Autor Dudley Nichols sein Drehbuch in nicht einmal einer Woche verfasste. Nichols war übrigens der erste Oscar-Preisträger, der die Entgegennahme seiner Auszeichnung verweigerte – der Grund war ein Streit der Screen Writers Guild mit der Academy (wobei er den Preis dann zwei Jahre später mit Verspätung entgegennahm).

Nach dem etwas holprigen Start in die Geschichte nimmt sich das Drehbuch dann zwar mehr Zeit für deren Entwicklung und sorgt auch für ein paar nette Momente, offenbart allerdings nun ein anderes Problem. So stellt man Gypo als, und das ist noch fast freundlich formuliert, eher simplen Zeitgenossen dar. Ein Grobian, der schnell zur Flasche greift und ebenso schnell zu den Fäusten. An sich kein Problem, hat aber dann leider ein paar negative Folgeerscheinungen. So wirft sich Darsteller Victor McLaglen mit viel Inbrunst in diese Rolle, neigt dabei aber (ebenso wie einiger seiner Kollegen und vor allem Kolleginnen in dem Film) zum für die Zeit damals leider oft auftretenden Overacting. Seine Leistung, welche die Academy 1936 zur Auszeichnung als bester Darsteller bewog, wirkt heute dann doch stellenweise eindeutig zu viel des Guten und zieht die Figur mitunter schon fast ins Lächerliche.
 


Leider macht es aber nicht nur das schwierig wirklich Interesse am Schicksal dieser Figur zu gewinnen. Gypo gewinnt einfach kaum an Dreidimensionalität, da er die meiste Zeit im Film einfach nur ohne Nachzudenken sinnlos sein Geld verprasst. Das sorgt zwar hier und da für ein paar nette Szenen, richtig Tiefe gewinnt man so aber nicht. Zwar versucht man so etwas wie ein Gewissen bei Gypo anzudeuten, allerdings auf so plumpe Weise, dass es nicht wirklich glaubwürdig ist (meist sieht Gypo das alte Fahndungsplakat seines Freundes und blickt einfach nur für ein paar Sekunden bedeutungsschwanger in die Ferne).

Da Gypo mit seinem wenig durchdachten Verhalten auch schnell die Aufmerksamkeit der ganzen Stadt auf sich zieht kommt gleichzeitig jetzt auch nicht wirklich Spannung auf, ob er denn nun von seinen alten Kollegen geschnappt wird oder nicht. Man wundert sich eher, dass es am Ende so lange dauert. Und da der Film den interessanten politischen Kontext rund um den Irischen Bürgerkrieg ja ebenfalls ganz bewusst vermeidet, kommt die Handlung und seine Figur am Ende einfach viel zu banal daher, um wirklich fesseln zu können oder richtig mitfühlen zu lassen. Um ein möglichst symbolkräftiges Schlussbild zu generieren legt man am Ende dann auch noch eine deutliche Schippe Melodrama zu viel obendrauf. Glücklicherweise wird Ford für seinen nächsten Regie-Oscar ( “Früchte des Zorns“ 1941) auf eine deutlich gelungenere Storyvorlage zurückgreifen können. Im Fall von “Der Verräter“ spricht es am Ende aber für die Stärke von Ford als Regisseur, dass man trotz all der hier aufgezählten Schwächen dank der wirklich starken Inszenierung trotzdem immer noch interessiert am Ball bleibt, auch wenn man letztendlich nur in kleinem Rahmen dafür belohnt wird.

"Der Verräter" ist aktuell als Blu-Ray oder DVD als Import auf Amazon in Deutschland verfügbar.
 


Ausschnitt aus "Der Verräter"

 


Hauptdarsteller Victor McLaglen erhält den Oscar für seine Darbietung in "Der Verräter"

 


Kurzdoku über Regisseur John Ford


Ausblick
In unserer nächsten Folge bleiben wir in der Region und knüpfen uns einen Klassiker der britischen Literaturgeschichte vor.


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