
"Der
Junge im gestreiften Pyjama" ist ein Holocaust-Film. Eine
ganze
Reihe Zuschauer wird hierzulande allein das schon
gelangweilt abwinken
lassen, denn die (zu begrüßende) komplette Aufarbeitung
des Holocaust in der deutschen Erziehung, Wissenschaft und
Gesellschaft
plus einhergehender Masse an Filmen zu diesem Thema
provoziert bei
vielen inzwischen eine verständliche "Nicht schon
wieder…"-Reaktion.
In der Tat ist es schwer, diesem Thema erzählerisch noch
frische
Facetten abzugewinnen. Einer, der er es ziemlich
erfolgreich versuchte,
war
der Romanautor John Boyne, der die unbegreifliche
Erfahrung des
Holocaust aus der Perspektive eines achtjährigen deutschen
Jungen schilderte. Dasselbe versucht nun auch die
Filmadaption seines
Buchs zu tun, allerdings mit definitiv ambivalentem
Ergebnis. Denn
gut 90 Minuten steht sich "Der Junge im gestreiften
Pyjama"
mit seinen erzählerischen Konstruktionen und
Vereinfachungen
selbst im Weg, so dass man den Film kaum für voll nehmen
kann,
um dann wiederum in einem Finale zu gipfeln, das derart
gnadenlos
und brutal auch und vor allem gegenüber dem Zuschauer ist,
dass man sich hier fast im falschen Film wähnt.
Das hat natürlich alles System und Absicht, einzig
bleibt
die Frage: Wen will man mit diesem Film eigentlich
erreichen? Der
Anfang ist langsam, die Idylle trügerisch: Der achtjährige
Bruno (Asa Butterfield) muss aus der heimischen Großstadt
wegziehen, weil sein Vater, ein Offizier, auf einen neuen
Posten
auf dem Land versetzt wurde. Dass ihr neues Haus sich
nicht nur
wie ein Betongefängnis anfühlt, sondern auch so aussieht,
stört Bruno zunächst nicht so sehr wie die Tatsache, dass
er überhaupt keine Spielkameraden hat. Nach einer Weile
entdeckt
Bruno eine nahe gelegene "Farm", auf der scheinbar sehr
viele "Bauern" leben, die alle in gestreiften Pyjamas
gekleidet sind. Warum diese
Farm von Stacheldraht eingezäunt ist und was es wirklich
damit
auf sich hat, begreift Bruno nicht. Auch nicht, als er
zufällig
durch den Zaun hindurch Freundschaft mit dem
gleichaltrigen Jungen
Shmuel (Jack Scanlon) schließt, und ihm so langsam
dämmert,
dass das weder Bauern sind, noch eine Farm, die sich da am
Horizont
abzeichnet.
Klar: Die "Farm" ist ein Konzentrationslager, Brunos
Vater der neue Kommandant, die "Bauern" gefangene Juden,
deren systematische Tötung nur eine Frage der Zeit ist.
Soviel
ist klar, auch wenn zwei unheilschwangere Schornsteine
über
pittoresken Baumwipfeln bis ganz kurz vor Schluss das
einzige sind,
was man hier vom tatsächlichen KZ sieht. Was wiederum ein
echter
Stolperstein für den Film ist, denn um hier mit der
Handlung
mitzugehen, muss man zwei sich sehr stark aufdrängende
Fragen
konsequent ignorieren. Erstens: Warum merkt Brunos Mutter,
die am
Anfang noch einen riesigen Aufstand darum macht, dass ihr
Sohnemann
sich nicht zu weit vom Haus weg bewegen soll, im weiteren
Verlauf
überhaupt nichts davon, dass besagter Sohn tagtäglich
stundenlang verschwindet? Und zweitens: Was ist das für
ein
Konzentrationslager, in dem sich ein gefangener Junge
jeden Tag
stundenlang hinter einen notdürftigen Haufen Schrott
direkt
am Lagerzaun verkrümeln kann, ohne dass jemals auch nur
ein
einziger Wärter vorbeischaut?
Dass
Bruno und Shmuel ihre Freundschaft überhaupt gänzlich
ungestört und unbemerkt bis kurz vor Filmschluss
entwickeln
können, ist angesichts der Umgebung, in der sie sich
befinden,
derart unglaubwürdig und zurechtkonstruiert, dass man die
gesamte
Geschichte nicht mehr so richtig ernst nehmen mag. Auch
und vor
allem, weil dies eine Zurechtbiegung auf den
offensichtlich beabsichtigen
Effekt hin ist: Solange niemand Bruno und Shmuel zusammen
entdeckt,
gibt es auch keine dramatische Zuspitzung, kann es sich
die Erzählung
erlauben, ihren jungen Helden weiterhin in absoluter
Ahnungslosigkeit
zu behaupten über das, was hinter dem Zaun tatsächlich
vor sich geht. Und nur so wird das - gerade im Kontrast
zum restlichen,
fast schon banal erscheinenden Film -
grausam-erbarmungslose Ende
überhaupt erst möglich. Dem gelingt es zwar, den Zuschauer
in sprachlosem Schock in seinem Sitz festzunageln. Aber
eben auch
nur für den Preis, ihn 90 Minuten lang bewusst eingelullt
zu
haben in einer geradezu harmlos erscheinenden
Holocaust-Geschichte.
Resultat
davon ist auch, dass man sich bis zum angesprochenen,
markerschütternden
Finale fast konsequent langweilt. Die Beziehung zwischen
Bruno und
Shmuel hat kaum Progression, die der Geschichte immanente
Notwendigkeit,
dass Bruno die Hinweise um ihn herum, was wirklich vor
sich geht,
nicht zu deuten weiß, verhindern ein echtes
Spannungsmoment.
Stattdessen soll sich der Zuschauer wohl ein Stück weit
mit
Brunos Mutter identifizieren, was aber nicht wirklich
klappt, weil
diese sich als rechtschaffene Moralinstanz begreift, die
ihrem Mann
massig Vorwürfe macht aufgrund der Untaten, die er in
seinem
gutbürgerlichen Pflichtbewusstsein begeht (um die gehobene
soziale Klasse dieser Familie darzustellen und deutlich zu
machen,
dass es sich hier eben nicht um typisch tumbe Deutsche
handelt,
sprechen alle Darsteller in der Originalversion übrigens
sauberstes
Aristokraten-Englisch). In ihrem angeblichen Bemühen, das
Grauen
direkt vor ihrer Haustür von den eigenen Kindern weg zu
halten,
scheitert die Frau Mutter allerdings kolossal in dem
Sinne, dass
sie es nicht mal richtig versucht - oder zumindest sieht
man davon
nichts. Lieber guckt sie ihren Mann vorwurfsvoll an als
selbst einzugreifen,
wenn ein SS-Mann direkt vor den Augen ihrer Kinder einen
Lagerhäftling
zusammenschlägt.
"Der Junge im gestreiften Pyjama" ist ein Film, der sich selbst für unheimlich wichtig hält, und in manchen, elegant erzählten Momenten auch an die Klasse heran reicht, in der er sich selbst allzu deutlich sieht. Letztendlich bleibt die Geschichte jedoch zu holprig, als dass man wirklich mitgehen könnte, und das Ganze zu offensichtlich auf den großen Schluss-Schock hinkonstruiert, dass sich am Ende sogar nachhaltig die Frage aufwirft: Für wen ist dieser Film überhaupt gemacht worden? Für 90 Minuten nimmt er sich aus, als wolle er Kinder behutsam an das Thema Holocaust heranführen (was von vornherein schon keine gute Idee ist - wie der Film selbst zeigt, können Kinder dieses Gräuel weder begreifen, noch sollten sie überhaupt damit konfrontiert werden), und langweilt sein erwachsenes Publikum mit der einhergehenden Naivität und erzählerischen Vereinfachung. Die letzten Minuten sind jedoch so grausam, dass man sie nicht einmal einem 14-jährigen zeigen sollte. Und wenn man sich dann aus der Schockstarre des Finales gelöst hat, drängt sich dann eben doch - trotz Holocaust-Thematik - die gnadenlose Frage auf: Wen soll dieser Film noch interessieren?
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