"Was sollen wir tun?", fragen Sicherheitsberater, Staatssekretär und Verteidigungsminister den amerikanischen Präsidenten. Die Lage ist ernst, ein Krieg mit Russland scheint unvermeidbar. Bevor der erste Mann im Staat eine Entscheidung treffen kann, klingelt das Telefon; grinsend fragt er seine Berater: "Können wir das morgen fortführen? - Meine Frau ist dran." Alles nur ein Test, der in Phil Alden Robinsons neuem Film "Der Anschlag" aber bald durch die Realität ersetzt wird.
Die aktuelle politische Brisanz des Themas Atom-Terrorismus kann den Machern von "Der Anschlag" zum Zeitpunkt des Entstehens kaum bewusst gewesen sein: bereits im Frühjahr 2001 startete der Dreh im kanadischen Montreal, lange vor dem 11. September und seinen Folgen. Tom Clancys Romanvorlage "Das Echo aller Furcht" erschien schon zehn Jahre vor dem Anschlag auf die Twin Towers in New York und verkaufte sich bis heute über sechs Millionen Mal. Nun soll der Film zum Buch ähnliche Erfolge einfahren.
Hier sind es aber keine islamischen Fundamentalisten, sondern faschistische Intellektuelle und Industrielle, die mit einem Anschlag sondergleichen aufwarten.
Im nahen Osten findet ein Dorfbewohner eine Atombombe, die seit über 20 Jahren in der Wüste vergraben lag. In der Vorgeschichte erfährt der Kino-Besucher, dass die Bombe den Israelis im Krieg dienen sollte, das die Bombe führende Flugzeug aber abgeschossen wurde. Über einen Waffenhändler gelangt die Atombombe schließlich an die faschistische Gruppierung um den Industriellen Richard Dressler (Alan Bates), der bald darauf seine Pläne, die beiden Supermächte in einen Krieg zu hetzen, in die Tat umsetzt.
Ein nicht vorhersehbarer Zufall kommt ihm hierbei zugute: Der russische Präsident erliegt einem Herzleiden, und plötzlich sieht sich die Welt einem bis dato nahezu unbekannten mächtigen Mann gegenüber - dem neuen Präsidenten Russlands Nemerov (Ciaran Hands). Wie ist mit diesem Mann umzugehen? Experten und Spione wissen nur wenig über ihn; lediglich der junge CIA-Analytiker Jack Ryan (Ben Affleck) meint Nemerov zu kennen.
Ryan wird in seiner Rolle als Russland-Experte eine enorm wichtige Aufgabe zuteil. Sein Chef, CIA-Boss Cabot (Morgan Freeman), spannt ihn von nun an in die bedeutendsten Diskussionen ein. In jene Zeit der Ungewissheit platzt Dresslers atomarer Anschlag auf die Ostküsten-Metropole Baltimore, der die Welt zu zerspalten droht.
"Der Anschlag" ist nach "Jagd auf roter Oktober", "Die Stunde der Patrioten" und "Das Kartell" bereits die vierte Verfilmung eines Tom-Clancy-Romans. Und nach dem eher mauen "Lost in space" besinnt sich Produzent Mace Neufeld hier wieder auf seine Stärke: die Fähigkeit, einen erfolgreichen Roman publikumswirksam ins Kino zu bringen.
Tom Clancy ist mit Sicherheit DER Kenner des amerikanischen Militärs unter den Autoren, und somit rühmen sich Regisseur und Produzenten, zu denen Clancy selbst gehört, einer sehr realistischen Darstellung eines dramatischen Anschlags. Hier setzt denn auch gleichzeitig Kritik als auch Lob an: Kann eine Atombombe wirklich über 20 Jahre in der Wüste ein ganz und gar unbeachtetes Dasein fristen, zumal die Waffe aus den USA stammt? Sollte bei solch einem Mordinstrument nicht vermutet werden, dass gezielt und über längere Zeit danach gesucht wird? Und wenn es wirklich möglich ist, eine Atombombe völlig unbemerkt per Schiff an die amerikanische Ostküste zu transportieren, verursacht dies ein leicht mulmiges Gefühl. Und genau das will der Film.
Ben Affleck ("Pearl Harbor", "Dogma", "Armageddon") verkörpert Clancys ewigen Protagonisten Jack Ryan, der in früheren Filmen schon von Alec Baldwin und Harrison Ford gemimt wurde. Auch wenn die Rolle nicht gerade den Anspruch einer Charakter-Darstellung bietet, macht Matt Damons Kumpel seine Sache gut. Immerhin nimmt man ihm die Fähigkeit ab, mehr über die ehemalige Sowjetunion zu wissen als jeder andere Amerikaner. Fein anzuhören sind Afflecks gekonnte Brocken Russisch und Ukrainisch.
Die größte Nebenrolle bekleidet wohl Morgan Freeman ("Im Netz der Spinne", "Sieben"). Schade nur, dass er mit der Darstellung des CIA-Chefs unter Wert verkauft wird; die Rolle gibt einfach zu wenig her. Ab und an blitzen Freemans unbestrittene schauspielerische Fähigkeiten auf - dennoch: diesen Part hätte man weiter ausbauen können.
Der Film lebt aber weitgehend von der Story, die wirklich packen kann. Hier warten Überraschungen auf, die man als Kinogänger so nicht erwartet hätte.
Besonders beeindruckend wirkt die angespannte Diskussion zwischen US-Präsident Fowler (James Cromwell) mit seinen Beratern, als es tatsächlich um Krieg oder Frieden geht. So oder ähnlich stellt man sich ein angespanntes Gespräch der tatsächlichen US-Führungsriege vor. Nebenbei bemerkt: Ist es Zufall, dass Morgan Freeman ein wenig an US-Außenminister Colin Powell erinnert?
Die Situation, wie sie im Film gezeigt wird, könnte theoretisch in Ansätzen Wirklichkeit werden. Und bei den Bildern aus einem russischen Atom-Forschungszentrum kann dem Kinobesucher Angst und Bange werden; allzu viele Sicherheitsvorkehrungen werden hier wohl nicht getroffen, und warum werden die - vielleicht - scharfen Bomben auf einfachen, rollenden Tischen durch den Saal geschoben? Wenn da mal ein Rad abbricht ...
"Der Anschlag" will seinen Zuschauern Angst machen vor dem Möglichen, und mit seiner Detailversessenheit und Realitätstreue gelingt ihm das auch ganz vorzüglich. Die Katastrophe, die Bedrohung, alles wirkt erschreckend plausibel. Eine Wirkung, die sich der Film gegen Ende leider selbst zunichte macht, wenn man zu sehr in übliche Konventionen einschwingt und sich nicht traut, den eingeschlagenen Weg zu Ende zu gehen. Trotzdem gilt: Einen Action-Thriller mit überzeugendem Realitätsanspruch sieht man viel zu selten - und das hier ist eindeutig ein guter.
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