Hand aufs Herz, die Erste: Bei den letzten Werken von Martin Scorsese handelte es sich zweifellos um gute Filme, aber sowohl die "Gangs of New York" als auch dem "Aviator" fehlte irgendwie etwas. War Ersteres ein von ständigen Verzögerungen und Problemen geplagtes Megaprojekt, dessen finaler Fassung man deutlich anmerkte auf wie vielen Kompromissen sie beruhte, so wirkte das Biopic über das Leben von Howard Hughes wie der fast schon verzweifelte Versuch des Altmeisters, nun endlich genau den Film abzuliefern, der ihm doch noch den bisher immer wieder verwehrten Regie-Oscar einbringen sollte. Das hat nicht funktioniert, und so begibt sich Scorsese erstmal wieder ins vertraute Terrain des Gangsterfilms, adaptiert dabei aber erstaunlicherweise einen Cop-Thriller aus Hongkong.
Hand aufs Herz, die Zweite: Genau diese amerikanischen Versionen asiatischer Erfolgsfilme waren bisher den Originalen meist nur an Produktionsaufwand überlegen und profitierten ansonsten von deren originellen Storys, die sie im besten Falle nicht allzu sehr verwässerten. In den Punkten Intensität und Radikalität kann das heutige US-Kino jedoch schon länger nicht mehr mit den besten Produktionen aus Asien mithalten, stammen sie nun aus Japan, Hongkong oder Südkorea. Und obwohl sich die meisten Adaptionen bisher auf das Genre Horror konzentrierten (siehe z.B. "Ring" oder "The Grudge"), dürfte jedem, der die "Infernal Affairs" gesehen hat, zuerst allergrößte Bedenken hinsichtlich einer moralisch weichgespülten US-Fassung gekommen sein. Nachdem aber bekannt wurde, welche - ausnahmslos für Qualität bürgende - Namen an der nun "The Departed" betitelten Version beteiligt sein würden, kam man doch wieder ins Grübeln: Das müsste dann doch eigentlich was werden und kann ja wohl nicht völlig daneben gehen. Aber wie werden sie es machen und was werden sie alles ändern?
Das eigentlich recht simple Grundkonzept ist natürlich auch in der nun in Boston spielenden Geschichte erst einmal das Gleiche geblieben: Sowohl der dortigen Unterwelt (in diesem Fall der irischen Mafia), als auch der Polizei gelingt es, einen Informanten in den Reihen der Gegenseite zu platzieren. Gangsterboss Frank Castello (Jack Nicholson) besitzt dabei den Vorteil, seinen Schützling Colin Sullivan (Matt Damon) schon als Kind unter seinen Einfluss gebracht zu haben. Seitdem hat Sullivan über Jahre hinweg im Polizeidienst Karriere gemacht und ist dem Ersatzvater mittlerweile außerordentlich von Nutzen. Äußerst unfreiwillig beginnt dagegen Billy Costigan (Leonardo DiCaprio) seine Laufbahn als Spitzel. Aufgrund seiner Vergangenheit und vor allem seiner Familiengeschichte verwehrt man ihm zunächst die höhere Laufbahn als "normaler" Polizist und bietet ihm den Undercover-Job als Bewährungschance. Nur zwei Männer wissen fortan überhaupt, dass Costigan nach wie vor ein Cop ist. Doch während der gutmütige Captain Queenan (Martin Sheen) sich ernsthaft um das Wohlergehen seines Mannes sorgt, gerät dieser mit dem aggressiven Dignam (Mark Wahlberg) immer wieder aneinander. Es gelingt Costigan zwar, in den näheren Umkreis von Castello zu gelangen, doch balanciert er dabei genauso häufig am Rande der Enttarnung entlang wie sein Gegenstück Sullivan auf der anderen Seite, und bald stellt sich den Beteiligten nur noch eine Frage: Wer wird als erster auffliegen?
Dass der Kern der Handlung besonders originell oder komplex ist, hat auch bei "Infernal Affairs" schon kaum jemand behauptet. Die Situationen, in welche die Charaktere geraten, und vor allem diese Charaktere selbst sind es aber sehr wohl. Sullivan versieht seinen Hilfsdienst für die Unterwelt dabei mit einer bemerkenswerten Sachlichkeit und Selbstverständlichkeit, während er sich gleichzeitig ein sehr angenehmes Leben mit Luxusappartement und attraktiver Freundin einrichtet. Oberflächlich und nach außen hin sehr nett, aber dabei eben auch etwas kühl und glatt wird diese Figur von Matt Damon angelegt. Den Gegensatz dazu präsentiert uns der Film mit Hilfe von zahlreichen Montagen, die in kurzen Sequenzen zwischen den beiden Protagonisten hin und her wechseln: Hier das elegante Dinner mit Dame von Sullivan, parallel dazu dann der frustrierte Costigan, der lustlos in einer Kneipe in seinem Essen herumstochert. Während also der eigentlich "Böse" auf der Sonnenseite des Lebens steht, muss der Aufrechte durch den Dreck kriechen.
Scorseses neuer Lieblingsdarsteller DiCaprio (es ist nun bereits ihre dritte Zusammenarbeit in Folge) überzeugt dabei noch ein Stück mehr als zuvor schon. Seinem Billy Costigan merkt man in jeder Szene die Wut und Verzweiflung über seine Situation an, die Brutalität seiner "Kollegen" erfüllt ihn mit Abscheu und man ahnt, dass er das nicht lange wird mitmachen und durchhalten können. Es gilt hier im Grunde bei der Rollenverteilung das Gleiche wie im Original: Der Charakter des unfreiwillig undercover Agierenden ist der interessantere, facettenreichere. Und daher gilt die damals gemachte Aussage auch für die neuen Namen: Damon ist überzeugend, DiCaprio großartig.
Der Raum, den DiCaprio für die Entfaltung seiner Figur bekommt, ist auch einer der Hauptgründe dafür, dass "The Departed" fast eine Stunde länger läuft als "Infernal Affairs", denn im Gegensatz zum dort bereits seit vielen Jahren in Verbrecherkreisen agierenden Cop wird Costigan hier erst neu eingeschleust und es braucht seine Zeit, sich das Vertrauen des erfahrenen Frank Costello zu erschleichen. Genau genommen geschieht dies sogar etwas zu schnell, als dass nicht der "Neue" als Erster in Verdacht geraten müsste, wenn langsam klar wird, dass auch der Unterweltpate einen Maulwurf in seinen Reihen hat. Dass dies nicht geschieht bedeutet einen kleinen Mangel an Logik, für den wir allerdings in der ersten Hälfte des Films mit einigen wundervollen Szenen zwischen DiCaprio und Nicholson entschädigt werden, in denen sich deren Beziehung langsam aufbaut und die vor Spannung knistern.
Womit wir bei einer weiteren Ursache dafür angelangt wären, warum dieses Werk einfach etwas mehr Raum braucht. Denn wer einen Jack Nicholson zur Verfügung hat, der lässt diesen natürlich gern von der Leine, und so darf der einzigartige Mime dann auch diesem Film seinen Stempel deutlich mehr aufdrücken, als es der Figur des Unterwelt-Paten in der Vorlage vergönnt war. Nicholson tritt heutzutage nicht mehr in allzu vielen Filmen auf und achtet dabei auch sehr auf die Auswahl seiner Rollen, was seine Auftritte stets zu etwas Besonderem macht und dabei im krassen Gegensatz zu dem steht, was beispielsweise ein Robert De Niro seit Jahren treibt. Selbstverständlich ist sein Frank Castello eine charismatische Figur und genauso selbstredend hat diese einige leicht psychopathische Anwandlungen - zur Karikatur verkommt sie dabei freilich nie.
Direkt im Anschluss an Jack Nicholson über Mark Wahlberg sprechen zu müssen, kommt sicher auch nicht oft vor und noch erstaunlicher wird für den Einen oder Anderen die Tatsache sein, dass es angebracht ist sich dabei auch noch äußerst positiv über dessen Leistung zu äußern. Denn SO hat man den ehemaligen Marky Mark wirklich noch nicht gesehen: Als extrem aggressiver und übel launiger Vorgesetzter bepöbelt er nahezu unentwegt alle Kollegen, scheint dabei fortwährend unter Strom zu stehen und benutzt das Wort "Fuck" dabei geschätzte fünfzig Mal pro Minute. Mit dieser völlig unerwarteten Energieleistung hat Wahlberg, der diese Rolle (die im Original überhaupt nicht auftaucht) angeblich auch wegen seines angeborenen Bostoner Akzents bekommen hat, sich seinen "Und"-Credit im Vorspann und auf dem Plakat wirklich redlich verdient.
Unterstützt wird dieses fulminante Quartett von einem souveränen Martin Sheen als väterlichem Captain Queenan und Vera Farmiga ("Running Scared") in der einzig bemerkenswerten Frauenrolle des Films, die als Sullivans Freundin und Costigans Psychologin mit beiden Männern zu tun hat, ohne die jeweiligen Hintergründe zu kennen. Die undankbarste, weil rein funktionale Rolle bekam schließlich Alec Baldwin, der Mann mit dem Dauerabo für Nebenrollen, als Leiter der Polizeiabteilung, die seit Jahren versucht Costello zur Strecke zu bringen.
Ein feines, ein außergewöhnliches Ensemble gar, das im Zusammenwirken mit Kameramann Michael Ballhaus und einem Regisseur, der zurück in absoluter Hochform ist, ein unglaublich spannendes und dichtes Kunstwerk schafft, bei dem jedes Bild und jede Szene perfekt durchkomponiert sind. Zweieinhalb Stunden lang hat man nie das Gefühl irgendetwas sei überflüssig, das was Scorsese und sein Drehbuchautor Monahan hinzugefügt haben ist durchweg sinnvoll und überzeugend. Dabei sind sie sich aber keineswegs zu schade, bestimmte Szenen, die bereits im Original überzeugt haben, auch nahezu 1:1 zu übernehmen. Dies betrifft vor allem geheime Treffen im Kino oder auf dem Dach eines Hauses, aber vor allem auch die Art der Kommunikation, denn ohne Handy geht hier gar nichts.
Und von wegen "weich gespülte Amerikanisierung": "The Departed" ist sogar ein ganzes Stück härter als seine Inspiration, gestorben wird hier schnell und brutal. Als sei das noch nicht erstaunlich genug, greift ein weiterer gern gemachter Vorwurf ins Leere, nämlich die leidige Tendenz von Hollywoodfilmen, dem Zuschauer alles überdeutlich erklären zu wollen. Wenn ein kleines Indiz plötzlich zur Erkenntnis über die Identität des Anderen führt, benutzte "Infernal Affairs" in diesem Moment noch mehrere Rückblenden, die deutlich machten wo wir das entsprechende Teil schon mal gesehen hatten. Scorsese aber hält sein Publikum offenbar für intelligent genug, dies auch so zu erkennen und verzichtet in der entsprechenden Szene auf dieses Hilfsmittel.
Nicht nur die beiden sich gegenüberstehenden Hauptcharaktere bewegen sich im Verlauf der Handlung, immer näher am Abgrund. Auch der alternde Gangsterboss weiß, dass Veränderungen bevorstehen, und geht plötzlich unnötige Risiken ein. Ebenso die Ermittler, die sich fast schon fanatisch in ihre Aufgabe verbeißen Costello endlich zur Strecke zu bringen. Sie alle sind bereits mehr als nur ein Stück von ihrem ursprünglichen Weg abgekommen. Deshalb läuft im Hintergrund Pink Floyds "Comfortably Numb", deshalb hat dieser Film einen Titel, der sich auf die bei Begräbnissen rezitierte Formel "for the faithful departed" bezieht. Die Leistung, die alle Beteiligten hier abliefern, ist von der wohl höchsten Qualität, die ein Hollywoodfilm überhaupt bieten kann. Entgegen allen Erwartungen ist "The Departed" seiner Vorlage daher mindestens ebenbürtig. In den Augen des Rezensenten (die Freunde des asiatischen Kinos mögen diese Blasphemie verzeihen) ist er ihr sogar überlegen, da er das sehr gute Original noch erweitert und optimiert.
Ob es so denn diesmal für den Oscar reichen wird, wissen wir noch nicht. Letztendlich ist das aber auch nicht so wichtig, solange Scorsese auch ohne die höheren Weihen der Academy im Auge zu haben motiviert genug bleibt, derartig herausragende Leistungen abzuliefern.
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