Das Leben ist schön, heißt es. Trotzdem verbrachte der Spanier Ramón Sampredo über die Hälfte seines Lebens damit, einen Weg zu finden um es zu beenden. Als 25-jähriger verletzte er sich bei einem Sprung ins Meer so schwer, dass er seither vom Hals abwärts gelähmt war. Nicht in der Lage, sich selbst das Leben zu nehmen, kämpfte er für die Legalisierung der Sterbehilfe. Obwohl seine Petitionen und sein Buch "Briefe aus der Hölle" sowohl das juristische System als auch die Medien Spaniens lange beschäftigten, wurde sein Anliegen in Würde sterben zu dürfen abgelehnt.
Alejandro Amenábars ("Open your Eyes", "The Others") Film über das Schicksal Ramón Sampredos war im letzten Jahr nicht nur der Publikumsrenner in seiner Heimat Spanien, sondern hat auch bis hin zum Oscar für den besten fremdsprachigen Film fast alle nennenswerten Preise eingeheimst. Auch Hauptdarsteller Javier Bardem ("Before Night Falls"), der in dieser Rolle kaum wieder zuerkennen ist, wurde mit dem Europäischen Filmpreis sowie bei den Filmfestspielen in Venedig ausgezeichnet.
"Das Meer in Mir" beschränkt sich fast völlig auf Ramóns Leben nach seinem Unfall. Scheinbar geht es um Ramóns Rechtsstreit, bei dem ihm Gené (Clara Segura) von der "Gesellschaft für würdevolles Sterben" sowie die Rechtsanwälte Marc (Francesco Garrido) und Julia (fantastisch gespielt von Belén Rueda) helfen wollen. Doch eigentlich geht es um die zwischenmenschlichen Dramen, die sich in Ramóns Leben abspielen. Amenábar zeigt, wie der charismatische Mann alle um ihn herum fasziniert, vor allem Julia, die seinen Wunsch zu sterben teilt weil sie selbst an einer degenerativen Krankheit leidet, und die alleinerziehende Mutter Rosa (Lola Duenas, "Hable con ella - Sprich mit ihr"), die ihn liebt und in ihm neue Lebenslust wecken will. Außerdem gibt es die Familie seines Bruders, allen voran seine Schwägerin Manuela (Mabel Rivera), die sich für ihn aufopfert, und sein Neffe Javi (Tamar Novas), der Ramón mit handwerklichem Geschick das Leben erleichtert.
Die Handlung beschränkt sich weitestgehend auf Ramóns Haus. Dies gibt dem Film eine klaustrophobische Atmosphäre, denn die meiste Zeit ist der Zuschauer mit Ramón ans Bett gefesselt. Amenábar und sein Kameramann Javier Aguirresarobe hatten es schon bei seinem letzten Film "The Others" verstanden, bedrängende Lebensumstände wirkungsvoll filmisch umzusetzen. So folgt die Kamera beispielsweise Ramóns Besuch durchs Zimmer und ums Bett herum, bis wir endlich sein Gesicht zu sehen kriegen. Umso wirkungsvoller sind deshalb die Traumsequenzen, in denen Ramón sich von Puccini beflügelt aus seinem Gefängnis befreit.
Bardems beeindruckende Interpretation der Figur zeichnet sich dadurch aus, dass er nie versucht, einfach Mitleid zu erwecken, sondern vom Zuschauer fordert, sich ganz auf Ramóns Lebenssicht einzulassen, genau wie die anderen Figuren im Film das müssen. Bardem hat übrigens bereits in Almodóvars "Carne Trémula" einen querschnittsgelähmten Mann gespielt.
Und obwohl den meisten irgendwann im Laufe des Films die Tränen kommen werden, verliert die Figur nie ihren Sinn für Humor. Wie Ramón sagt, "man lernt mit einem Lächeln zu weinen." Bardem lässt den Film auch nie kitschig erscheinen, dafür sorgen aber ab und zu die vom Regisseur selbst komponierte Filmmusik und die angehängt wirkende Schlusssequenz.
Die Gegenposition zu Sampredos Plädoyer für würdevolles Sterben wird nicht nur vom Gericht, sondern auch der Kirche und Ramóns Familie vertreten. "Es ist schrecklich, wenn dein Kind vor dir stirbt. Noch schlimmer ist es, wenn es das will," sagt Ramóns Vater an einer Stelle. Obwohl der Film weitestgehend Ramóns Sichtweise unterstützt, zeigt Amenábar auch, wie die Situation seine Familie trifft. Denn genau wie Ramón hatten auch sie sich ihr Leben anders vorgestellt. Amenábar erkennt die aus Liebe erbrachten Opfer an und gibt den Betroffenen gleichzeitig das Recht, auch ihre Frustration auszusprechen. Besonders Ramóns Schwägerin Manuela pflegt ihn wie einen Sohn und ist zutiefst getroffen, als ein (ebenfalls gelähmter) Priester der Familie vorwirft, ihre mangelnde Liebe und Fürsorge seien der Grund für Ramóns Todeswunsch. Der intellektuelle Schlagabtausch zwischen den räumlich getrennten Männern mit Vermittler ist auch eine der wenigen Szenen, die mit Absicht überzogen komisch gespielt sind und dem Zuschauer eine Verschnaufpause bieten.
Die wohl wichtigste Botschaft des Films ist, dass Liebe selbstlos sein sollte. Denn bei allem Verständnis für Ramóns Wunsch will ihn doch keiner gehen lassen, und das letztendlich aus egoistischen Gründen. Ein mutiger und zugleich wunderschöner Film mit fantastischen Darstellern über ein unbequemes Thema.
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