"Couscous mit Fisch" ist eine Familiengeschichte. Es ist eine erstaunliche Momentaufnahme einer arabischen Großfamilie, die in Frankreich beheimatet ist. Der Film ist ein exaktes und in ruhig beobachtenden Bildern gefasstes Porträt familiärer Ängste, Sehnsüchte und Hoffnungen. Abdellatif Kechiches dritter Spielfilm ist aber auch ein herzerwärmender Blick in den alles andere als leicht zu bewältigenden Alltag arabischer Migranten im heutigen Frankreich.
Im Mittelpunkt der Erzählung steht Slimane Beiji (Habib Boufares). Slimane ist 63 und mit der schweren Hafenarbeit sichtlich überfordert. Auch wenn er selber dies nicht zugeben würde. Doch all seine temperamentvollen Einsprüche nützen nichts - Slimane wird entlassen. Aber auch ohne diese Hiobsbotschaft hängt daheim der Haussegen schief. Slimane ist geschieden und lebt jetzt mit einer anderen Frau und ihrer pubertierender Tochter Rym (Hafsia Herzi) zusammen. Mit seiner ersten Frau hat Slimane (allein schon wegen der gemeinsamen fünf Kinder) aber noch Kontakt, was seine neue Verehrerin alles andere als gut findet. Auch seine erwachsenen Kinder stehen der neuen Beziehung ihres Vaters mit großer Skepsis gegenüber, doch einige von ihnen haben ihre eignen, nicht minder komplizierten und vertrackten Probleme. Alle hier einzeln aufzuzählen würde den Rahmen sprengen. Das Spektrum der Beziehungsproblematiken reicht jedenfalls von kleinen Eifersüchteleien über Arbeitslosigkeit bis hin zum Ehebruch. Aber Slimane bringt seine Familie noch einmal zusammen. Von seiner Abfindung kauft er ein Boot und möchte dort ein Restaurant eröffnen. Der Familienbetrieb soll sein Erbe sein.
Abdellatif Kechiche darf man ohne Scheu als französisches
Pendant zum deutsch-türkischen Regisseur Fatih Akin
bezeichnen.
Der ursprünglich aus Tunesien stammende Kechiche befasst
sich
in seinen Werken ähnlich wie Fatih Akin mit den
integrativen
Schwierigkeiten von
Migranten in Europa. In seinem Erstling "Voltaire ist
schuld"
(2001) zeigte er den Leidensweg eines jungen Tunesiers,
der sich
verzweifelt immer wieder um die französische
Staatsbürgerschaft
bemühte. Zwei Jahre später in "Nicht ja, nicht nein"
begab er sich in die französischen Vororte, um den Alltag
von
nordafrikanischen Jugendlichen zu beobachten. Gewisse
Übereinstimmungen
mit den Filmen Akins sind unverkennbar. Und dass es sich
bei der
Gegenüberstellung dieser beiden Ausnahmeregisseure um
keine
konstruierte Parallele handelt, beweist die Verleihung des
Karlspreises
an Akin und Kechiche im Mai dieses Jahres. Beide wurden
für
ihre Verdienste um die europäische Integration geehrt. So
wurden
zwei Künstler ausgezeichnet, die beide für ein stilles
Kino der Rebellion stehen, da sie den Blick in ihren
Werken stets
auf soziale Brennpunkte werfen ohne in hysterische und
chaotische
Dramaturgien zu verfallen.
In "Couscous mit Fisch" beispielsweise äußert
sich diese Rebellion bei dem großen Probeessen, dass
Slimane
für seine potenziellen Geldgeber und die Beamten
veranstaltet,
damit er die nötigen Genehmigungen für sein Projekt
bekommt.
Zwar läuft zunächst alles nach Plan, doch schon bald
zeigen
die Gäste ihr wahres Gesicht. Wenn die Kamera frei und
losgelöst
von Tisch zu Tisch schlendert wie einer der Keller, hört
man
immer wieder kleine Kommentare und Gesprächsfetzen, wie:
"Wenn
dieser Laden hier gut läuft verlieren unsere Restaurants
in
der Umgebung bestimmt ihre Kunden." Fast nebenbei und
beiläufig
zeigt sich so eine latente Fremdenfeindlichkeit. Dies wird
auch
bei dem Spießrutenlauf Slimanes und Ryms durch die
französischen
Behörden deutlich spürbar. Kechiche lässt dies immer
still und
leise im Unterstrom seiner Geschichte präsent werden und
bildet
damit die soziale Wirklichkeit ab. Doch was man dem
Filmemacher
hier als pessimistischen Weltblick auslegen könnte, stellt
für ihn einen Teil der Realität dar, den er selber so
empfindet. "Auch ich fühle mich nicht wirklich komplett
angenommen, es bleibt immer so ein Rest von Unbehagen",
sagte
Kechiche in einem Interview. Gegen dieses Unbehagen
rebellieren
seine Filme.
Das Drehbuch zu "Couscous mit Fisch" musste mehrere Jahr
pausieren. Zunächst nahmen die Arbeiten zu Kechiches
ersten
beiden Filmen viel Zeit in Anspruch und dann starb auch
noch sein
Vater, der die Hauptrolle spielen sollte. Überhaupt sollte
es im ursprünglichen Sinne ein Film mit und über Kechiches
Familie werden. Auch der Ersatz für die Hauptrolle starb
während
der Vorbereitungsphase. Doch dann erinnerte sich der
Regisseur an
Habib Boufares, einen guten Freund seines Vaters. Boufares
ist kein
ausgebildeter Schauspieler, wie überhaupt im ganzen
Ensemble
fast ausschließlich nur Laien engagiert wurden. Umso
erstaunlicher
ist die stoische Gelassenheit, die Boufares seiner Figur
verleiht.
In den Falten, die die Zeit in sein Gesicht geschlagen
hat, spiegelt
sich die volle Härte eines Migrantenlebens. Die zweite
überwältigende
Überraschung bei den Darstellern ist die junge Hafsia
Herzi,
die ihre Rym mit einer sagenhaft rotzigen Mischung aus
jugendlichem
Trotz und heißblütigem Temperament verkörpert. Diese
Leistung bescherte ihr nicht nur einen Platz in einer
renommierten
Pariser Schauspielschule, sondern auch den französischen
Filmpreis
in der Kategorie beste Nachwuchsdarstellerin. Wie
überhaupt
"Couscous mit Fisch" der große Abräumer der
letzten Kinosaison in Frankreich war (weitere Cesars in
den Kategorien
"bester Film", "beste Regie" und "bestes
Drehbuch").
Alle
Preise, die der Film erhalten hat, sind mehr als verdient.
Es ist
sein großer Verdienst eine familiäre Atmosphäre
zu erschaffen und dabei den Zuschauer nie auszuschließen.
Man merkt gar nicht wie schnell uns die Menschen auf der
Leinwand
ans Herz wachsen. Ihr Schicksal, ihr Handeln, ihre Leiden
und ihre
Freuden interessieren uns. Sie kommen uns sehr nah, ohne
sich dabei
peinlich entblößen zu müssen. In langen, nur selten
durch Schnitte unterbrochenen Einstellungen zelebriert
Kechiche
unwiderstehlich die vitale Kraft einer Großfamilie. So
wird
das obligatorische sonntägliche Mittagessen der ganzen
Familie
zum sinnlich intensiven Spektakel aus lautem Schmatzen,
Wortfetzen
und kleinen Gesten. Der Regisseur beschwört Augenblicke
höchsten
Glücks im alltäglichsten Umfeld. Man absorbiert das
Geschehen,
wird schnell zum Teil der Familie. Daher ist das größte
Kompliment, dass man "Couscous mit Fisch" machen kann,
dass man sich sehnlich eine Fortsetzung wünscht. Man darf
sich
aber sicher sein, dass dies nur eine sehnsüchtige
Wunschvorstellung
bleiben wird.
Abdellatif Kechiche hat einen sehr persönlichen Film gedreht, der aber auf virtuose Weise immer wieder ein wahres Feuerwerk an Temperament entfacht. "Couscous mit Fisch" ist eine mit viel Feingefühl inszenierte Hymne auf die Kraft der Großfamilie, die sich unmittelbar auf den Zuschauer überträgt und hoffentlich niemanden völlig gleichgültig lassen wird. Man kann sich nur wünschen, dass dieser herausragende Film nach den französischen auch die deutschen Leinwände im Sturm erobert.
Neuen Kommentar hinzufügen