CODA

Originaltitel
CODA
Land
Jahr
2021
Laufzeit
111 min
Genre
Regie
Release Date
Streaming
Bewertung
8
8/10
von Frank-Michael Helmke / 31. Oktober 2021

Im Filmtipp zu "Palm Springs" hatte ich erwähnt, dass dessen Rekord als teuerster jemals auf dem Sundance Filmfestival verkaufter Film nur ein Jahr lang Bestand hatte - nun, dies ist der Rekordbrecher: Im Januar dieses Jahres feierte "CODA" beim Sundance Festival seine Premiere, und nur wenige Tage später hatte sich Apple TV+ für sage und schreibe 25 Millionen Dollar die Verwertungsrechte gesichert. Das ist der bisherige Höhepunkt in einem Trend, der auf den wichtigsten Independent-Filmfestivals der Welt immer mehr um sich greift: Die Invasion der Streaming-Anbieter. Alles, was früher einmal jenseits der riesengroßen Blockbuster-Filme die Bandbreite des Kinoprogramms ausmachte, wandert ja immer mehr ins Angebot der Streaming-Dienste ab. Klassische Kino-Genres wie die Romantische Komödie finden inzwischen eigentlich nur noch bei Netflix, Amazon Prime Video und Konsorten statt. Und auch die Independent-Perlen, die bis dato das Brot kleiner Arthouse- und Programm-Kinos waren, wandern nun immer öfter auf direktem Weg ins Heimkino.

Zumindest, wenn sie nicht allzu "artsy-fartsy" daherkommen, sondern ein eindeutiges Potential bieten, ein breiteres Publikum anzusprechen. Das ist bei "CODA" ganz sicher der Fall, zumal die Prämisse des Films sich bereits zweimal bewährt hat. CODA steht für "Child Of Deaf Adults", also "Kind von tauben Eltern", und ist offiziell ein Remake des französischen Films "Verstehen Sie die Béliers?" von 2014, der seinerzeit wiederum sehr deutliche Anleihen beim Erstlingswerk der späteren deutschen Oscar-Gewinnerin Caroline Link machte, "Jenseits der Stille" von 1996 (nur um kurz klarzustellen, wem eigentlich immer noch die Lorbeeren für die ursprüngliche Filmidee zustehen). 

Der Kern-Plot aller drei Filme ist simpel: Hörende Tochter von zwei taubstummen Eltern ist für ihre Familie im Alltag unersetzlich als Gebärden-Dolmetscherin und allgemeine Navigatorin durch die "hörende Welt", hat aber auch eine unbändige Leidenschaft für Musik (die ihre Eltern naturgemäß nicht nachvollziehen können) und träumt von einer Zukunft, die sie unweigerlich von ihrer Familie wegführen würde. Nur: Kann die Familie ohne sie, und kann sie ihr Dilemma zwischen Pflichtgefühl und eigenen Wünschen auflösen?

Während es bei Caroline Link damals noch eher still-dramatisch und poetisch zuging und der Musik-Traum der Protagonistin sich an der leicht elitär angehauchten Klarinette manifestierte, wählte der französische Film einen - sagen wir mal - populistischeren Ansatz: Die Protagonistin konnte toll singen, und wo es ging baute der Film (teilweise etwas fragwürdigen) Humor rund um die Taubheit der Eltern ein. Dieser allgemeinen Linie folgt nun auch "CODA", macht jedoch wichtige Details besser als sein Vorbild. 

Auch hier wird gerne und viel Humor eingebaut, der sich massentauglich vor allem am Thema Sex abarbeitet, was trotz aller naheliegenden Plattheit sehr gekonnt und wirkungsvoll gehandhabt wird. Dass die Eltern von Protagonistin Ruby Rossi noch immer eine körperlich sehr leidenschaftliche Beziehung haben, sorgt nicht nur immer wieder für Lacher (vor allem dank der sehr expressiven Weise, wie die Eltern in Gebärdensprache über Sex-Themen reden), sondern stärkt auch das Identifikationspotential der Geschichte auf zweierlei Ebene: Zum einen ist es für Teenagerin Ruby natürlich endlos peinlich, wenn das Sexleben ihrer Eltern immer wieder Thema wird. Zum anderen stärkt es die unterliegende Botschaft des Films, dass das Ehepaar Rossi ganz normale Menschen aus Fleisch und Blut sind, die nur mit einem entscheidenden Handicap zu leben haben. 

Damit dieses Handicap auch wirklich authentisch rüberkommt, macht "CODA" etwas richtig, was sein französisches Vorbild leider falsch gemacht hat: Dort wurden die taubstummen Eltern von in Wahrheit hörenden Schauspielern gespielt. Hier sind alle drei taubstumme Rollen (auch Rubys älterer Bruder kann nicht hören) mit auch in Wahrheit tauben Schauspielern besetzt, was dem Film eine ganz andere Ebene von Glaubwürdigkeit und Natürlichkeit verleiht. Zumal es dem Film gelingt, die Taubheit von Rubys Familie nicht nur als Gag-Quelle und Plot-Folie zu nutzen, sondern er in ganz entscheidenden Momenten und mit enormer Wirkung in die Erlebniswelt der tauben Rossis eintaucht.

Und auch in so ziemlich jeder anderen Hinsicht macht "CODA" so ziemlich alles richtig, was man machen muss, um ein wirklich erfolgreicher Feelgood-Movie zu sein. Denn genau das hat diesen Film für AppleTV+ so interessant gemacht: "CODA" ist ein klassischer "crowd-pleaser", bei dem wohl alle Zuschauer am Ende mit einem gelösten Lächeln im Gesicht und vor Rührung feuchten Augen dasitzen werden. 

Der Plot wirft seinen grundsympathischen Hauptfiguren gerade so viele Probleme in den Weg, dass sich dadurch eine gängige Dramaturgie stricken lässt, ohne dass jemals ernsthaft das Gefühl aufkommt, dass sich das alles am Ende nicht lösen lassen wird. Die relevanten Nebenfiguren wie Rubys Musiklehrer, der ihr Talent entdeckt und zu ihrem Mentor wird, sind typisch "schräg" und dürfen entsprechend die Humorschiene fördern. 

Alles an "CODA" ist von der ersten bis zur letzten Minute offensichtlich. Entscheidend ist bei so einem Film, wie man die sattsam bekannten Muster handhabt, und Regisseurin und Autorin Sian Heder beherrscht ihr Instrumentarium hier so gekonnt, dass jeder noch so abgegriffene Standard dennoch mitreißt. Ihr Film weiß genau an den richtigen Stellen den Humor zu suchen und zu finden, ebenso wie er in seinen emotionalen Schlüsselmomenten einnimmt und berührt. Ich gebe freimütig zu, dass ich trotz aller Vorhersehbarkeit hier einige Male ein bisschen mit den Tränen gekämpft habe. 

"CODA" ist deswegen noch lange kein filmisches Meisterwerk und sicher noch kein alleiniger Grund, einmal bei AppleTV+ herein zu schnuppern. Aber wer aus anderem Grund eh schon Zugriff auf den Streaming-Dienst hat, dem sei dieser Film wärmstens ans Herz gelegt, für einen unbeschwerten, leichtfüßigen und herzerwärmenden Filmgenuss zum Abschalten und Einfach-gut-fühlen. 

Bilder: Copyright

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