Chiko (Dennis Moschitto) und sein bester Kumpel Tibet (Volkan Öczkan) haben einen einfachen Plan für den Weg raus aus ihrem Ghetto im Hamburger Osten, hin zu Luxus und Reichtum: Als Drogendealer wollen sie sich gar nicht erst mit Kleinkram abgeben sondern suchen auf unkonventionelle und ziemlich provokante Weise gleich den direkten Weg zum Big Boss Brownie (Moritz Bleibtreu). Der zeigt sich auch recht beeindruckt, vor allem von Chiko und erteilt ihnen erste Aufträge. Es ist schließlich der labile Tibet, der Mist baut und dafür branchenüblich abgestraft wird. Für Chiko entpuppt er sich als größtes Hindernis auf dem Weg nach oben und es stellt sich die Frage, wie weit die Loyalität zwischen den Freunden gehen kann.
"Chiko" ist zwar nicht der neue Film von Fatih Akin, aber trotzdem steckt der erfolgreiche deutsch-türkische Regisseur hier zumindest ein bisschen mit drin, denn als Produzent ermöglicht er seinem langjährigen Schützling Özgür Yildirim dessen ersten Kinofilm. Und was Yildirim hier präsentiert, das hat schon was. Eine harte und schnörkellose Gangsterballade, eine Variante der bekannten "Ein Mann kämpft sich nach oben"-Story nach Scarface-Schema, verlegt ins Hamburger Kiez- und Kleinkriminellenmilieu.
Während der Handlungsverlauf dabei bekannten Pfaden folgt und einmal mehr die Mär von der tödlichen Spirale erzählt, die unweigerlich zuerst nach oben und dann in den Abgrund führt, weiß Debütant Yildirim vor allem handwerklich zu überzeugen. Sein Film erweist sich als reinrassiges, rasantes und kompaktes Unterhaltungskino und ist dabei deutlich weniger tiefgründig als die Werke des Kollegen Akin. So spielt der Immigrationshintergrund der Protagonisten keine größere Rolle, um türkische Kultur und deren Widersprüche zur westlichen Lebensweise geht es hier nicht. Die Möchtegerngangaster sind Türken, der Drogenkönig ein Deutscher, aber das wird nicht weiter thematisiert.
Um eine einigermaßen realistische, oder sagen wir besser authentische Darstellung der Lebensverhältnisse ist Yildirim aber sehr wohl bemüht. Die meisten Szenen spielen an Originalschauplätzen und dies sind dann eben diejenigen Hamburger Stadtteile, die man ansonsten nicht unbedingt als Postkartenmotiv findet. Die Verwendung aktueller Jugendsprache der Marke "Alda" und "Digger" wirkt dabei nur zu Beginn etwas aufgesetzt und manchmal leicht ungewollt komisch. Sich dessen bewusst sorgt sie aber sogar für ein paar gelungene Gags, wenn sich z.B. Tibet verdammt zusammenreißen muss um in Gegenwart seiner Mutter nicht in jedem zweiten Satz "verfickt" zu sagen - das hat dann schon fast etwas von Selbstreflexion.
Wer sich "Chiko" zu Gemüte führen möchte, sollte sich aber auch auf ein ordentliches Maß an Brutalität gefasst machen, denn in dieser Hinsicht ist der Film nicht gerade zimperlich. Die eine oder andere Szene erweist sich sogar als kleiner Schlag in die Magengrube (vor allem die Behandlung von Tibets Mutter durch die Schergen des Auftraggebers), andererseits sind diese Momente aber auch angebracht und sinnvoll, um das daraus resultierende, oft sehr extreme Verhalten der Figuren zu erklären. Dass diese trotzdem nicht immer (oder genau genommen sogar nur äußerst selten) "vernünftig" agieren, liegt dann wohl in der Natur der Sache, sprich der Geschichte die hier erzählt werden soll.
Moritz Bleibtreu in der Rolle des Big Boss Brownie merkt man zwar die Freude an, auch mal so eine Figur spielen zu dürfen, allerdings kann er oft nicht den Eindruck verwischen, dass er eben genau das tut, nämlich "spielen". Etwas überraschend dagegen die Wahl von Denis Moschitto als Titelfigur. Der ist zwar seit "Süperseks" und "Kebab Connection" fast schon so eine Art Standardbesetzung für Filme im Hamburg-türkischen Milieu, bietet aber eigentlich nicht die physischen Voraussetzungen für den extrem körperbetont und gewalttätig agierenden Chiko. Oder besser gesagt "bot" nicht die Voraussetzungen, denn da Moschitto diese Rolle unbedingt wollte, hat er sich nicht gescheut entsprechend Muskelmasse anzutrainieren und das sieht man dann auch.
Es fällt leicht, "Chiko" einen grundsätzlichen Vorwurf zu machen, mit dem er sich bei vielen schon fast automatisch disqualifizieren könnte. Gemeint ist die fehlende Möglichkeit der Identifikation mit auch nur irgendeiner der hier präsentierten Hauptfiguren. Warum macht Chiko das, warum verhält er sich so, was treibt ihn an? Wer sich diese Fragen stellt wird kaum zu einem befriedigenden Ergebnis kommen und eventuell für sich beschließen, dass ihm diese Charaktere nichts sagen und er deshalb nichts mit ihnen anfangen kann. Aber muss es wirklich immer so sein, dass man als Zuschauer eine Art Nähe aufbauen und sich "identifizieren" muss? Und wie soll das denn realistisch überhaupt möglich sein, bei einem Blick in eine Halb- und Unterwelt, die den allermeisten wohl Zeit ihres Lebens verschlossen bleiben wird? Die Aussage, dass dieser Typ einfach nur so schnell und einfach wie möglich ein Leben mit Macht und Luxus führen möchte und dabei keine Rücksicht nimmt, mag einem ja selbst eher fremd vorkommen, aber es ist wohl unbestreitbar, dass es solche Menschen gibt und man darf durchaus vermuten, dass man bei denen dann selbst nach intensivem Studium vielleicht keine tiefer gehenden Motive und Beweggründe finden wird.
Mögen braucht man sie nicht, aber als Grundgerüst eines spannenden und unterhaltsamen Spielfilms taugen sie trotzdem. Und wenn man ihre Geschichten zeigen will, dann gibt es dafür sicher schwächere Beispiele als den gelungenen Film von Özgür Yildirim.
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