Als Sacha Baron Cohen, vormals vor allem bekannt als Ali.G, 2006 in Inkarnation des kasachischen TV-Reporters "Borat" die Leinwände stürmte, teilte sich die allgemeine Reaktion ziemlich sauber in zwei Lager: Die einen (darunter Kasachstans Präsident Nursultan Nasarbajew) zeigten sich empört und angewidert ob dieser Barrage an geschmackslosem Humor über jedes nur erdenkliche Tabuthema, die anderen (darunter Filmszene.de) bejubelten den Film als großartige Satire und bahnbrechende, geniale Comedykunst.
Wenn Cohen nun in "Brüno" sein nächstes Alter Ego auf die überforderte Öffentlichkeit los lässt, dürften die Reaktionen ähnlich gespalten ausfallen: Wer "Borat" schon nicht witzig fand, wird auch über "Brüno" nur den Kopf schütteln können, aber wer sich damals vor Lachen schüttelte, kann sich hier über einen der größten Späße dieses Kinojahres freuen. Was diesmal allerdings komplett fehlt, ist ein erfolgreicher satirischer Ansatz, weswegen "Brüno" die bissige Schärfe seines Vorgängers leider abgeht, und "nur" eine brüllend komische und brillant gespielte One-Man-Show übrig bleibt.
Der Titelheld Brüno ist der so stockschwule wie strunzdumme österreichische TV-Moderator von "Funkyzeit", das "wichtigste Mode-TV-Magazin in einem deutschsprachigen Land - abgesehen von Deutschland". Doch als Brüno auf einer Modenschau für einen peinlichen Eklat sorgt wird seine Sendung abgesetzt, und sein kleinwüchsiger asiatischer Liebhaber verlässt ihn (apropos: Der erste und beste Gradmesser, ob man diesen Film lieben oder hassen wird, kommt schon nach wenigen Minuten in Gestalt einer unfassbaren Montage mit Brüno und besagtem Liebhaber, wie sie auf diverse, sehr einfallsreiche Arten granatenstarken Sex haben; hier windet man sich entweder angewidert im Kinosessel oder kringelt sich vor Lachen - oder beides gleichzeitig). Am Boden zerstört beschließt Brüno, seinen kleinen Asiaten nur wiederbekommen zu können, wenn er irgendwie anders weltberühmt wird. Ergo begibt er sich auf eine Odyssee durch Amerika (und ein paar andere Ecken der Welt), mit im gefühlten Fünfminuten-Takt wechselnden Plänen, wie er denn nun die globale Popularität erreichen will.
Diese Mission ist genauso wie Borats Reportage-Reise durch Amerika natürlich nur die dünne Ausrede eines Storygerüsts, an das die quasi allein stehenden Episoden aus absurden Begegnungen lose angehängt werden. Bei "Borat" hatten diese Episoden indes noch ein durchgängiges Prinzip, nämlich die gezielte Provokation von verwerflichen Aussagen zur Entlarvung der dahinter liegenden Mentalität des einfachen Amerika. Diese klare Linie fehlt hier ein wenig, da man sich - allerdings dankenswerterweise - nicht darauf verlassen hat, einfach nur verschreckte Reaktionen auf den sehr schwulen Brüno einzufangen und zu hoffen, dass die Leute direkt in sein Gesicht über Homosexuelle pöbeln (was wohl auch nur die übelsten Individuen vor laufender Kamera tatsächlich tun würden). Die Absurdität und Komik der meisten Situationen geht hier klar von Brüno selbst aus, der sich in einer Reihe von urmännlichen Szenarien versucht: Obertucke bei der Armee, Obertucke auf Jagd, Obertucke beim Kampfsport, etc. pp.
Dazwischen und währenddessen wird jedes Tabuthema mitgenommen, das sich irgendwie einbauen lässt. Die Witze über Analsex kann man kaum zählen, Kindesmissbrauch ist auch okay, und für eine Handvoll zünftiger Nazi-Witze hilft natürlich ungemein das Heimatland von Brüno, dem "zweiten Österreicher innerhalb eines Jahrhunderts, der von der Welt nicht verstanden wird, nur weil er die Dinge einmal anders machen wollte". Da darf man sich dann auch nicht wundern (aber dafür herzlich drüber lachen), wenn Brüno Hollywoods bekanntesten Antisemiten Mel Gibson als "der Führer" bezeichnet.
Entsprechend gilt hier, was schon für "Borat" galt: Mit das Erstaunlichste und Beeindruckendste an "Brüno" ist die absolute Furchtlosigkeit von Sacha Baron Cohen, der erneut vollkommen in seiner Rolle aufgeht und seine fiktive Persona an Orte führt, wo sich kein anderer Komiker hintrauen würde. Cohen ist auch deshalb einer der genialsten Komiker, die derzeit auf diesem Planeten rumlaufen, weil er es in unserer scheinbar komplett enttabuisierten Welt noch schafft, der alten komödiantischen Tradition der Provokation durch Grenzüberschreitung noch neue Seiten abzuringen.
In der Kulturpresse rührt sich dieser Tage indes eine Debatte, als wie mutig Cohens Aktionen tatsächlich betrachtet werden müssen. Wiederum wie "Borat" erscheint "Brüno" formal wie eine Dokumentation, und das Material erweckt den Eindruck, als hätte man sich beim Drehen auch wie ein kleines Doku-Team benommen, so dass alle erscheinenden "Normalos" sich eben arglos und authentisch verhalten - genau daraus soll ja ein substantieller Teil des Witzes entstehen. Nachdem sich herausgestellt hat, dass Cohens Publicity-Stunt bei den MTV Awards einige Wochen vor Kinostart (als er im arschfreien Engelskostüm als Brüno von der Decke schwebte und direkt im Gesicht von Eminem landete, der daraufhin tobend den Saal verließ) abgesprochen war, werden jetzt Zweifel laut, wie viel von "Brüno" wirklich authentisch ist und wie viel mit den vermeintlich Ahnungslosen im Voraus geplant. Das Urteil fällt schwer: Manche Reaktionen sind einfach zu gut, um nicht echt zu sein, manche aber auch so kontrolliert, als ob die Statisten brav das Abspulen, was von ihnen erwartet wird. Die unglaublichste Szene des Films lebt allerdings einzig und allein von dem Glauben des Publikums, dass sie authentisch ist: Da sitzt Brüno im mittleren Osten vor dem Anführer einer islamistischen Terrororganisation und verlangt, als Geisel genommen zu werden, bevor er solange üble Scherze über Osama Bin Laden macht, bis man ihn raus wirft.
Was und wie viel hier nun echt oder gestellt ist, interessiert allerdings wirklich nur, wenn man den realsatirischen Wert von "Brüno" kulturkritisch analysieren will - und der ist wie gesagt ohnehin sehr dürftig, da das Lachobjekt dieses Films eben die meiste Zeit Brüno ist, und nicht seine Gegenüber. An der Komik der jeweiligen Situationen und der Brillanz der absurden Gags ändert der Wahrheitsgehalt nichts, und damit auch nicht am Vergnügen, das man bei "Brüno" haben kann.
Es hat übrigens selten einen Film gegeben, bei dem eine deutsche Synchronfassung derart sinnfrei, ja sogar kontraproduktiv ist: Gerade fürs deutsche Publikum bietet die Originalversion von "Brüno" unersetzlichen zusätzlichen Spaß, sowohl dank Brünos komplett absurdem Dialekt (inklusive permanent ins Englisch eingebauter deutscher Fantasiewörter), als auch dem extrem holprigen Deutsch, dass er und sein treuer Assistent Lutz in ihren persönlichen Dialogen (die dann Englisch untertitelt sind) miteinander sprechen. Es ist ein Grauen sich vorzustellen, was eine deutsche Synchro, in der Brüno auf einen Ösi-Dialekt umgemünzt wird, mit diesem Film anrichten könnte. Darum vorher unbedingt checken, welche Fassung im lokalen Kino gezeigt wird: Wie schon bei "Borat" sind neben der Synchronfassung auch verstärkt Original- und OmU-Versionen im Verleih.
Wie sich wenige Tage vor Kinostart zeigte, ist allerdings auch Sacha Baron Cohen nicht frei von Pietät: Nach dem unerwarteten Tod von Michael Jackson schnitt er noch schnell eine Szene aus "Brüno" heraus, in der er Jacksons Schwester LaToya interviewt und sich ihres Mobiltelefons bemächtigt, um an Michaels Nummer zu kommen. Da man diesen vermeintlichen Akt des Anstands aber auch sogleich selbst an die Presse vermeldete, war's vielleicht doch wieder eine ausgeklügelte PR-Aktion. Typisch Sacha Baron Cohen eben: Man mag es geschmacklos finden, aber man kann nicht leugnen, dass es verdammt clever ist.
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