November 1997. Vorsichtigen Schrittes gehe ich durch den langen Korridor des altmodischen UFA-Kinos, vorbei an 30 Meter langen Schaufenstern, hinter denen sich dutzende Aushangfotos der aktuell laufenden Filme befinden. Mein andächtiger Blick findet das Ziel meiner Wünsche: das Alien – H.R. Gigers unsterbliche Kreatur und für viele, mich eingeschlossen, das unheimlichste, faszinierendste, schlichtweg beste fiktive Wesen, das je für einen Film erschaffen wurde. Und ich bin heute genau hier, weil der neueste Teil „Alien – Die Wiedergeburt“ in der Wochenzeitung „Wuppertaler Rundschau“ mit der Freigabe FSK 12 angepriesen wurde. Und ich weiß, dass die Frauen an der Kasse hier grundsätzlich ein Auge zudrücken. Denn eigentlich bin ich erst elf.
Und ich weiß auch, was mir gleich beim Versuch des Ticketkaufs erklärt wird, dass die Zahl 12 natürlich nur ein Tippfehler war, denn der Film ist wie alle anderen Teile der Alien-Reihe (damals sprach man noch nicht von Franchises) ab 16. Also, keine Chance. Verdammt. Ich versuche zu improvisieren, fasele etwas davon, dass der Fehldruck irgendwie verpflichtend wäre und man mir das Recht auf Alien-Einlass nicht verwehren könne. Kann man aber sogar sehr einfach. Geschlagen stapfe ich durch schlechtes Wetter nach Hause. In Wuppertal hört dich niemand schreien.
Dabei war ich so gut vorbereitet. Schon seit Monaten lag ich meinen Eltern in den Ohren, es mit den Altersfreigaben zumindest im heimischen Wohnzimmer doch bitte weniger genau zu nehmen. Und mir bei meiner großen Begeisterung für Sci-Fi und „Star Wars“ diese wahnsinnig interessant aussehenden Filme nicht länger zu verwehren, deren Bilder mich in Zeitschriften wie Cinema und Moviestar so angezogen haben. Die Überzeugungskraft von 11-Jährigen muss sich in diesem Jahr auf einem Tiefstand befunden haben, denn auch diese Mission war zum Scheitern verurteilt.
Doch als die Ankündigung für den neuen Film rauskommt, ergreife ich drastischere Maßnahmen. Der ältere Nachbarsjunge wird akquiriert, seine VHS-Kassetten der Original-Trilogie („original“ aus dem TV aufgenommen und nur echt mit Pro7-Werbeblöcken) unauffällig in meinem Schulranzen zu platzieren. Und beim nächsten sturmfreien Nachmittag ist endlich der große Moment gekommen. Mit circa fünf Zentimeter Abstand zum Bildschirm, vor dem Fernseher knieend und ständig über die Schulter nach potenziellen elterlichen Heimkehrern Ausschau haltend, inhaliere ich das für mich völlig neuartige Level an Horror und Grusel quasi von der Mattscheibe weg.
Ridley Scotts perfekten Klassiker „Alien“ von 1979, einer der einflussreichsten Werke der Filmgeschichte, meisterhaft konstruiert, filigran komponiert und von einer technischen Originalität und Perfektion, die zur damaligen Zeit einfach kaum fassbar gewesen sein muss.
Gefolgt von James Camerons Action-Meisterwerk „Aliens“ (1986), das vor allem als eine der besten Fortsetzungen aller Zeiten gilt, weil es den schleichenden Haunted-House-in-Space-Ansatz komplett ignoriert und eine ganz eigene Vision adrenalin-getriebenen Terrorkinos entwirft. Und ganz nebenbei auch wieder zahlreiche neue ikonische Figuren, Dialogzeilen, Kulissen und Kreaturen erschafft, die in kürzester Zeit genauso legendär werden wie die des Ursprungsfilms.
Etwas, das David Finchers „Alien 3“ (1991) nicht wirklich von sich behaupten kann, ist der Film heute vor allem für seine berüchtigte Produktionshölle bekannt, kann aber trotzdem mit einer gnadenlos düsteren Atmosphäre, beeindruckenden Bildern und dem ikonischen Ende von Sigourney Weavers Ripley punkten.
Und mit dem Ende von Ripley entflammte an diesem Nachmittag auch meine Liebe zum Sci-Fi und Horror-Kino, auch wenn ich die teilweise folgenden Albträume im Zuge der Geheimhaltung leider für mich behalten musste. Genauso wie „Die Wiedergeburt“, die fast ein Jahr später (die Zeitspannen, die es dauerte, bis Kinofilme auf VHS verfügbar waren, sind im Streamingzeitalter kaum noch zu glauben) aus der Videothek ausgeliehen wurde. Ripleys Suizid wurde mit Hilfe des damals brandheißen Themas „Klonen“ dann auch direkt wieder zurückgenommen und für einen skurril-grotesken Film genutzt, der vor allem die Handschrift des „Amélie“-Regisseurs Jean-Pierre Jeunet trug.
Der Witz an der Sache ist nur, dass mir all diese Differenzierungen und Namen der Beteiligten natürlich kein Stück bewusst waren. Alles war gleichwertig aufregend, mein kindlicher Verstand folgte unkritisch einfach der Geschichte und war gebannt von der geheimnisvollen, unheilschwangeren Atmosphäre, die mich praktisch in sich aufgesogen hat. Und es war der Beginn einer heißglühenden Begeisterung für dieses so bedrohliche wie verführerische Universum, voll Mysterium und Zauber, in das ich mich trotz der ständigen Lebensgefahr nur allzu gern einmal selbst begeben hätte. Und es in der Fantasie in den folgenden Jahren des Aufwachsens immer wieder getan habe.
Geschichten wie diese verbinden wahrscheinlich die meisten Filmfans mit den großen, popkulturellen Meilensteinen der 70er und 80er wie „Star Wars“, „Indiana Jones“, „Ghostbusters“, „Terminator“ usw. Und diese süßen Erinnerungen und häufig auch verklärenden Schleier der Nostalgie sind der Grund, warum die aufs Fanpublikum abgestimmten „Legacyquels“ eines der Hauptstandbeine des modernen Hollywoods sind. Denn wer denkt nicht gern zurück an eine unschuldigere Zeit, in der man sich einfach völlig unbedarft in fremde Welten fallen lassen konnte? Und keine endlos durchkalkulierte Marketing-Offensive und ein ständiger, allgegenwärtiger Internet-Diskurs an der eigenen Seherfahrung und Meinungsbildung beteiligt war?
Doch natürlich ist es genau diese zynische Berechnung und das stumpfe Beharren auf eigentlich schon längst auserzählten Ideen und Figuren, die häufig einen mehr als bitteren Beigeschmack hinterlassen und oft sogar alte Fans wie neue Zuschauer gleichermaßen enttäuschen. Nostalgie-Fischen ist kein einfacher Sport. Nur sehr selten hat man einen „Blade Runner 2049“ an der Angel, aber viel zu oft fährt man mit einem Eimer voller „Terminator Genisys“ nach Hause.
Und doch hat es in diesem Fall, bei „Alien: Romulus“, zu dem diese ausufernde Kritik jetzt endlich die erbarmungsvolle Güte hat zu kommen, mal wieder funktioniert. Also, bei mir zumindest.
Woran es liegt, versuchen wir im Folgenden herauszufinden. An einer bahnbrechend originellen Geschichte auf jeden Fall nicht: Die junge Minenarbeiterin Rain (Cailee Spaeny) möchte zusammen mit ihrem synthetischen „Bruder“ Andy (David Jonsson) der sonnen- und trostlosen Dystopie ihrer Heimatkolonie entkommen und schließt sich dafür einem gewagten Raubzug durch eine herrenlos herumtreibende Forschungsstation an. Eine bunt zusammengewürfelte Truppe junger Draufgänger will dort Kryo-Schlafkammern erbeuten, um so die lange Reise in ein besseres Leben anzutreten. Doch das mit dem Leben wird allgemein schnell zur Herausforderung, denn durchs verlassene Dunkel der Station kriechende Schatten können es kaum erwarten, ihren Nachwuchs in den Brustkörben der Ahnungslosen auszubrüten.
Diese recht simple Prämisse dient Regisseur Fede Alvarez (und Co-Autor Rodo Sayagues) vor allem dazu, eine Art Best-Of-Alien-Saga als Szenenabfolge zu kreieren. Wo sich die Teile eins bis vier vor allem durch ihre große Andersartigkeit und Eigenständigkeit auszeichneten, hat man hier die allermeisten Elemente schon einmal so ähnlich in einem der Vorgänger gesehen.
Doch die beiden letzten „Prometheus“ (2012) und „Alien: Covenant“ (2017) loteten verstärkt die immer verzwickter werdenden Hintergründe einer banalisierenden Schöpfungsmythologie aus und waren dabei weniger an den titelgebenden Xenomorphen, sondern mehr an götterkomplex-behafteten Androiden, die sich homoerotischen Flötenspielen mit ihren Ebenbildern hingeben, interessiert. Was die Reihe paradoxerweise schon sehr weit von ihren Ursprüngen und zu einem immer geringeren Einspielergebnis geführt hat.
Also, her mit dem Legacyquel-Serum und einmal die sichere Nummer, ganz im Sinne der Firma bitte. Disney steht dem Kalkül der fiktiven Weyland-Yutani Corporation, die der Reihe seit ihren Anfängen als ausbeuterischer, rücksichtsloser „Mutter“-Konzern erhalten geblieben ist, schließlich in nichts nach.
Doch die relative Mutlosigkeit hat bei mir eine befriedigende Heimeligkeit erzeugt, die irgendwie genau das geliefert hat, was ich mir an diesem Punkt der mittlerweile 45 Jahre alten Saga gewünscht habe: eine Rückbesinnung auf die Simplizität und Eleganz des ersten Teils. Eine straighte Story, die in klar definierten Einzelstationen große Spannung generiert und mit einem funktionierenden emotionalen Kern ausgestattet ist.
Wie schon viele Male zuvor ist dieser Kern synthetisch: ein Milch-blutender Android, der natürlich den Terminus "synthetische Person" bevorzugt und durch einen Defekt wie ein naiv-gutherziger, leicht minderbemittelter Space-Forrest Gump daherkommt. Das Verhältnis zu seiner „Schwester“ und Besitzerin wirft, wie so oft, die Frage nach der Definition von Menschlichkeit auf und kann bei aller Abgeschmacktheit durchaus berühren.
Das liegt vor allem an David Jonssons fein-subtiler Performance. Wie er im späteren Verlauf die Abgrenzung von einem anderen Persönlichkeitsmodul spielt, ist große Klasse und das Highlight einer Figurenkonstellation, die ansonsten ausreichend funktioniert, aber zu wenig ausdifferenziert ist, um im Gedächtnis zu bleiben. Das gilt leider auch für Hauptdarstellerin Cailee Spaeny, die ihre Rolle zwar glaubwürdig ausfüllt, aber nicht genug Präsenz und Charisma aufbauen kann, um wirklich mitzureißen – geschweige denn, die übergroßen Weltraumanzug-Fußstapfen von Sigourney Weaver ausfüllen zu können.
Doch der wahre Star dieser (mit 80 Millionen Dollar sehr angemessen budgetierten) Produktion ist ihr Look. Das herausragende Production Design basiert überdeutlich auf dem der ersten beiden Filme, zwischen welchen „Romulus“ zeitlich angesiedelt ist. Es ist aber, obwohl mittlerweile heillos veraltet, ziemlich schlüssig weitergedacht und vertieft, von enormer Wertigkeit und in einer durchdachten Licht- und Farbdramaturgie einfach großartig anzusehen. Zu jedem Zeitpunkt habe ich meinen Aufenthalt in dieser Welt genossen und mich an öligen Maschinen, klobigen Konsolen, wuchtigen Raumschiff-Kollisionen und (retro-)futuristischen Laboren erfreut.
Und natürlich vor allem an unserem doppel-mündigen Titelhelden. Mit erkennbar großer Ehrfurcht und Liebe wird die sabbernde Geburtsmetapher ausgiebig, aber nicht ausufernd, in detailverliebten, schleimig-stylishen Einstellungen zelebriert. Dabei hat man verstärkt auf Handarbeit und Menschen in Anzügen gesetzt, was in Kombination mit den ebenfalls herausragenden visuellen Effekten einige der schönsten Szenen der Reihe bewerkstelligt. Den Kritikpunkt, dass das Ergebnis jedoch eher Bewunderung als Angst provoziert, finde ich zutreffend, aber nicht wirklich zulässig. Das Design ist mittlerweile einfach so ikonisch und in der Popkultur verankert, dass man mit dem bloßen Anblick auch keinen wirklichen Ekel mehr erzeugen kann.
Das versucht stattdessen eine saftige Demonstration des Säureblutes, die dem bedauernswerten Betroffenen in Sekundenschnelle die Beschaffenheit seiner eigenen Knochen vorführt. Hat man so auch noch nicht gesehen. Genau wie die etwas zwiespältige Kreatur im Finale, die nochmal etwas ganz Neues versucht und dabei gleichzeitig auf ein bisher einmalig aufgetretenes Wesen verweist, das den gewollten Ekelfaktor meiner Ansicht nach damals effektiver bespielt hat.
Nein, die wahren Höhepunkte liegen alle bereits vor der allerletzten Konfrontation und beinhalten eine weitere grandiose Idee zur Verwendung des Säureblutes sowie einige höchst effektive Spannungsmomente, in denen die spinnenartigen Geburtshelfer, die Facehugger, in verschiedensten Szenarien zum Einsatz kommen. Kein anderer Teil der Reihe hatte so viele Einfälle zu deren Verwendung, und gerade diese Szenen veranschaulichen sehr gut die klar herauslesbare Handschrift von Regisseur Fede Alvarez.
Wie schon in seinem „Evil Dead“-Remake (2013) und vor allem in „Don’t Breathe“ (2016) versteht er sich auf effektvolle, klar strukturierte, aber inszenatorisch enorm einfallsreiche Suspense-Setpieces. Mit einer eleganten Kameraführung und einem dynamischen Schnitt erzeugt er immer wieder Level-artige Challenges, die die gebeutelten Protagonisten durchlaufen müssen. Und wie die Einbrecher im Haus des blinden Militär-Hünen, trauen sich Charaktere und Zuschauende auch in diesen Szenen kaum zu atmen. Was auch an dem druckvollen und sehr präzisen Sounddesign liegt, dem ich redundanter- aber ehrlicherweise hiermit auch das Prädikat „herausragend“ verleihen möchte. Besonders beeindruckt hat mich, wie Waffen, Computer und die Monster gleichzeitig genau wie früher klingen, aber trotzdem so viel druckvoller, moderner und einfach fetter. Das visuelle Äquivalent zu dieser detailversessenen Hommage reicht bis in die Körnung des Filmmaterials, bei der man eine Original-Kopie von Scotts „Alien“ digitalisiert und Farb- und Körnungsverhalten exakt auf „Romulus“ übertragen hat. Und schon in den ersten Minuten und einer sehr atmosphärischen Eröffnungssequenz werden wir mit der Verwendung des originalen Titeldesigns gekonnt auf das Kommende eingestimmt.
Also rundum zufrieden, wunschlos glücklich? Na ja. Ein paar kleinere Macken und Einschränkungen möchte ich nicht unerwähnt lassen. Denn bei allem Respekt für die meistens subtile und gerechtfertigte Ehrerbietung – mit dem Fanservice hat man es stellenweise auch zu weit getrieben: gefühlt dutzende Dialogzeilen sind 1:1 vorangegangenen Teilen entliehen und werden augenzwinkernd auf das Publikum abgefeuert. Dadurch wurde zumindest ich immer wieder kurz aus dem Film gerissen und eben daran erinnert, in welchen Situationen diese Sätze zum ersten Mal gefallen sind. Noch schlimmer ist aber der digital unterstützte Einsatz einer altbekannten Figur, der nicht nur absolut unnötig, ethisch fragwürdig, sondern vor allem auch noch himmelschreiend schlecht getrickst ist und einfach in jeder Sekunde total auf die eigene Künstlichkeit verweist.
Generell bleibt die Frage, wie sinnvoll eigentlich der massive Einsatz wortgenauer Referenzen auf die eigene Historie wirklich ist. Denn oft sind es eben genau diese alteingesessenen Fans, die von eben jenem streberhaften Wiederholen jeder noch so unbedeutenden Kleinigkeit eher genervt sind, während sie am unbedarfteren Publikum einfach unbemerkt vorbeiziehen. Das Ausschlachten und Feiern von Nostalgie ist nun mal ein Drahtseilakt, doch über weite Strecken meistert ihn „Alien: Romulus“ ziemlich bravourös.
Denn widersprüchlicherweise hat mich „Romulus“ trotzdem vor allem in eine Zeit zurückversetzt, in der all solche Kleinigkeiten keine Rolle gespielt haben. In denen nicht online alles analysiert und argumentiert wurde. In denen Filme direkt und ungefiltert ins Herz geschossen sind. Und sich dort für immer festsetzten.
Und das hat mich gefreut. Falls man es noch nicht gemerkt hat. Denn für zwei schöne Stunden war ich wieder elf.
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