
Michel Gondry bleibt bei Fantasiewelten: Die waren schon der Hauptanreiz von "Science of Sleep", jetzt widmet er sich ganz selbstreflexiv den Fantasiewelten Hollywoods, indem er uns in "Abgedreht" die Geschichte der Videothek "Be Kind Rewind" erzählt. Die in einem renovierungswürdigen Stadtteil von Passaic, New Jersey liegende Videothek ist noch genau das, was der Name sagt: Video ist Programm hier, keiner DVD hat der Besitzer Mr. Fletcher (Danny Glover) hier Einlass geboten. Als Fletcher für einige Tage die Stadt verlässt, fällt die Betreuung von "Be Kind Rewind" seinem Ziehsohn Mike (Mos Def) zu. Einzig Mr. Fletchers Warnung, den in der Nähe wohnenden Mechaniker Jerry (Jack Black) auf keinen Fall in den Laden zu lassen, hätte Mike mal besser befolgt.
Der Verschwörungsfreak Jerry, gerade von einem fehlgeschlagenen Sabotageversuch im örtlichen E-Werk zurück, löscht versehentlich dank einer Magnetisierung seines Körpers sämtliche Videokassetten des Ladens. Also bleibt Jerry und Mike der Drehbuchlogik nach nur eine Möglichkeit: Mit einer Kamera und improvisierten Kulissen und Spezialeffekten sowie sich selbst in allen Rollen drehen sie die gelöschten Filme nach und geben sie den Kunden gegenüber als "Importe aus Schweden" aus. Dass diese nur etwa 20 Minuten lang sind und kaum den Ansprüchen eines modernen Publikums genügen können, scheint in dieser Straße keinen zu stören und bald sind Jerrys und Mikes "geschwedete" Filme in der Nachbarschaft beliebter als die Originale. Was dann auch dringend notwendig ist, denn der "Be Kind Rewind"-Videothek droht der Abriss….

Eine Abrissbirne wünscht man sich auch für das Drehbuch zu Gondrys neuem Projekt, denn dort hapert es an allen Ecken und Enden. Jeden Moment droht der Film an seiner überzogenen Niedlichkeit und Kindlichkeit zu ersticken, wenn nicht gerade das Chaos oder der Schmalz übernehmen. Momente zum Schmunzeln gibt es auch, aber sie sind erstaunlich rar in dieser vermeintlichen Komödie. Statt die zentrale Idee der Hollywoodfilme als Do-It-Youself-Amateurarbeit voll auszukosten, driftet der Film strukturlos von einer Sequenz zur nächsten und verwickelt sich zudem lieber in eine arg rührselige Geschichte.
Jedem Mainstreamfilm würde so viel unverhohlenes Sentiment wie hier links und rechts um die Ohren gewatscht, aber ein Indiefilm wie dieser hat da ja meistens noch den Bonus, hier würde es ja mit mehr Ehrlichkeit und Herz zugehen und so. Alles Quatsch, geschwedete Gefühle bleiben geschwedete Gefühle und die emotionale Resonanz dieses Films ist genau so falsch wie Jerrys und Mikes Blockbuster-Adaptionen.
Das liegt mit Sicherheit auch an der sehr schwachen Story, die sich Michel Gondry da ausgedacht hat. Mal ehrlich: Ein alter Eckladen soll von der Behörde vertrieben werden, um Platz für schicke neue Wohnungen zu machen und die spleenigen Einwohner des Viertels wollen sich dagegen zur Wehr setzen? Wie oft hat man das nun schon gesehen? Eigentlich dachte man, dieser Art Plot wäre Mitte der 1990er Jahre als abgegrast ausgestorben, aber Gondry macht hier den Weg zurück in die Vergangenheit. Da Konzept und Milieu des Films sowieso eher einen Spät-80er-Jahre-Vibe abgeben (selbst der fortan ignorierte schreckliche deutsche Titel klingt so), ist es umso unverständlicher, dass Gondry seinen Film im Hier und Jetzt ansiedelt.

Über zehn Jahre nach Markteinführung der DVD und zu einer Zeit, in der die Videokassette toter als Dillinger, JFK, Tupac und Biggie zusammen ist, muss man schon sehr viel guten Willen aufbringen, um diese Story abzukaufen. Passaic, NJ muss ja ein ganz armes Fleckchen Erde sein, indem alle Welt noch Videorekorder aber keine DVD-Player hat und selbst junge Gangstertypen viel lieber alte Videokassetten anschauen, als die vom Laster gefallene DVD-Heimanlage auszutesten oder das Zeug gleich aus dem Internet zu stehlen.
Aber im Ernst: In Zeiten von YouTube, wo jeder Depp selbstgedrehten Unsinn ins Internet stellen kann und dies ja auch fleißig tut und man mit der richtigen Software am Heimcomputer Filme problemlos selbst "schweden" kann, wirkt die Story so sehr wie ein Dinosaurier auf der Suche nach seinem Aussterben wie das VHS-Medium selbst. Natürlich, kann man da jetzt einwenden, ist das doch alles nur ein Kunstgriff von Gondry, der hier eher nach zeitlosem Märchen im Stile eines Frank Capra schielt. Aber es hätte nichts dagegen gesprochen, den Film 10 oder 15 Jahre in der Vergangenheit anzusiedeln, womit man sich die enormen Glaubwürdigkeitsprobleme hier gespart hätte.

Dass ausgerechnet ein so dermaßen falscher Film dann an die Authentizität von handgemachtem Kino appelliert, ist dann schon fast tragisch. Abgesehen davon, dass hier an den ohnehin schon überzeugten Chor gepredigt wird. Wer sich "Be Kind Rewind" im Kunstkino um die Ecke anguckt, darf sich dann bestätigt fühlen und abnicken, wenn sich Danny Glover in der modernen Filiale der großen bösen Ladenkette über die mangelnde Abwechslung der Mainstreamware auslässt und anschließend im Namen der Modernisierung das unnütze Zeug wie Kultfilme, Klassiker und Stummfilme aus seinem Laden verbannen will. Oder wenn die Besucher des Videoladens das No-Budget-Nachspielen von Blockbustern viel besser finden als das gelackte Originalprodukt. Aber ein bisschen schal ist das schon. Guckt mal, ich kleiner Kunstfilm zeige euch mal, wie viel besser als der Hollywoodmainstream kleine Kunstfilme (oder noch besser: do-it-youself-homemovies!) eigentlich sind.
Dass "Be Kind Rewind" trotzdem noch so über die Runden kommt, liegt einzig daran, dass der Film eben doch den ein oder anderen guten Lacher (oder zumindest Schmunzler) produziert, die verschrobene Nachbarschaft dem Zuschauer natürlich trotz der Klischees ans Herz wächst und der Film dank kurzer Laufzeit seinen Aufenthalt nicht zu sehr streckt und man ihm damit sogar das Prädikat "kurzweilig" verpassen kann. Mehr aber auch nicht, denn ansonsten ist hier doch vieles entweder Unsinn oder "geschwedet", und das von einem Film, der sich in Großbuchstaben "HIER GEHT ES UM ORIGINALITÄT" auf die Stirn geschrieben hat.

Zweimal hat Michel Gondry jetzt den Alleingang als Autor und Regisseur in Personalunion gewagt, beide Male mit eher ernüchterndem Resultat. Allen Enthusiasmus des Regisseurs, das Kind in sich zu beschwören, in Ehren, aber den Unterschied zwischen kindlichen und kindischen Ideen hat er immer noch nicht raus und so stehen hier nette und witzige Einfälle wie schon in "Science of Sleep" auch viel unausgegorenem Quatsch und auch platten Klischees gegenüber. Offenbar braucht Gondry einen Partner an seiner Seite beim Schreiben des Drehbuchs, der seiner Disziplinlosigkeit beim Umsetzen von Ideen strukturelle Schärfe gibt und auch Grenzen aufzeigt.
Dass einzige Mal, wo das bisher gelungen ist, ist der unter dem schrecklichen deutschen Titel "Vergiss mein nicht" gelaufene, großartige "Eternal Sunshine of the Spotless Mind", dessen Leistung im Nachhinein noch monumentaler ist als zuvor. Haben sich doch sowohl Charlie Kaufman als auch Michel Gondry (zusammen mit Mitautor Pierre Bismuth) hier soweit zusammengerissen, dass ihr sonstiges Freakkino eine echte emotionale, wahrhaftige Seite hatte, während Kaufmanns und Gondrys Alleingänge gerade in diesem Bereich klare Mängel aufweisen. Und ohne Kaufmans nicht in Frage zu stellende Originalität füllt Gondry hier dann das Storygerüst mager mit wenig überzeugenden Plots und Figuren auf.
Selbst die kommen nicht zu ihrem Recht, denn manche Storyelemente werden im immer konfuser werdenden Film einfach beiseite geworfen. So wird etwa in einer einzigen Szene eine Romanze zwischen Mike und Alma aufgebaut und dann hört man nie wieder etwas davon. Dieser Storyteil passt sich dem Rest des Films an: chaotisch. Das ist mal liebenswert, viel öfter aber frustrierend und nervig.

Zwischen diesen Polen bewegen sich auch die Schauspielerleistungen: Jack Black gibt wieder den hyperaktiven Verrückten, womit seinem Partner Mos Def nur der ruhigere Part bleibt, den er dann so stoisch und lakonisch erfüllt, als wäre er aus einem Jim Jarmusch-Film geschwedet…äh, entliehen. Dadurch bleibt er allerdings auch recht blass, so dass das Projekt in die typisch manische Jack Black-Show umschlägt, hier nicht immer zum Vorteil. Danny Glover macht aus der "rührender schwarzer alter Mann"-Rolle, auf die eigentlich Morgan Freeman abonniert ist, das Beste; Mia Farrow als Hauptkundin der Videothek hat im Gegenzug so gut wie keine erinnerungswürdige Szene. Und von der charmanten Melonie Diaz hätte man sich doch einige Momente mehr gewünscht.
Wer wirklich sehen will, wie das Independentkino Filmmagie einsetzt, anstatt sie so chaotisch wie sentimental und auch ein wenig einfältig zu beschwören, dem ist besser zum Besuch des fast zeitgleich anlaufenden "Juno" geraten. Natürlich muss man sich auch dort des Indie-Fluchs des Überflusses an verschrobenen Figuren und niedlichen Einfällen erwehren, aber dieser Film zeigt eben, wie man das elegant und an Erwartungen vorbei lösen kann. "Be Kind Rewind" dagegen ist die dunkle Seite des Indie-Kinos: Anderssein ums Anderssein willen, emotional genauso falsch wie der Mainstream, arm an Ideen außerhalb des einen zentralen und auch guten Einfalls, und ohne eine Struktur, die die ganzen Degressionen irgendwie stimmig zusammen führen könnte.
"Be Kind Rewind"? Nein, nett sind wir jetzt mal nicht, spulen nicht zurück und gehen stattdessen zur DVD-Kette um die Ecke, um uns den neuesten Brett Ratner-Film anzuschauen. Um in der kindischen Gemütshaltung des Films zu bleiben: Ätschibätsch!
Neuen Kommentar hinzufügen