Und wieder einmal kommt man kaum umhin sich zu fragen: Was soll das? Man kann sich über Hollywoods Unart, jeden halbwegs erfolgreichen asiatischen oder europäischen Film flugs neu zu verfilmen, zwar aufregen, aber wenigstens gibt es dafür einen einleuchtenden Grund: Da sich das amerikanische Publikum quasi per se keine ausländischen Filme ansieht und es darum auch keine Synchron-Fassungen gibt, kann man ihm mit schnell geschossenen Remakes die einfallsreichen ausländischen Geschichten als frisch verkaufen. Das zieht allerdings nicht mehr, wenn man sich in Hollywood ans Remake eines eigenen Klassikers macht, denn damit kann man eigentlich nur verlieren. Im Vergleich zum Original fällt man fast unvermeidlich ab, und je präsenter ein Film noch in der Erinnerung des Publikums ist, desto unnötiger und überflüssiger erscheint eine Neuauflage. Warum also würde man es für eine gute Idee befinden, einen modernen Klassiker des Action-Kinos wie Paul Verhoevens „Total Recall – Die totale Erinnerung“ neu aufzulegen, der seit seiner Veröffentlichung im Jahr 1990 wirklich alles andere als aus dem kollektiven Bewusstsein der Kinogemeinde verschwunden ist?
Okay, es hätte ein gutes Argument gegeben. Denn schließlich basiert „Total Recall“ auf einer Kurzgeschichte des legendären Science-Fiction-Autors Philip K. Dick, und wie auch die anderen berühmten Adaptionen von Dick-Geschichten – namentlich „Blade Runner“ und „Minority Report“ – beschränkte sich auch „Total Recall“ darauf, von Dicks Geschichte lediglich die faszinierende SciFi-Prämisse und ein paar Grundelemente zu übernehmen und sich daraus ziemlich frei eine eigene Geschichte zu basteln. Und so tönen die Produzenten des „Total Recall“-Remakes im Pressematerial denn auch großspurig herum, dass man sich Dicks Geschichte noch einmal völlig neu genähert hätte und der Vorlage treuer bleibt. Wenn das denn nur so wäre, wäre die Sache vielleicht wirklich interessant geworden.
Tatsächlich hat der neue „Total Recall“ mit der Literaturvorlage aber nur eines maßgeblich gemein: Dass die Handlung den Planeten Erde nicht verlässt und es den Helden nicht auf den Mars verschlägt. Abgesehen davon kopiert „Total Recall“ 2012 beinahe haargenau die dramaturgische Struktur von „Total Recall“ 1990, variiert lediglich dessen frei hinzugefügte Elemente und lässt seinen Helden in einen Freiheitskampf gegen eine Quasi-Diktatur einsteigen, von der in Dicks Geschichte niemals die Rede war.
Die Drehbuchautoren Kurt Wimmer und Marm Bomback schaffen es dabei, ihrer neuen Version ein Szenario zu verpassen, bei dem man sich schon nach den ersten zwei Minuten fragt, was das denn bitte für ein Quatsch ist. Da ist die Welt am Ende des 21. Jahrhunderts durch chemische Kriegsführung weitestgehend unbewohnbar geworden und es gibt nur noch zwei Staaten: Die Vereinigte Föderation von Britannien (bestehend aus der englischen Insel und ein paar Fitzeln von Europa), und „die Kolonie“ (= Australien), und es gibt nur einen Weg, zwischen den beiden hin und her zu reisen: Den „Fall“, ein Tunnel der einmal geradewegs durchs gesamte Erdinnere führt und durch den man quasi durch den ganzen Planeten plumpst. Geologen, Physiker und jeder Mensch mit halbwegs gesundem Verstand muss ob dieses völlig unmöglichen Schwachfugs entweder in Gelächter und/oder in ungläubiges Staunen ausbrechen. Aber die Filmemacher meinen das tatsächlich ernst.
Durch diesen Tunnel jedenfalls reisen die Bewohner der Kolonie Tag für Tag nach Britannien, von dessen Regierung unter dem Kanzler Coohagen (Bryan Cranston aus „Breaking Bad“) sie als rechtlose Arbeitermasse geknechtet werden. Einer dieser unbedeutenden Arbeiter ist Douglas Quaid (Colin Farrell in der ehemaligen Schwarzenegger-Rolle), der seinem drögen Dasein gerne einmal entkommen würde und daher der Versuchung anheim fällt, die Dienste der Firma „Rekall“ in Anspruch zu nehmen. Diese wirbt damit, ihren Kunden Erinnerungen ins Gehirn zu implantieren, so dass man tatsächlich glaubt, einen unvergesslichen Urlaub oder ein anderes großes Abenteuer erlebt zu haben. Quaid möchte gern ein Abenteuer als Super-Geheimagent „erleben“. Doch bei der Implantierung kommt es zu Komplikationen und auf einmal scheint sich die ganze Welt gegen Quaid verschworen zu haben: Die Sicherheitskräfte jagen ihn und auch seine eigene Frau (Kate Beckinsale) trachtet ihm auf einmal nach dem Leben. Anscheinend ist Quaid tatsächlich ein Superagent gewesen, dem lediglich per falscher Erinnerung suggeriert wurde, er sei ein einfacher Arbeiter, um ihn ruhig zu stellen. Und so gerät Quaid in eine große Verschwörung hinein um die Widerstandskämpfer, die für die Unabhängigkeit der Kolonie kämpfen, und trifft auch seine „wahre“ große Liebe Melina (Jessica Biel) wieder.
Oder ist dies alles vielleicht doch nicht real und eben nur jene implantierte Erinnerung, die Quaid ja ausdrücklich bei Rekall bestellt hat? Es gehörte zu den Stärken von Verhoevens Scifi-Reißer, dass er erfolgreich mit dieser Möglichkeit spielte und auch in seiner letzten Szene noch offen ließ, ob sein Held nicht einfach in einer falschen Erinnerung gefangen ist (eine Frage, die der eigentliche Kern von Dicks Originalgeschichte war, die dieses Spiel mit der echten und falschen Erinnerung noch viel weiter auf die Spitze trieb). Dem Remake geht diese Finesse leider völlig ab, auch wenn es die entsprechenden Kernszenen aus dem ersten „Total Recall“ fast 1:1 kopiert, dabei aber in entscheidenden Details zum Schlechten hin variiert und so die einstige Ambivalenz killt.
Ähnlich unsubtil und unelegant erweist sich der Film auch sonst. Das Drehbuch von Wimmer und Bomback steht der Regie von Len Wiseman („Underworld 1&2“, „Stirb langsam 4.0“) in Grobschlächtigkeit und Ungeschicktheit in nichts nach. So kommt der Film in seinen ersten 20 Minuten wahnsinnig langsam in Gang, während mit viel Dialogmasse platte Exposition betrieben wird, bevor es endlich mal zur Sache geht. Diesen unschönen Rhythmus zieht der Film dann leider fast bis zum Ende durch: Stumpfe und steife Passagen, in denen mit viel Blabla die Details der verworrenen Backstory erläutert werden, wechseln sich ab mit rasant das Tempo anziehenden Action-Sequenzen, nach denen dann wieder auf die Bremse getreten wird. So bewegt sich „Total Recall“ vorwärts wie ein Stop&Go-Stau auf der Autobahn und vermittelt den unschönen Eindruck, dass sich Regisseur Wiseman einen ziemlichen Dreck um die Story-Passagen geschert hat und es ihm eigentlich nur darum ging, seine inhaltsleeren Action-Sequenzen möglichst stylisch aussehen zu lassen. Was ihm zugegeben auch ganz gut gelingt. Der Gesamteindruck des Films ist trotzdem reichlich unhomogen, womit auch die Actionteile deutlich an Schlagkraft verlieren.
Auch im Umgang mit seinem Vorgänger wirkt „Total Recall“ 2012 unbeholfen. Einerseits ändert er ausgerechnet die starken und besonders coolen Elemente von Verhoevens Film ab (das großartige Mars-Szenario mit der Atemluft-Diktatur vs. dem hiesigen Quatsch mit dem Erd-Durchquerungs-Tunnel), andererseits versucht er ihm durch eingestreute Detail-Zitate seine Referenz zu erweisen, ohne dass das wirklich Sinn macht. Bestes Beispiel: Der kurze Auftritt einer Prostituierten mit drei Brüsten. Im Original war das noch in bester Verhoeven-Exploitation-Manier ein Bild für die Mutationen, unter denen die Mars-Bevölkerung leidet. In Wisemans Welt gibt es keine Mutationen, entsprechend unsinnig und zusammenhanglos wirkt besagte Prostituierte. Aber hach, das mit den drei Brüsten war damals so cool, das müssen wir doch auch in den neuen Film reinkriegen….
Auf diese Art und Weise entlarvt sich „Total Recall“ 2012 als ein ziemlich stupides Machwerk, das es schafft, einer an sich faszinierenden, verdammt cleveren und wendungsreichen Geschichte ihren gesamten Thrill zu nehmen. Gerade wenn man das Original kennt wird die Plattheit dieses neuen „Total Recall“ eklatant, dem der boshafte Witz von Verhoevens Original zudem völlig abgeht (Stichwort: „Und jetzt steck’ dir das Ding in die Nase“). Und wenn man das Original nicht kennt, ist man definitiv besser beraten es sich auf DVD zu beschaffen oder die nächste TV-Ausstrahlung abzuwarten, als eine Kinokarte für diese schlechte, seelenlose Kopie zu erwerben.
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