Adaption

Originaltitel
Adaptation
Land
Jahr
2002
Laufzeit
112 min
Genre
Regie
Release Date
Bewertung
10
10/10
von Jan Kucharzewski / 30. Mai 2010

Nach der eingehenden Betrachtung von "Adaptation" dürfte vor allen Dingen eines klar sein: war "Being John Malkovich", der Vorgängerfilm von Charlie Kaufmann (Buch) und Spike Jonze (Regie), schon ein selbstreflexives Meisterwerk, das fast alle bestehenden Konventionen des Hollywood-Kinos mal einfach so aus den Angeln gehoben hat und dabei auch noch zum Publikumserfolg wurde, geht "Adaptation" mit seiner verschachtelten "Buch im Buch im Film im Film"-Struktur noch einen Schritt weiter und führt dem geplätteten Zuschauer vor Augen, welche Konsequenzen Kino wirklich haben kann: totaler Realitätsverlust und Schizophrenie.

Nicolas Cage spielt den schüchternen (und zumindest namentlich real existierenden) Drehbuchautoren Charlie Kaufmann, der nach seinem Filmdebüt "Being John Malkovich" nun den auto-biographischen Bestseller "The Orchid Thief" der ebenfalls real existierenden (aber hier von Meryl Streep gespielten) Schriftstellerin und Journalistin Susan Orlean für die Leinwand adaptieren soll. Kaufmann will um jeden Preis den bedächtigen Tonfall der Vorlage beibehalten und gerät dadurch in eine künstlerische Krise: wie schreibt man einen Film über ein Buch, das sich vordergründig mit Blumen beschäftigt, gleichzeitig aber das subtile Porträt einer Lebenskrise darstellt? "The Orchid Thief" handelt von Susans Begegnung mit dem exzentrischen Orchideensammler John Loarch (Chris Copper), der nach einem tragischen Unfall seine gesamte Familie verloren hat und nun von der Suche nach einer seltenen Orchideenart in den Sümpfen Floridas besessen ist. Das Buch benutzt das Zusammentreffen der innerlich ausgebrannten Journalistin mit dem verschrobenen Loarch als Ausgangspunkt für unzählige Exkursionen über Evolutionstheorie, Orchideenanbau und Hortikultur. Während sich Charlie also den Kopf an der relativen Handlungsarmut und Hintergründigkeit der literarischen Vorlage zerbricht, besucht sein arbeitsloser und untalentierter Zwillingsbruder Donald (Cage in der beeindruckendsten Doppelrolle seit Jeremy Irons in Cronenbergs "Die Unzertrennlichen") einen Schreibkurs bei einem vermeintlichen Drehbuchguru (Brian Cox). Dieser indoktriniert seinen Schülern einige ebenso schematische wie rigorose Regeln für das Verfassen eines perfekten Skripts. Charlies Versuche, seinem Bruder klarzumachen, dass ein gutes Drehbuch etwas mehr bedarf als erzählerischer Legosteine, stoßen auf taube Ohren. Nach und nach wird Donald zu Charlies künstlerischem Alter-Ego, denn während der eine versucht, sämtliche Klischees und Stereotypen zu vermeiden und schließlich an seinen eigenen Ansprüchen verzweifelt, bastelt der andere in seiner Naivität ein plattes 08/15-Skript zusammen, das zu allem Überfluss noch das Interesse eines großen Studios weckt.
Angesichts der Unmöglichkeit "The Orchid Thief" adäquat zu adaptieren, beginnt Charlie seine Schreibblockade in dem Drehbuch zu thematisieren und fügt sich selber in den Plot ein. Als ihn diese Schachtelerzählung auch nicht weiter bringt und Buch und Film sich in etlichen Handlungssträngen zu verlieren drohen, bittet er schließlich seinen Bruder um Hilfe. Mit Donalds Unterstützung sowie den aufrüttelnden Worten seines Script-Writing Lehrers schreibt Charlie das Drehbuch, das er niemals schreiben wollte. Und wenn sich an diesem Punkt die diversen Plots von Buch und Film überschneiden, kommt es zu einer der abruptesten narrativen Zäsuren in der Geschichte des Films...

Mit "Adaptation" ist das amerikanische Kino nun endgültig in der Postmoderne angekommen: die Annäherung von Realität und Repräsentation, ironische Selbstreferenzialität, non-lineare Erzählstrukturen, die Vermischung von Fakt und Fiktion, Inter- und Metafiktionalität und so weiter.... Indem der Film von sich selber handelt und dabei seine eigenen narrativen Mechanismen offen legt, gleichzeitig aber auch eben diesen Versuch der Selbst-Dekonstruktion demontiert, funktioniert er wie ein Möbius-Band, das sich endlos um sich selber schlängelt. Der als eine Art cineastisches Spiegelkabinett konzipierte Film überschreitet so mühelos die Grenzen zwischen seiner eigenen Entstehung, der Realität der Zuschauer und dem, was auf der Leinwand zu sehen ist, dass einem bisweilen schwindelig wird: mal steht Charlie alias Nicolas Cage verloren am Set von "Being John Malkovich" herum, während John Malkovich als John Malkovich (der John Malkovich spielt) sich mit dem Regisseur über eine Szene unterhält, die der "echte" Kaufmann geschrieben hat, mal stammelt Kaufmann Ideen für die Szene in sein Diktiergerät, die der Zuschauer gerade auf der Leinwand sieht, oder trifft einen Deus Ex Machina Protagonisten, der ihn davor warnt, Deus Ex Machina Elemente in seinem Drehbuch zu verwenden. Die Szene, in der Charlie sich selber in sein Drehbuch schreibt und dann darüber schreibt, wie er darüber schreibt, wie er sich in sein Skript einbringt (usw....) ist symptomatisch für die unzähligen Paradoxen von "Adaptation".
Dass der Film nicht einmal vor sich selbst sicher ist, zeigt das letzte Drittel: wenn Charlie angesichts seiner Schreibblockade doch noch auf die abgedroschenen "10 Regeln zum Verfassen eines Drehbuchs" zurückgreift, um das Skript rechtzeitig vollenden zu können, mutiert der Film zu einem platten Hollywood-Thriller der übelsten Sorte. Die Ereignisse der letzten 20 Minuten Spielzeit stehen in keinem kohärenten Zusammenhang zu dem Rest des Films. Stattdessen wird so ziemlich jedes Drehbuchklischee bemüht, das man sich vorstellen kann: Liebesgeschichten, Verfolgungsjagden in den Sümpfen Floridas, Alligatoren, Schusswechsel, Familienzusammenführungen (inklusive eines gemeinsamen Songs), Presslufthammer-Symbolik und bewusstseinserweiterende Drogen, die aus einer seltenen Orchideenart (!!!!) gewonnen werden.
Diese 180-Grad-Wendung kann als eine zynische bis nihilistische Abrechnung mit den Konventionen des Hollywood-Kinos verstanden werden, sie ist aber auch eine Manifestation jener Gegenpole, die wohl in den meisten Künstlern existieren: dem Bedürfnis etwas Neues zu kreieren, der Angst davor, zu kommerziell zu sein und dem Wunsch, mit seiner Arbeit trotzdem Erfolg zu haben. Wenn Donalds und Charlies grundverschiedene Visionen von einem guten Skript am Ende aufeinander treffen, dann funktioniert dieser seltsame Meta-Showdown trotz all seiner Implausibilität hervorragend im Kontext des gesamten Films, da er dem Zuschauer konsequent vor Augen führt, welche Art von Film "Adaptation" niemals werden sollte, aber letztendlich werden musste.
Drehbuchautor und Quasi-Protagonist Charlie Kaufmann schlachtet in diesem Spiel mit den Möglichkeiten des filmischen Erzählens genussvoll die philosophischen Schriften von Derrida, Lyotard und John Barth aus und bedient sich gleichzeitig der vertrackten literarischen Werke von Jorge Louis Borges, Vladimir Nabokov und Thomas Pynchon. Überhaupt besitzt "Adaptation" eine unbestreitbare Nähe zur modernen und postmodernen Literaturtheorie, indem er eine ihrer Hauptfragen in sein Zentrum rückt: Was ist Erzählen, und wie funktioniert es?

Wenn sich diese Rezension jetzt wie eine verbale Masturbation liest, dann hängt das zwar mit dem Thema des Films zusammen, kann aber nicht auf ihn selbst zurückgeführt werden, denn "Adaptation" bleibt trotz seiner Komplexität ein unglaublich leichtfüßiges Kinoerlebnis, in dem die erzählerischen Kniffe nie zu einem reinen Selbstzweck verkommen. Die Dialoge grenzen bisweilen ans Geniale, und die Charaktere sind so plastisch gezeichnet und gespielt, dass sie zu jeder Sekunde weitaus mehr sind, als nur bloße Stafetten in einem narzisstischen Filmexperiment. Insbesondere Nicolas Cage liefert die beste Darstellung seiner bisherigen Karriere ab. Obwohl die geschickte Inszenierung von Regisseur Spike Jonze und Kameramann Lance Ancord den Zwillings-Szenen eine unglaubliche Dynamik verleiht und nie den Eindruck entstehen lässt, dass Charlie und Donald von nur einem Schauspieler verkörpert werden, ist es insbesondere die Leistung von Cage, die es dem Zuschauer so leicht macht, die Brüder trotz aller Gemeinsamkeiten auseinander zu halten. Im Laufe des Films gelingt Cage dann auch einer der beeindruckendsten Tricks von "Adaptation": er verschwindet sowohl mimisch als auch physisch vollkommen in der Doppelrolle. Die Tatasche, dass alle anderen Rollen auch noch hervorragend besetzt und gespielt sind, wirkt angesichts der vorhandenen Kopf- und Augennahrung fast schon wie eine Fußnote.
"Adaptation" ist sicherlich nicht jedermanns Sache, zumal der Film seinen Zuschauern einiges abverlangt und viele Fragen offen lässt. Diesem Meisterwerk aber weniger als die Höchstnote zu geben, käme einem Kapitalverbrechen gleich. Daher: voll auf die zehn!


10
10/10

Ein genialer Film der sich genauer betrachtet weder mit Blumen, noch mit Charlie Kaufmann selbst befasst. Es geht in erster Linie um die Möglichkeiten des Erzählens in all seinen Dimensionen...und gleichzeitig aber auch um die Bedeutung der Existenz eines jeden Einzelnen.

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10
10/10

Was für ein Film!
Ehrlich gesagt hab ich noch keinen tiefgründigeren Film als diesen gesehen. Ich finde nicht, dass der Film über Drehbücher, Neurotiker, Hollywood - Mainstream oder sonst was handelt. Das wahre Thema des Filmes, finde ich, ist irgendwie die Frage nach dem Sein und des Sinn des Lebens überhaupt.

Sicher, nicht leicht zu verstehen, aber wer auf Anspruch steht, MUSS diesen Film gesehen haben. Genial!

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3
3/10

Tja, und in Zeile 2 stirbt es dann: "Vorgängerfilm von Charlie Kaufmann (Buch) und Spike Jonze (Regie), schon ein selbstreflexives Meisterwerk". Wer selbstreflexiv sein will, soll dies beim Psychiater tun, aber nicht von mir Geld dafür verlangen.

Zitat:
"Mit "Adaptation" ist das amerikanische Kino nun endgültig in der Postmoderne angekommen: die Annäherung von Realität und Repräsentation, ironische Selbstreferenzialität, non-lineare Erzählstrukturen, die Vermischung von Fakt und Fiktion, Inter- und Metafiktionalität und so weiter..."

Mit anderen Worten, eine lustige Mischung sinnentleerter Modewörter (z.B. kann irgendjemand begründen, warum "postmodern" als "postmodern" bezeichnet wird), die ohne Rücksicht auf Kontext und Content wild durcheinander geworfen werden, abgeschlossen mit dem heimlichen Ich-hab-keine-Ahnung-von-was-ich-erzähle-Klassiker "und so weiter."

Und ironisch, ja ironisch darf nicht fehlen. Wir sind seit den 90ern ja alle sooooo ironisch.

Zitat:
"Indem der Film von sich selber handelt und dabei seine eigenen narrativen Mechanismen offen legt, gleichzeitig aber auch eben diesen Versuch der Selbst-Dekonstruktion demontiert, funktioniert er wie ein Möbius-Band, das sich endlos um sich selber schlängelt."

Zu Moebius-Bändern sei ihm die Lektüre von "Escher-Gödel-Bach - ein endlos geflochtenes (gewundenes?) Band" empfohlen. Stand bei mir auf der Leseliste 12/1, aber wir könne ja dankbar sein, daß der Rezensent schreiben kann (oder einen guten Lektor hat). Jedenfalls, nach Lektüre von EGB wird ihm vielleicht klar, was für einen sinnfreien, vollkommen un-selbst-dekonstruktivistischen Müll er da verzapft.

Zitat:
"Gegenpole, die wohl in den meisten Künstlern existieren: dem Bedürfnis etwas Neues zu kreieren, der Angst davor, zu kommerziell zu sein und dem Wunsch, mit seiner Arbeit trotzdem Erfolg zu haben."

So stellt sich der brave "Kritiker" einen Künstler vor. Ein Sack voller Klischee-Bedürfnisse. Wenn man etwas Neues kreiert (was sowieso eigentlich unmöglich ist), hat man etwas Neues kreiert, egal wie kommerziell es dann wird (je neuer, desto unwahrscheinlicher). Wenn Du Angst um Deinen Erfolg hast, wirst Du spätestens nach drei Versuchen damit beschäftigt sein, zu erklären, warum andere Schuld an Deinem Mißerfolg haben. Gott ist das oberflächlich. Du arbeitest und erschaffst, weil du gar nicht anders kannst. So simpel ist das, du !"!%/&%$(&

Zitat:
"Der als eine Art cineastisches Spiegelkabinett konzipierte Film überschreitet so mühelos die Grenzen zwischen seiner eigenen Entstehung, der Realität der Zuschauer und dem, was auf der Leinwand zu sehen ist, dass einem bisweilen schwindelig wird:"

Er hätte mit der Besprechung warten sollen, bis ihm nicht mehr so schwindlig ist.

Zitat:
"Insbesondere Nicolas Cage liefert die beste Darstellung seiner bisherigen Karriere ab."

Höhö. d.h., daß er jetzt in der Lage ist, in einem Mon-Cheri-Werbespot mitzuspielen. Naja, nicht ganz, aber Cage hat fast genausoviel Leinwandmüll produziert wie Jean Claude vanDamme. (The Rock, Wicker Man, 8 MM, Family Man, Windtalkers, National Treasure............)

Zitat:
"Wenn sich diese Rezension jetzt wie eine verbale Masturbation liest, dann hängt das zwar mit dem Thema des Films zusammen, kann aber nicht auf ihn selbst zurückgeführt werden, denn "Adaptation" bleibt trotz seiner Komplexität ein unglaublich leichtfüßiges Kinoerlebnis, in dem die erzählerischen Kniffe nie zu einem reinen Selbstzweck verkommen."

Runaway-Sentence - die Conditio, die er hier verwendet, hat nichts mit dem Factum der Konstruktion zu tun. Es ist ein "Gedanke" nach dem Muster: Wenn ich ein Frosch bin, liegt das daran, daß die Haustür repariert wurde. Guter Mann, wenn nicht "Selbstzweck" (und auf welches "Selbst" richtete sich dieser Zweck?), welcher Zweck denn dann? Ist es dasselbe "Selbst", das "selbstreflexiv" ist? Dann wäre aber bitte schön sehr wünschenswert, daß der Zweck ein Selbstzweck ist. Was wäre der andere Zweck? Bananen verkaufen? Und was hat die Zweckhaftigkeit (gleich welche) damit zu tun, daß Du, lieber Rezensent, Deine Maus mit Protein verklebst?

Zitat:
"Diesem Meisterwerk aber weniger als die Höchstnote zu geben, käme einem Kapitalverbrechen gleich. Daher: voll auf die zehn!"

Deutsch: Ich habe nichts verstanden, wie ich deutlich gezeigt habe, aber jeder sagt, es sei toll, und ich konnte in meiner Besprechung jede Menge Wörter verwenden, die ich mal im Spiegel und in der Zeit gelesen habe.

Filme, die solche dekonstruktivistischen, postmodernen Kritiken erhalten, sind nichts für mich. Ich sehe anderen nicht gerne beim Wichsen zu.

NB: Das richtet sich nicht gegen den Film, sondern gegen den Rezensenten und seine öffentliche Vergewaltigung meiner Muttersprache. Zum Thema "Erzählen" zwei Filme als Tipp: Barton Fink und Bullets over Broadway. Vor allem letzterer nimmt das Musenböckchentum schwer auf die Schippe.

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