Kleine Haie

Jahr
1992
Laufzeit
87 min
Genre
Bewertung
von Frank-Michael Helmke / 14. November 2010

Das „Neue Deutsche Kino“ mit Blütezeit Mitte der Neunziger brachte vor allem eins: Beziehungskomödien bis zum Abwinken und darüber hinaus. Losgetreten hatte all dies die Comic-Verfilmung „Der bewegte Mann“, die sich zu DEM Überraschungshit 1994 entwickelt hatte, schnell zu einer der erfolgreichsten deutschen Nachkriegsproduktionen wurde, und ihren Hauptdarsteller Til Schweiger zum Superstar und Gallionsfigur des neuen Film-Nationalbewußtseins machte. Von all dem, was danach kam, ist nicht viel hängen geblieben, und auch der neue Starregisseur Sönke Wortmann zeigte sich erstaunlich uninspiriert, als er die Hera Lind-Verfilmung „Das Superweib“ zu seinem nächsten Projekt auserkor. Das beste, was diese ganze „Welle“ hervorbrachte, war sowieso schon lange vorher gelaufen. Wortmanns letzter Film vor dem „Bewegten Mann“ hieß „Kleine Haie“, und kann sich rühmen, so etwas wie der einzige deutsche Kultfilm der Neunziger zu sein.

Der Titel „Kleine Haie“ ist eine Anspielung auf den „Kleinen Hey“, ein Klassiker unter den Schauspielhandbüchern, mit jeder Menge Sprachübungen drin. Dieser „Kleine Hey“ ist eines der Hauptutensilien der zentralen Charaktere dieses Films. Das sind konkret Ingo, Johannes und Ali, alle drei aus völlig verschiedenen Gegenden, mit völlig verschiedenen Hintergründen, völlig verschiedenen Motivationen, aber alle mit einem Ziel: Schauspielschule München. 
Ingo ist eigentlich Tellerwäscher, und gerät nur zufällig in eine Aufnahmeprüfung an der Essener Schauspielschule, weil er versehentlich für einen Aspiranten gehalten wird, als er eigentlich nur einen Stuhl zurückbringen will (lange Geschichte). Hier trifft er Johannes, der, Prüfungsangst sei Dank, schon bei so ziemlich jeder Schule die Aufnahme versaut hat. Da Ingo bei seinem Job rausfliegt (wegen dem Stuhl, lange Geschichte) und seine Freundin gerade mit ihm Schluß gemacht hat, begleitet er Johannes kurzerhand zur nächsten Prüfung nach München. Auf einer Autobahnraststätte treffen die beiden Tramper den mega-souveränen Ali, der natürlich das selbe Ziel hat. In der Prollschaukel von Ulf (Kampfname „Bierchen“) zockeln sie dann gen Süden, wo sich alsbald eine kleine Romanze zwischen Johannes und der Straßenmusikerin Helga entwickelt. Dann muß man noch eine Bleibe finden, und die Aufnahmeprozedur dauert auch etwas länger.

Storymäßig ist in diesem Film nicht so super viel los, aber den Charme von „Kleine Haie“ machen seine originellen Charaktere aus. Selbst die nur für einige Sekunden auftauchenden Mitbewerber in Essen und München sind so prägnant, daß man sie schwerlich wieder aus dem Kopf bekommt. Ali, Johannes und Ingo scheinen sowieso direkt aus dem Leben gegriffen zu sein, und der König des ganzen ist natürlich „Bierchen“. Hinter diesem zotteligen Dauersäufer verbirgt sich, man mag es kaum glauben, Armin Rohde, der in seinen wenigen Szenen eine so kongeniale Kult-Performance hinlegt, daß ihn der Name „Bierchen“ wahrscheinlich bis aufs Sterbebett verfolgen wird. 
Abgesehen von Rohde kann man hier einige spätere Stars bei ihren Anfängen beobachten: Jürgen Vogel als Ingo, der Schalke-Fan mit Leib und Seele (und Dialekt), ließ hier schon erahnen, daß er sich bald zu dem herausragendsten Jungschauspieler in Deutschland entwickeln sollte. Kai Wiesinger als Johannes wirkt so zerbrechlich, daß man nur auf Windstille hoffen kann, und hat zeitgleich sämtliche Sympathien (und das komplette Mitleid) auf seiner Seite. Gedeon Burkhard liefert eine Lehrstunde in Sachen undurchdringliche Coolness ab, und das so brillant, daß es wirklich traurig stimmt, wie er inzwischen als Herrchen von „Komissar Rex“ verheizt wird. Ach ja, und nicht zu vergessen Meret Becker, die als Helga eine wirklich fulminante Gesangsnummer hinlegt.

Die Mischung der Charaktere stimmt hier einfach genau: Der bodenständige Ingo, der ambitionierte Johannes (Ingo: „Immer dieser `O Pharao, O Pharao´-Scheiß!“. Johannes entrüstet: „Das ist Schiller!“), und der lebenslustige Ali geben ein so mitreißendes und höchst amüsantes Trio ab, daß einem der Film aufgrund extremer Kurzweiligkeit noch kürzer vorkommt, als er sowieso schon ist. Die Dialoge wirken kein bißchen aufgesetzt, und selbst die Statisten führen Unterhaltungen, von denen man beinahe annehmen könnte, sie schon mal im wirklichen Leben gehört zu haben. 
Man sieht „Kleine Haie“ in jeder Sekunde an, wie frisch und unverbraucht das Talent aller Beteiligten hier noch war. Die Schauspieler waren allesamt noch unbekannte Frischlinge, und der Regisseur hatte gerade mal einen Achtungserfolg („Allein unter Frauen“) hingelegt, so daß er sich erst noch einen guten Ruf machen mußte. Wenn wirklich einmal alle mit Herzblut dabei sind, dann kann man aus einem kleinen Film ein wahrlich großes Vergnügen machen.

„Kleine Haie“ ist nicht wirklich außergewöhnlich, er hat dem deutschen Film keine neue Richtung gegeben und er wird auch nicht in die Annalen des nationalen Kinos eingehen. Trotz alledem hat es in den letzten zehn Jahren keine Komödie mit Herkunft Deutschland gegeben, die sich im Kopf so sehr festsetzt wie diese. Es macht einfach Spaß, diesen Film zu gucken. Er hat seine eigenen, unvergeßlichen Kleinigkeiten und Eigenheiten, die man sich auch gerne nochmal ansieht. Und nochmal. Und nochmal. Und nochmal. Und das ist es doch, was einen Kultfilm ausmacht.


10
10/10

Der beste Film ueberhaupt! Muss man gesehen haben, oder besser gleich die DVD kaufen und jeden Samstag mindestens einmal ansehen.

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8
8/10

Herrlich! Vor allem die Szene als die Gruppe mit Schlaf- und Rucksack an der damals noch harten Münchner-Parkcafe-Tür scheitert und sich in der nächsten Einstellung bei MacDonalds aufwärmt. Kleine Haie = kleine Perle.

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