MOH (31): 6. Oscars 1934 - "In einem anderen Land"
In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".
Die sechsten Academy Awards wurden am 16. März 1934 vergeben. Nie war der Abstand (17 Monate) zwischen zwei Oscar-Verleihungen größer – die fünfte hatte im November 1932 stattgefunden. Grund dafür war der Plan der Academy auf einen neuen Rhythmus für die Verleihung zu setzen und ab dem folgenden Jahr Filme eines jeweils kompletten Kalenderjahres zu berücksichtigen, wie es ja auch heute noch praktiziert wird. Angesichts der nun aber ungewöhnlich großen Zeitspanne zwischen dieser und der letzten Verleihung entschloss man sich in diesem Jahr in der Kategorie bester Film auf zehn Nominierungen aufzustocken – im Vergleich zu den acht im Vorjahr. Als ob der Rezensent hier nicht schon genug zu tun hätte.
Für etwas Aufregung sorgte bei der Verleihung übrigens ein kleines Malheur bei der Vergabe des Regie-Oscars. Gastgeber Will Rogers kommentierte sein Öffnen des Gewinnerumschlags mit den Worten “Come and get it, Frank“, was den nominierten Regisseur Frank Capra zu einem freudigen Lauf in Richtung Podium motivierte. Dumm nur, dass ein anderer Frank (Lloyd) gewonnen hatte. Den Weg zurück zu seinem Platz beschrieb Cukor später als wohl erniedrigendsten Moment seines Lebens.
Freudiger ist da doch der Blick auf die Liste der nominierten Filme. Schließlich dürfen wir den Frühwerken zahlreicher späterer Kinolegenden beiwohnen und dabei auf Cary Grant, Katherine Hepburn und Gary Cooper treffen. Bevor wir uns aber in meiner ersten Rezension des Auftritts letzterem im Streifen „In einem anderen Land“ widmen, blicken wir erst noch einmal kurz hinter die Kulissen. Denn das diese drei Schauspieler und Schauspielerinnen zu so großen Stars wurden hatte, wie bei vielen ihrer Kollegen und Kolleginnen damals, nur bedingt etwas mit Zufall zu tun.
More Stars than there are in Heaven – Hollywoods Star System
Vor kurzem haben wir ja an dieser Stelle über die Etablierung des Studio Systems in Hollywood gesprochen. Dank diesem gelang der Traumfabrik die perfekt durchorganisierte Massenproduktion von Filmen und der Startschuss für die sogenannte goldene Ära Hollywoods. Auch Schauspieler und Schauspielerinnen waren Teil dieser Maschinerie, denn natürlich mussten auch diese perfekt funktionieren – die großen Studios wollten ja nichts dem Zufall überlassen. Die Wege und Mittel wie diese ihr Personal aber “rekrutierten“ waren durchaus diskutabel. Doch bevor wir darüber sprechen ist es erst mal wichtig darauf hinzuweisen, dass ganz in der Anfangszeit des Kinos die Menschen vor der Kamera noch überraschend wenig Beachtung fanden.
Als die Bilder um die Jahrhundertwende (1900) laufen lernten wurde Film noch nicht wirklich als Kunstform ernstgenommen. So kam hier dann auch erst mal keiner auf die Idee, die Menschen vor der Kamera durch Namensnennung am Ende der Filme zu würdigen. Auch die Darsteller forderten es nicht ein, vielen Theaterschauspielern war dieses neue und ja noch sehr simple Medium sogar eher etwas peinlich (wenn auch eine nette Möglichkeit für einen kleinen Nebenverdienst). Das Publikum machte auch keine Anstalten sich dafür zu interessieren, schließlich erkannte man ja sowieso oft nicht wirklich im Detail die Gesichter auf der Leinwand. Es sollte ja auch erst einige Jahre dauern, bis Regisseure gezielt Nahaufnahmen von Menschen einsetzen würden.
Das Interesse an den Menschen hinter den Protagonisten stieg dann aber mit der Weiterentwicklung der Filmsprache. Dank besserer Schnitttechnik und Geschichten entstand bei den Filmen nun eine stärkere emotionale Bindung des Publikums zu den Figuren. Die Filmstudios sahen allerdings erst mal keinen Anlass einen Promifaktor ihres Personals durch deren Namensnennung zu generieren. Hatte man doch die Sorge, dass dies zu höheren Gagen führen würde, wie es parallel am Theater zu beobachten war. So mussten Publikum und Presse also andere Wege finden, um über vertraute Gesichter auf der Leinwand zu diskutieren. Wie im Fall von Florence Lawrence, die im Jahr 1908 für die Biograph Studios gleich bei dutzenden Filmen unter der Regie von D.W. Griffith vor der Kamera gestanden hatte – und beim Publikum ziemlich gut ankam. Diese wurde, da sich das Studio trotz zahlreicher Anfragen weigerte den Namen rauszurücken, schlichtweg von allen nur noch als das “Biograph Girl“ bezeichnet.
Ein kleiner EInblick in die am Ende tragische Geschichte des "Biograph Girls"
Im Jahr 1910 wurde Lawrence dann aber vom deutschen Filmproduzenten Carl Laemmle, dem späteren Gründer von Universal Pictures, mit dem Versprechen nach mehr Geld und einer Namensnennung abgeworben. Die Katze war nun aus dem Sack und das Beispiel machte Schule. Auch Lawrence Nachfolgerin bei den Biograph Studios, die schon bald vom Publikum heißgeliebte Mary Pickford, wurde vom Studio nicht mit Namen genannt. Kinobetreiber hatten aber schon längst erkannt, dass auch diese Dame ein Zugpferd war und vermarkteten diese mit so Spitznamen wie „Blondilocks“, „The Girl with the Golden Curls“ oder einfach als neues „Biograph Girl“. Auch Pickford entschied sich dann aber für einen Studiowechsel, um bald auch ihren echten Namen auf den Werbeschildern entdecken zu können. Und spätestens jetzt dämmerte den Studios, dass die alte Verschleierungstaktik wohl keine Zukunft mehr haben würde.
Wenn der Wind sich dreht sehen das clevere Geschäftsleute aber natürlich als Chance. Schon Laemmle hatte damals bei Florence Lawrence erkannt, welches finanzielle Potential in der Beliebtheit seiner Darstellerin lag. Und er feuerte dies geschickt dadurch an, dass er gezielt Gerüchte streuen ließ, dass Lawrence gestorben sei – nur um dann mit ihrem neuesten Film um die Ecke zu kommen. Auch die neu entstandenen Film-Fanmagazine erkannten schnell, dass die Auflage deutlich stieg, wenn man Geschichten zu den Menschen hinter den Figuren verfasste – idealerweise garniert mit Einblicken in deren Privatleben.
So kam was kommen musste. Mit der Manifestierung des Studiosystems und der immer straffer organisierten Massenproduktion von Filmen setzten nun auch die Studios ganz gezielt auf Stars - und wollten diese wie die Filme am liebsten ebenfalls am Fließband produzieren. Spätestens mit den 1930er Jahren hatte man solch ein Star System dann auch perfektioniert. Und das sah so aus: Talentjäger wurden gezielt zu Theatern und Nachtklubs geschickt, um möglichst junge und versprechende Newcomer zu entdecken. Dabei wurde schon gezielt danach gesucht, was für Charaktere man denn aktuell gerade so im eigenen Studio-Portfolio benötigte. Wenn das passte folgte dann als nächstes das nötige Schauspieltraining. Um alles aber auch wirklich rund zu machen, gab es oft auch noch einen wohlklingenden neuen Namen und eine komplett erfundene Biographie für die Schauspieler obendrauf. Und die ein oder andere Schönheitsoperation wurde auch freundlich “angeboten“.
Bei soviel “Hingabe“ erwarteten die Studios natürlich, dass man bereitwillig den vorliegenden Knebelvertrag unterschrieb. Oft wurden Darsteller und Darstellerinnen dabei bis zu sieben Jahre an ein Studio gebunden. Viele Chancen, um sein Gehalt während der Laufzeit nachzuverhandeln gab es da nicht, was beim Durchbruch eines Stars natürlich in die Karten der Studios spielte. So hatte der Schauspieljob damals schon etwas von Leibeigentum. Davon zeugte auch die damals beliebte Praxis der Studios, für seine noch nicht fest liierten Stars Dates zu vereinbaren – um diese Termine dann den örtlichen Boulevardmedien mitzuteilen. So sieht eben gutes Marketing aus.
Natürlich war auch vertraglich geregelt, wie die Stars sich im privaten Leben zu verhalten und sogar zu kleiden hatten. Dazu waren die Schauspieler und Schauspielerinnen natürlich verpflichtet genau die Rollen zu spielen, die einem das Studio vorgab und auf den Leib schrieb. Egal was man davon hielt. Was Clark Gable, der lange Zeit bei MGM (Metro-Goldwyn-Mayer) unter Vertrag stand, 1932 in einem Interview einmal ganz gut auf den Punkt brachte: "I have never been consulted as to what part I would like to play. I am not paid to think." Das Statement passt dann auch gut zu einem berühmten Zitat des damaligen MGM-Chef Louis B. Mayer, der seine „Wertschätzung“ für seine Stars so ausdrückte: “The idea of a star being born is bush-wah. A star is made, created; carefully and cold-bloodedly built up from nothing, from nobody. All I ever looked for was a face. If someone looked good to me, I'd have him tested. If a person looked good on film, if he photographed well, we could do the rest.“
MGM ist übrigens hier ein gutes Stichwort, denn kein anderes Studio hat sein Star System damals so zur Perfektion gebracht. Angesichts von Stars wie Greta Garbo, Norma Shearer, Joan Crawford oder Clark Gable lag es da dann auch nahe, dass das Studios sich damals pathetisch das Label „More Stars than there are in Heaven“ verlieh. Wie im Himmel dürften sich viele Darsteller angesichts des Kontrollwahns der Studios aber wohl nicht immer vorgekommen sein. Und wer aufmuckte wurde entweder zur Strafe für minderwertige Rollen an andere Studios verliehen oder gleich komplett aufs Abstellgleis gestellt. Erst in den 1950er Jahren begann das Star System schließlich, genau wie das Studio System, deutliche Risse zu zeigen, bevor es dann schließlich spätestens in den 1960er Jahren endgültig abdankte – zumindest in seiner ursprünglichen Form.
Die Oscar-nominierten Filme der sechsten Academy-Awards sind dagegen noch Zeugnis dieses alten Systems. Genießen möchten wir die Schauspielleistungen der zehn nominierten Beiträge trotz dem fragwürdigen Treiben hinter den Kulissen natürlich trotzdem. Nominiert im Jahr 1934 für den besten Film waren "Die 42. Straße", "Liebesleid", "Sie tat ihm unrecht", "Vier Schwestern", "In einem anderen Land", "Jagd auf James A.", "Das Privatleben Heinrichs VIII", "Jahrmarktsrummel", "Lady für einen Tag" und der spätere Gewinner "Kavalkade". Beginnen möchten wir mit dem Kriegsdrama „In einem anderen Land“, bei dem wir auf einen sehr vertrauten Namen hinter der Kamera treffen.
In einem anderen Land
Bereits zum dritten Mal treffen wir hier in unserer Reihe auf Regisseur Frank Borzage (“Im siebenten Himmel“, “Bad Girl“). Auch diesmal widmet Borzage sich wieder den Irrungen und Wirrungen einer Liebesbeziehung und sichert sich hier dafür nun die Dienste des gerade aufstrebenden Schauspielers und späteren Hollywoodlegende Cary Cooper. Cooper gibt für ihn den jungen Lieutenant Fred Henry, der für die italienische Armee im ersten Weltkrieg als Ambulanzfahrer arbeitet. Dabei nutzt Fred seine freie Zeit vor allem dafür, um sich gemeinsam mit seinem italienischen Kumpel Rinaldi (Adolphe Menjou) mit den örtlichen Damen zu vergnügen und sich so vom Schrecken des Krieges abzulenken. Als er die Krankenschwester Catherine Barkley (Helen Hayes) kennenlernt funkt es aber gewaltig, doch angesichts der Unwägbarkeiten des Krieges scheint die Beziehung von Anfang an unter einem schlechten Stern zu stehen.
Selbst in den schwächeren Filmen von Frank Borzage ist eigentlich immer auf die Chemie zwischen den Hauptdarstellern Verlass. Genau die ist aber die Achillesverse von “In einem anderen Land“, der weder so richtig Emotionen zwischen den Figuren noch eine halbwegs starke Verbindung von diesen hin zum Publikum aufbauen kann. Was vor allem daran liegt, dass gerade Fred in der ersten halben Stunde alles daran setzt möglichst unsympathisch rüberzukommen. Das sein bester Freund ihm Catherine mit der Info vorstellt, total in diese verliebt zu sein, hält den guten Mann nicht davon ab diese unverzüglich anzubaggern. Und deren Widerworte werden auch nicht akzeptiert, stattdessen wird direkt über die Dame körperlich hergefallen. Diese Quasi-Vergewaltigung hinterlässt ein sehr ungutes Gefühl, auch weil nicht mal ansatzweise irgendeine Art von Chemie und echter Leidenschaft zwischen diesen zwei Menschen zu spüren ist.
Das ändert sich auch über die restliche Laufzeit des Filmes kaum, was ehrlich gesagt vor allem an Coopers ziemlich hölzernem Spiel liegt. Helen Hayes macht ihre Sache zumindest ordentlich, aber so richtiges Feuer kann sie auch nicht entfachen. Immerhin gelingen Borzage hier und da ein paar visuell ganz nett inszenierte Sequenzen, wie die Einlieferung von Fred in ein Krankenhaus, die komplett aus POV-Sicht der Figur geschildert wird. Weder die Figuren noch die Geschichte sind aber auch nur ansatzweise genauso interessant geraten – obwohl der Film immerhin die erste Verfilmung einer Vorlage von Ernest Hemingway darstellt. Aber abgesehen davon, dass Fred sich immer wieder gerne ordentlich einen hinter die Binde kippt, ist vom Hemingway-Spirit nicht wirklich viel im Film zu erahnen.
So verpufft dann leider auch das hochmelodramatische Ende, auch wenn man zugeben muss, dass Borzage da sehr ausdrucksstarke Bilder findet. Und selbst Cooper und Hayes schaffen es in den letzten Momenten, endlich mal echte und überzeugende Gefühle füreinander zu zeigen. Da ist aber das Kind halt leider schon in den Brunnen geflogen und man als Zuschauer längst nur noch halbherzig bei der Sache.
"In einem anderen Land" ist aktuell als DVD auf Amazon in Deutschland verfügbar. Alternativ ist der Film auch auf der Webseite des Internet Archive kostenlos abrufbar.
Ausblick
In unserer nächsten Folge treffen wir einen jungen Herrn, dessen später so berühmtes Charisma zu dieser Zeit noch ein klein wenig in den Kinderschuhen steckte.
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