"Menschen auf Reisen", könnte man diesen Film nennen, oder auch "Menschen um die dreißig, die auf der Suche sind, reisen, und dabei auf den Moment warten, in dem ihre Träume ihren Alltag durchbrechen." Und so sind die Helden von "Nichts als Gespenster" besessen von verheißungsvollen Oberflächlichkeiten - setzen sich dabei aber selbst ganz aufs Spiel.
Da ist Caro (Karina Plachetka), die sich in den Schwarm ihrer besten Freundin verknallt und dem attraktiven Schauspieler (Stipe Erceg) heimlich in die deutsche Provinz nachreist. Da sind Felix und Ellen (August Diehl und Maria Simon), die an jedem "Scenic View"-Schild im Grand Canyon anhalten, weil die Bilder der Reise wichtiger sind als die Reise selbst. Da ist Marion (Fritzi Haberlandt), die ihren Eltern nach Venedig folgt, und zwischen der touristischen Kulisse verloren geht. Da sind Jonas und Irene (Wotan Wilke Möhring und Ina Weisse), die ihren Liebeskummer vor dem Naturschauspiel Islands vergessen wollen. Und da ist Christine (Brigitte Hobmeier), die ihrer Freundin Nora (Jessica Schwarz) auf Jamaika dabei zusieht, wie sie eine alte Beziehung aufwärmt, und von einer Affäre mit einem Jamaikaner träumt.
"Sie sehnen sich nach Nähe, aber sie finden nicht die richtigen Worte dafür", sagt Regisseur Martin Gypkens über die Figuren seines Films. Die Suche nach der Liebe, nach dem perfekten Moment ist das gemeinsame Motiv der fünf Episoden, die Gypkens mit gutem Gespür für die Dramatik der scheinbar unscheinbaren Geschichten verwoben hat.
Der gleichnamige Erzählband von Judith Hermann trägt diese Qualität bereits in sich: Die Kurzgeschichten fangen alltägliche Momente ein, unter denen ein Vulkan von Emotionen brodelt, der wie der Geysir der Island-Episode jeden Moment vorm Ausbrechen steht. Gypkens hat erkannt, wie sehr die kühle Erzählweise Hermanns bereits szenenhaft veranlagt ist, und hat zudem mit der Durchbrechung der Erzählebenen eine eigenständige filmische Interpretation des Stoffes gefunden, deren austariertes Tempo und geschickte Verflechtung überzeugt.
Dazu findet sich auf der Leinwand ein Who-is-who der jungen deutschen Schauspielszene. Alle um die dreißig, alle schon angekommen, aber noch auf der Suche - die durchweg ausgezeichnete Schauspielmannschaft trägt das Grundthema des Films ins Gesicht geschrieben. "Sich so ein Leben vorstellen" spielen Christine und Nora auf Jamaika, und überlegen, wie es wäre, Mann und Kind zu haben. Es ist der Moment kurz vorm Erwachsensein, kurz vor der Spießigkeit - mit dem insgeheimen Zweifel, ob es das überhaupt noch gibt, Spießer, wenn man es selbst schon fast ist, und: ob man jemals bei sich selbst ankommen wird.
Keine Fantasy, kein Action-Drama: ein Film über junge Deutsche. So stellt sich bei diesem Film das Gefühl der Doppelung ein: Er handelt vom Publikum selbst, vom Drama des Alltags, und von einer Generation, die alles kann und alles darf, aber entdeckt, dass es über diese Freiheit hinaus noch etwas gibt: die Verwirrung und Vielschichtigkeit des Lebens selbst, und seine Schönheit.
Wem das bekannt vorkommt, sollte sich diesen Film ansehen. Wer Judith Hermann liebt, sowieso. Da machen auch ein paar Längen nichts. Die Frage, was diese Generation eigentlich antreibt, wird im Kino gestellt, aber beantwortet wird sie davor.
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