Still Life

Originaltitel
Sanxia Haoren
Jahr
2006
Laufzeit
108 min
Genre
Regie
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Patrick Wellinski / 6. Februar 2011

Geld vergisst nicht. Und ein schmerzlich schönes Bild für diesen Spruch findet sich in "Still Life". Die Bauarbeiter fragen Sang-ming Han (Sang-ming Han), der für ein paar Tage mit ihnen zusammengearbeitet hat, woher er denn stamme. Dieser antwortet mit einem gewissen Stolz in der Stimme: "Aus Fengyang in Shanxi." Die Männer kennen den Ort nicht und Han holt einen Geldschein heraus und zeigt ihn den Arbeitern, denn auf ihm ist ein Panoramafoto von Fengyang. Die Männer ihrerseits holen auch Geldscheine hervor und zeigen sie Han und damit Impressionen ihrer Heimat.

Ob das kleine Dörfchen Fengjie, welches Han sucht, um dort seine Ex-Frau zu finden die er seit 16 Jahren nicht mehr gesehen hat, auch auf einem chinesischen Geldschein abgedruckt ist? Auf diese Frage gibt der Film keine Antwort, aber Fengjie liegt unter Wasser. Geflutet im Zuge des Drei-Schluchten-Staudamm-Projektes der Regierung. Es werden noch viele weitere Dörfer ähnlichen Projekten weichen müssen, und es scheint unglaublicherweise das Geld zu sein, welches einen Teil der Erinnerung weiter trägt an das, was früher für abertausende Menschen Heimat war. Die Erinnerung und das Geld gehen damit eine unheilige Verbindung ein. Es grenzt nahezu an einen fatalen Irrwitz, dass gerade die Menschen, die ihre ganzen Habseligkeiten verloren, mit einer lächerlichen Summe Geld entschädigt wurden. Geld, das sie wie eine Brandmarke immer wieder an den Schmerz des Verlustes erinnern wird.

Fengjie gibt es nicht mehr, Hans Suche verlängert sich entsprechend ungewollt und wird mit der Zeit zur Odyssee durch eine Gegend, durch die ständig der Hauch des Untergangs weht. Er fängt an zu arbeiten. Mal hier mal da. Aber immer muss er abreißen, Schutt wegräumen, Ziegel wegbringen. Die Digital-Videokamera schwenkt dann durch trostlose Häuserfassaden, die brach liegen und auf ihr Schicksal warten. Mauern die einstürzen, Menschen die in Ruinen ohne Fenster und Türen hausen und sich weigern zu verschwinden.
Regisseur Zahng Ke Jia entwirft ein trostloses Panorama des Zerfalls direkt vor Ort. Das Dorf Fengjie gibt es wirklich, bzw. gab es wirklich. Immer wieder sieht man im Film Bilder voller subtiler Grausamkeit. Wenn Han zum Beispiel durch die Straßen eines Dorfes läuft und zwei Männer mit roter Farbe einen Strich an eine Häuserwand malen. Die chinesischen Schriftzeichen daneben geben an, dass dies die nächste Staudammhöhe sein wird. Kein entkommen, eine furchtbare Sackgasse.

Es gibt noch einen zweiten Plot in "Still Life". Die Krankenschwester Shen-hong Guo (Shen-hong Guo) kommt ungefähr zur gleichen Zeit bei Fengjie an wie Han. Die beiden werden sich nie begegnen und doch sind beide auf der Suche. Shen sucht ihren Mann, der vor zwei Jahren das Haus verlassen hat und sich seitdem nicht mehre meldete. Sie findet ihn, und beide tanzen einen Walzer vor der imposanten Kulisse des Drei-Schluchten-Deltas. Im Hintergrund leuchtet die neu erbaute Brücke in rot und blau. Noch führt sie über das Tal, in dem man vereinzelt die verlassenen Wohnblöcke erkennen kann, bald wird hier der Jangtse-Fluß fließen. Kein schönes und auch kein friedliches Bild, und in dieser Atmosphäre beschließt Shen, sich scheiden zu lassen.
Auch Han findet seine Ex-Frau und sie beschließen wieder zu heiraten. Da diese beiden Geschichten nur den Rahmen für Zhang Ke Jia's Film bilden, kann man schwerlich von einem Happy End im klassischen Sinne sprechen, dazu wiegen die pessimistische Optik und die trostlose Zukunft der Bilder zu schwer.

Der Drei-Schluchten-Staudamm kostete 1,13 Millionen Menschen in China Haus und Hof. Was aber noch viel schlimmer ist: dabei wird eine ganze Kultur unter den Wassern des Jangtse verschwinden. Davon erzählte schon die deutsche Regisseurin Tamara Wissman in ihrem sehenswerten Dokumentarfilm "Die chinesischen Schuhe" sehr eindringlich. "Still life" gibt nun die chinesische Sicht der Dinge wieder. Dabei bekam der spröde, sich fast komplett den üblichen narrativen Strukturen verschließende Film sehr prominente Schützenhilfe. 2006 gewann er den "Goldenen Löwen" von Venedig. Die Jury unter der Leitung der französischen Ausnahmeschauspielerin Catherine Deneuve erkannte seinen Wert. Es sei ein ganz besonderer Film, erklärte Deneuve.
Es ist wahrscheinlich auch nur diesem Preis zu verdanken, dass diese höchst pessimistische und teilweise melancholische Studie über den Zerfall einer Landschaft in die hiesigen Kinos kommt. Der Regisseur bündelt in einer letzten furiosen Einstellung alle Eindrücke des Films und entlässt dann sein Publikum. Hoffnung? Nein, aber der Versuch den Mantel des Schweigens - den die chinesische Regierung immer noch über das Projekt und seine Folgen legt - zu durchbrechen. Auch wenn es nur für diese kurzen 105 Minuten Kinozeit ist.

Bilder: Copyright

schlimmer ist: dabei wird eine ganze Kultur unter den Wassern des Jangtse verschwinden. Davon erzählte schon die deutsche Regisseurin Tamara Wissman in ihrem sehenswerten Dokumentarfilm "Die chinesischen Schuhe" sehr eindringlich. "Still life" gibt nun die chinesische Sicht der Dinge wieder. Dabei bekam der spröde, sich fast komplett den üblichen narrativen Strukturen verschließende Film sehr

Permalink

Neuen Kommentar hinzufügen

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.

Klartext

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
  • Website- und E-Mail-Adressen werden automatisch in Links umgewandelt.
CAPTCHA
Diese Aufgabe prüft, ob du menschlich bist um Bots zu verhindern.