Die (Real-)Neuverfilmung eigener Klassiker hat sich zu einem neuen festen Bestandteil im Produktions-Repertoire der Walt Disney Studios entwickelt. Nach "Cinderella", "The Jungle Book" und "Elliot, der Drache" steht mit "Die Schöne und das Biest" nun bereits der vierte Film nach diesem Muster an. Doch während die drei Vorgänger alle ziemlich bis sehr gut gelungen daher kamen, auch weil sie deutlich eine eigene filmische Vision zeigten, erweist sich "Die Schöne und das Biest" als ein etwas irritierendes Déja Vu-Erlebnis - zumindest für alle Zuschauer, die den Original-Disneyfilm zu diesem berühmten Märchenstoff irgendwann einmal gesehen haben.
Denn hier handelt es sich wirklich um eine Neuverfilmung im wahrsten Sinne des Wortes: Über weite Strecken ist hier der Zeichentrick-Klassiker einfach Eins zu Eins nachinszeniert worden, und zwar so sehr, dass man in Kenntnis des Originals beizeiten das Gefühl hat, nicht nur alle Kostüme und Settings, sondern auch ganze Abfolgen von Kameraeinstellungen genau wiederzuerkennen. Es kommen exakt dieselben Lieder und exakt dieselben Gags an exakt denselben Stellen der Handlung, natürlich, denn die Handlung ist ja auch exakt dieselbe in exakt denselben Szenen. Selten bis nie konnte man bei einem Film so sehr das Gefühl durchleben, aber wirklich haargenau zu wissen, was als nächstes passieren wird. Womit sich in diesem Falle mehr als bei jeder anderen Neuverfilmung die Frage stellt: Was soll das?
Also gut, es ist klar, was das soll. Es soll dem Konzern einen sicheren Kassenknüller bringen, und das wird es mit Sicherheit auch tun. Aber aus künstlerisch/kreativer Sicht betrachtet ist diese Neuauflage im Grunde fast eine Bankrotterklärung. Dass diese Version mehr als eine halbe Stunde länger dauert als der legendäre Animationsfilm (auch legendär, weil er damals 1991 als erster Film seines Genres für den Oscar als "bester Film" nominiert wurde) kommt durch die wenigen Ergänzungen zustande, die man sich hier und da dann wenigstens doch noch abgerungen hat. Diese bestehen hauptsächlich aus ein paar zusätzlichen Liedern, denen jedoch der Zauber der alten Songs fehlt - wenig verwunderlich, musste Komponist Alan Menken doch diesmal auf seinen Oscar-gekrönten Texterkollegen von einst, Howard Ashman, verzichten: Ashman war 1991 noch vor seinem und Menkens Oscar-Gewinn für den Titelsong des Films an AIDS gestorben. Außerdem gibt es noch einen Blick in die Familien-Backstory der schönen Belle (Emma Watson) und ihres Vaters (Kevin Kline) und einen Hauch mehr Charakterisierung der weiblichen Hauptfigur als eine Art Proto-Feministin.
1991 prägte Belle zusammen mit Arielle den neuen Typ der Disney-Prinzessin, die emanzipierter und eigenständiger daherkamen als ihre direkt aus archaischen Märchen entlehnten Vorgängerinnen. Dass die verkopfte Belle - ein Bücherwurm, auch das noch! - von den Mitbewohnern in ihrem abgelegenen französischen Dorf als ein bisschen wunderlich und merkwürdig wahrgenommen wird, war für eine Disney-Prinzessin damals eine ziemlich ungewöhnliche Sache. Heute reicht das natürlich nicht mehr, und die politisch engagierte Emma Watson wird es sicher gefreut haben, dass der quasi-feministische Aspekt ihrer Rolle weiter ausgebaut wurde. So wird hier nun Belles Intelligenz deutlicher unterstrichen, die sich mit Einfallsreichtum und Ingenieursgeschick eine Apparatur baut, die ihr das Wäsche waschen abnimmt - womit sie Zeit hat, einem anderen Mädchen das Lesen beizubringen. "Unerhört!" finden das natürlich die Dorfbewohner, und Belle bzw. Emma Watson darf einen kurzen politischen Appell loslassen.
Das war es im Prinzip auch schon mit den Ergänzungen im Vergleich zum Original, und ihnen allen ist zu Eigen, dass sie nicht richtig funktionieren wollen. Es sind die einzigen Szenen, die fühlbar aus dem sonstigen Erzählfluss ausbrechen und sich im Vergleich zum Rest irgendwie gezwungen anfühlen. Dass der Film ansonsten durchaus ganz hübsch fließt, kann man nicht leugnen. Wie auch: Wenn man einen handwerklich nahezu perfekten Vorgänger mit großzügigem Produktionsaufwand werkgetreu neu auflegt, kann ja nichts herauskommen, was wirklich misslungen ist. Was es aber eben durchaus sein kann: Einfallslos und überflüssig.
"Die Schöne und das Biest" funktioniert dabei auch als interessantes filmanalytisches Fallbeispiel. Nämlich für die Frage, welche Stilmittel des Disney-Animationsfilms nicht gleichermaßen gut funktionieren, wenn man sie in einem Realfilm benutzt. Wie schon erwähnt gleicht die Neuauflage ihrem Vorgänger in manchen Szenen bis auf Haar, was gelegentlich für einen etwas befremdlichen Effekt sorgt: Wenn es optisch richtig knallig wird (z.B. während der Songs "Sei unser Gast" und "Gaston"), dann überdreht die Inszenierung in einer Art und Weise, die im immer etwas karikaturhaft-überzeichneten visuellen Stil klassischer Animationsfilme bestens funktioniert, in einem Realfilm erscheint das aber eher, naja, ein bisschen komisch. Auch wenn man sich hier durchaus Mühe gegeben hat, dieses Karikaturhafte konsequent nachzubilden - leider, muss man ab und zu für die Schauspieler sagen. Gerade Luke Evans muss stellenweise schon ziemlich grässlich chargieren, um die Witzfigur von einem nur aus Muskeln und Kantigkeit bestehenden Mannsbilds nachzuäffen, die sein Gaston im Zeichentrickfilm war. Das beste und charmanteste Detail an dieser überzeichneten Animationsfigur, das riesige Grübchen am gewaltigen Kinn, bleibt für Evans trotzdem unerreichbar. Genauso wie für diesen ganzen Film der besondere Charme des Originals.
Der fehlt leider auch den Hausangestellten im Schloss des Prinzen, die vom selben Fluch, der ihn in das Biest verwandelt hat, in Möbelstücke, Geschirrteile oder andere Gegenstände verwandelt worden sind. Hier zeigt sich die größte Krux der Neuauflage. Als Realfilm ist man bemüht, all diese per CGI zum Leben erweckten Gegenstände immer noch als das erscheinen zu lassen, was sie sind - eben Gegenstände - und dabei möglichst subtil Facetten in sie einzuarbeiten, die als menschliche Gesichtszüge fungieren können. Das ist in allen Fällen ziemlich gut gelöst, beraubt die Figuren im Vergleich zum Animationsfilm aber eines Großteils ihrer mimischen Ausdruckskraft. Man hat versucht, diesem Handicap entgegenzuwirken, indem man reihenweise sehr namhafte Schauspieler für diese (Sprech-)Rollen engagierte. So hört man im Original u.a. Ewan MacGregor als Kerzenständer Lumière, "Gandalf" Ian McKellen als Kaminsimsuhr Clogsworth und Emma Thompson als Teekanne Mrs. Potts. Auch sie machen ihre Arbeit alle soweit einwandfrei, können aber auch nichts daran ändern, dass ihren Figuren einfach die Lebendigkeit fehlt, die diese ganze Idee mit den zu Haushaltsgegenständen verwandelten Hausdienern einst einmal so charmant und lustig machte.
Und so wirkt denn auch der ganze Film wie die meisten seiner animierten Figuren: Irgendwie leblos. Das gilt leider übrigens auch für das Biest ("gespielt" von Dan Stevens), was für die emotionale Resonanz des Films von daher ziemlich schädlich ist, als dass man seine zentrale Liebesgeschichte nie wirklich glauben mag - zu sehr bleibt man sich hier bewusst, dass man Emma Watson im Eben-Nicht-Zusammenspiel mit einer digital eingefügten Computer-Figur sieht. Selbst, wenn man das Original also nicht kennt (oder sich wirklich gar nicht mehr daran erinnern kann), kann sich "Die Schöne und das Biest" trotz aller handwerklich sauberen Ausführung und dem enormen Produktionsaufwand als eher enttäuschendes Kinoerlebnis erweisen. Man muss von Emma Watson schon sehr bezaubert sein, um sich von diesem Film wirklich verzaubern zu lassen. Ansonsten spart man sich besser das Eintrittsgeld fürs Kino und investiert einen Bruchteil davon in eine DVD des Vorgängers. Ist im Prinzip derselbe Film. Nur viel, viel, viel besser.
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