Für sein neustes Filmprojekt musste Regisseur Ang Lee ("Tiger & Dragon", "Hulk") wirklich kämpfen. Zunächst wurde "Brokeback Mountain", als eigentlich sicherer Kandidat aus dem Filmfestival in Cannes ausgeschlossen. Dann folgte eine empörte Welle von Protesten in den USA, die sogar einen Amerikastart gefährdeten, was zum gänzlichen Verschwinden eines der außergewöhnlichsten und auch schönsten Filmdramen der letzten Zeit hätte führen können. Und alles nur wegen eines Plots, der in einer aufgeklärten Welt eigentlich keinen Gesellschaftszorn mehr erregen sollte.
Wyoming 1960: Ennis Del Mar (grandios: Heath Ledger) und Jack Twist (Jake Gyllenhall) sehen sich zum ersten Mal beim Ranchbesitzer Joe Acquirre (Randy Quaid). Beide wollen einen Job für den Sommer. Acquirre schickt sie, unter strengen Auflagen, zum Schafe hüten auf den Brokeback Mountain. Die anfängliche Distanz der beiden von Natur aus eher schweigsamen Cowboys legt sich mit der Zeit, und es entwickelt sich eine herrliche Freundschaft, die schon bald in Liebe umschlägt.
Erschrocken und verunsichert trennen sich beide nach dem Sommer und begeben sich allein in eine ungewisse Zukunft. Doch wie tiefgehend ihre Liebe wirklich war, die sie am Brokeback Mountain empfunden haben, stellt sich erst heraus, als Ennis, der mittlerweile Familienvater geworden ist, einen Brief von Jack erhält…
Ennis bedeutet soviel wie "Insel", und genau mit dieser Ambivalenz trauriger Einsamkeit verkörpert Heath Ledger seinen Charakter. Was spielt sich nicht alles in seinem so freudlosen Gesichtsausdruck ab. Es ist die Verzweiflung und die Ausweglosigkeit eines Mannes, der nicht weiß wohin mit seiner Liebe und seinem Leben. Ledger liefert in "Brokeback Mountain" die beste Leistung seiner bisherigen Karriere ab. Sowohl er als auch sein Leinwand-Partner Gyllenhaal ("Donnie Darko") bieten beide äußerst mutige Vorstellungen und meistern die Herausforderung ihrer Rollen bravourös, auch wenn man gerade in den intimen Szenen zwischen ihnen merkt, wie schwer sich wohl die ganze Crew mit dem Thema gleichgeschlechtlicher Liebe getan hat.
Vorsichtig und behutsam, fast schon verschreckt zeigt die Kamera in verschüchtert dunklen Bildern den ersten Liebesakt der beiden Männer. Sie raufen sich, zerren aneinander. Zunächst sieht es aus wie ein Streit oder eine Prügelei, bis sich daraus Sex entwickelt. Am nächsten Tag ist ein Schaf vom Wolf zerfleischt worden, da beide im Zelt und nicht wie vorgesehen bei den Tieren waren. Der Kadaver liegt da und ist Vorbote und Zeichen zugleich. Bedeutungsschwer verzieht sich der Himmel, und Lee beschwört eine bevorstehende Katastrophe herbei.
"Brokeback Mountain" ist ein ungewöhnlicher Western, aber nicht nur deshalb, weil es sich bei dem Liebespaar um zwei Männer handelt. Es sind vor allem die monumentalen und gewaltigen Bilderwelten, die Ang Lee erschafft und mit deren Hilfe er hier ein meisterhaftes Gefühls-Panorama entstehen lässt. Dabei erweist er sich einmal mehr als wunderbarer Geschichtenerzähler, der seine Kunst perfekt beherrscht.
"Brokeback Mountain" entstand auf der Grundlage einer Kurzgeschichte der erfolgreichen amerikanischen Schriftstellerin Annie Proulx ("Die Schiffsmeldungen"), und Lee schafft es wie kein anderer, nach seinem schon legendären Eastern "Tiger & Dragon" auch im traditionellsten amerikanischen Genre ein kleines Denkmal zu setzen.
Der Tabubruch, dass es auch unter mit männlichen Macho-Klischees behafteten Cowboys Homosexuelle gibt, wird in Europa wohl eher auf Verständnis stoßen als in den oft reaktionären und weitestgehend konservativen USA. Und genau bei dieser biederen Moral setzt Ang Lees einzigartig verfilmte Gesellschaftskritik an.
Wenn Ennis und Jack fast schon widerwillig in ihre Ehen hineinrutschen und dann ein äußerst trostloses und unzufriedenes Dasein fristen, spürt man überdeutlich das geheime Verlangen des einen nach dem anderen. Die Beiden treffen sich heimlich und dürfen nicht so zusammen sein, wie sie eigentlich wollen. Es scheint, als müssten sie sich dem Druck der vorherrschenden Meinung beugen. Ihre Welt unterliegt strikten Regeln und Werten, und wehe, man versucht die dadurch in den Alltag einkehrende, monotone Ruhe zu durchbrechen. Ennis erzählt Jack von einem Männerpärchen, dass ermordet wurde, als sie zusammen eine Ranch kauften, um sich von der Außenwelt abzuschotten. Sein Vater nahm den damals noch 9-jährigen Ennis mit zu den Toten, damit er sieht, was mit Außenseitern geschieht. Ein Abschreckungsmanöver mit folgenschweren traumatischen Ausmaßen.
Mit poetischen Aufnahmen demontiert Ang Lee ein amerikanisches Lügenmärchen und enthüllt die in dieser Kultur tief verwurzelte Bigotterie. Sein klarer Blick erlaubt uns, die Hilflosigkeit und Isolation seiner Figuren zu begreifen. Werden sie auf ewig vor dem Unverständnis ihrer Umwelt fliehen müssen?
Diese Ängste, mit denen die Hauptfiguren ständig konfrontiert werden, stehen im Kontrast zur gewaltigen und erhabenen Schönheit der weiten, freien Natur, die der einzige Zufluchtsort der beiden unglücklich Liebenden bleibt. Nur hier, wo sie niemandem etwas erklären müssen, können sie ihre eingesperrten Gefühle herauslassen und sorgenfrei für wenige Augenblicke sie selbst sein: Zwei Menschen, die sich lieben. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Ein Happy End deutet sich übrigens doch noch für "Brokeback Mountain" an: Nachdem es Jahre gedauert hat, bis der Film überhaupt gemacht werden konnte (unter anderem fand man lange keinen namhaften Darsteller, der die Hauptrolle übernehmen wollte), mausert er sich nun langsam zum Oscar-Favoriten Nummer Eins. Diverse amerikanische Kritiker-Preise und einen Stapel Golden Globe-Nominierungen gab es schon. Es scheint so, als würden Ang Lee und sein Team letztlich doch noch für ihren Mut belohnt - auch in Amerika.
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