Jede Publicity ist gute Publicity. Wenn man diesem Marketing-Grundsatz glaubt, dann haben die PR-Leute von 20th Century Fox beim Kinostart dieses Films ein paar traumhafte Wochen hinter sich. Es begann Ende September, als sich die Regierung von Kasachstan angesichts eines anstehenden Besuchs ihres Präsidenten Nursultan Nazarbayev in den USA zu einigen Presseerklärungen genötigt sah, die den bald startenden Film "Borat" als böse Diffamierung ihres Landes und Volkes bezeichneten. Sacha Baron Cohen, bis dato vor allem bekannt als seine Persona Ali G. aus der gleichnamigen Comedy-Show, schlüpfte sogleich zurück in seine Rolle als TV-Reporter Borat und "enttarnte" vor der kasachischen Botschaft in Washington auf einer eigenen Pressekonferenz die abgegebene Erklärung als Lügenkampagne des bösen Nachbarn Usbekistan. In der folgenden Woche verkündete die größte Kinokette Kasachstans, dass sie den Film selbstverständlich boykottieren wird.
Dass ein Film zu solch einem Politikum mutiert, kommt selten genug vor, doch man kann die kasachische Empörung schon ganz gut nachvollziehen - wird ihr Land im Film doch als ein unzivilisiertes, hinterwäldlerisches Fleckchen Erde dargestellt, wo Frauen noch in Käfigen gehalten, Homosexuelle gemeinschaftlich verprügelt und Autos von Pferden gezogen werden. Natürlich geht das ein wenig auf Image-Kosten Kasachstans, doch das eigentliche Ziel des satirischen Humors von "Borat" ist die Einfältigkeit und Ignoranz im angeblich zivilisierten und weltoffenen Westen, und dessen Entlarvung mit ebenso einfachen wie urkomischen Mitteln macht diesen Film fast genial und jetzt schon zu einem kleinen Kulthit.
Eine Story gibt es dabei nur in groben Ansätzen: Der kasachische TV-Reporter Borat Sagdiyev bricht aus seinem Heimatdorf (für das übrigens ein rumänisches, nicht kasachisches Kaff als Drehort diente) in die USA auf, um von dort durch lehrreiche Reportagen seinen Landsleuten die Lebensweise des fortschrittlichen Westens näher zu bringen (siehe der vollständige Filmtitel). In New York angekommen, sieht er jedoch im Fernsehen eine Folge "Baywatch", verliebt sich Hals über Kopf in Pamela Anderson, und bricht so mit seinem begleitenden Produzenten Azamat Bagatov (Ken Davitian) zu einem Trip quer durchs Land auf, um zur Frau seiner Träume in Kalifornien zu gelangen. Auf dem Weg dorthin hat Borat immer wieder Termine mit einem bunten Strauß typischer Amerikaner, die dem Exoten ihre Kultur näher bringen sollen.
Diese Interviews und Begegnungen sind das eigentliche Herzstück des Films, und ihre absurde, fast schon unglaubliche Komik wird gerade dadurch erreicht, dass sie allesamt echt sind. Für höchst mögliche Authentizität waren Cohen und sein Team lediglich mit einfachen Videokameras unterwegs, die (teilweise versteckt) direkt und unverfälscht die Begegnungen des angeblichen Reporters mit den ahnungslosen Amerikanern aufzeichneten. Abgesehen von Borat und seinem Produzenten spielt hier niemand - was die Sache nur umso amüsanter macht.
Der Witz von "Borat" ist zweigeteilt: Zum einen entwirft Cohen hier ein herrlich überzeichnetes Bild eines Landes kompletter Rückschrittlichkeit, in dem man noch Vorurteile, Aberglauben und Diskriminierung gegen jede denkbare Minderheit pflegt, von den Gaben der modernen Zivilisation größtenteils unberührt ist und Prostitution (auch mit der eigenen Schwester) als respektierter Wirtschaftszweig gilt. Ähnlich wie bei "Jackass" ist das zuerst einmal komisch, weil man kaum fassen kann, was man da sieht, zum Beispiel wie Borat seine Unterwäsche im Teich des Central Parks wäscht oder Wasser aus der Toilette in seinem Hotelzimmer trinkt.
Zum anderen bewegt Cohen seine ahnungslosen Gegenüber zu Statements, die mindestens genauso dumm und diskriminierend wie seine eigenen sind, und entlarvt so die unterschwelligen doch höchst lebendigen Vorurteile, die das scheinbar fortschrittlichste Land der Welt selbst in sich trägt: Nicht nur stellt er jene Leute bloß, die tatsächlich daran glauben, dass es ein derart kulturloses Land wie Borats Kasachstan gibt, und entlarvt so die ignorante Arroganz des Westens (und speziell Amerikas), die den Rest der Welt sowieso für degenerierte Primaten hält; er zeigt auch, dass man in den USA nur in der richtigen Gegend aussteigen muss, um für jedes noch so haarsträubende Vorurteil aufmunterndes Schulterklopfen zu ernten.
So beziehen Borats anfängliche Begegnungen mit einem Feministinnen-Verein, einem Fahrlehrer oder einem Humor-Coach ihre Komik vor allem noch aus dem ungläubigen Staunen, mit was für einem stockdoofen Hinterwäldler man es hier zu tun hat. Je weiter Borat jedoch nach Westen kommt, desto bereitwilliger treffen seine exotischen Standpunkte auf Zustimmung, und die Realsatire überholt sich selbst fast im Minutentakt, wenn aufrechte Amerikaner die Wiedereinführung der Sklaverei, das öffentliche Lynchen von Schwulen oder die komplette Auslöschung des irakischen Volkes befürworten. Mit einfachsten Mitteln und genug Dreistigkeit improvisieren Cohen und sein Team immer wieder solche Situationen und können sich darauf verlassen, dass die Wirklichkeit als bester (unfreiwilliger) Gag-Lieferant der Welt den Rest erledigt.
Cohen ist ein furchtloser Komiker, der fürs Ernten eines guten Gags oder einer ungläubigen Reaktion wirklich alles tut. Darum wird's auch in "Borat" ab und zu etwas fäkalhumorig, aber nie übermäßig und immer so gelungen, dass man selbst trotz leichtem Ekel nicht umhin kann, laut loszulachen. Mit fassungslosem Staunen und ebenso heftigem Gelächter beobachtet man Borats Eskapaden und irrwitzige Begegnungen und kommt am Ende kaum drum herum, Cohen komisches Genie und seinem Film den Status als brillanteste Komödie des Jahres zu bescheinigen. Denn ihm gelingt es hier, die sattsam bekannte Comedy-Routine "Wir konfrontieren simpel gestrickte Leute mit einer Kamera und dummen Fragen und lachen über ihre blöden Antworten" zu neuen Höhen zu verhelfen, indem er den Reporter selbst zum Teil des Witzes macht und auf subtile, intelligente Art die Allgegenwärtigkeit und die Absurdität von Vorurteilen und Ignoranz aufzeigt.
Die sich empörenden Politiker zeigten sich besorgt, dass das Publikum den Witz von "Borat" vielleicht nicht durchschauen und den geäußerten Vorurteilen zustimmen könnte, statt über sie zu lachen. Diese Kampagne beweist zweierlei: Dass die Politiker immer noch nicht begriffen haben, dass öffentliche Hetze gegen einen Film seinen Erfolg garantiert vergrößert, nicht schmälert. Und dass genau dieser schmale Grat zwischen verstehendem Lachen und abnickender Ignoranz der kongeniale Kern von "Borat" ist - denn wer wie die Amerikaner im Film auch nur einmal Ja und Amen sagt, hat sich bereits selbst als Witzfigur entlarvt.
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