In einer Zeit, in der man sich vor Blockbuster-Fortsetzungen und langweiligen Produktionen nach Schema F kaum noch retten kann, sind Filme wie „Birdman“ eine kleine Sensation - oder auch Rebellion - in Hollywood. Der Beweis, dass es auch anders geht. Regisseur Alejandro Gonzales Iñárritus Satire über einen alternden Star, der verzweifelt versucht, ein Comeback zu landen, hat vielleicht nicht die originellste Geschichte. Seine Art, sie zu erzählen, wird sich jedoch noch lange in den Köpfen der Zuschauer halten und macht den Kinobesuch damit zu dem, was er sein soll: ein echtes Erlebnis.
Der ehemalige Filmstar Riggan Thomson (Michael Keaton) ist verzweifelt: Seit er seine äußerst erfolgreiche Superheldenrolle „Birdman“ an den Nagel gehängt hat, ist seine Karriere so gut wie am Ende. Um seine damit einhergehende Lebens- und Sinnkrise zu bekämpfen, versucht er ein Comeback als Regisseur und Schauspieler am Broadway, in einer Adaption der Raymond-Carver-Geschichte „Wovon wir reden, wenn wir von Liebe reden“. Riggans größter Wunsch ist, sich damit in die Herzen der Kritiker und des Publikums zu spielen, und endlich nicht mehr auf seine Figur Birdman, die ihn im wahrsten Sinne des Wortes verfolgt, reduziert zu werden. Doch während der Proben und Aufführungen des Stücks geht es drunter und drüber, nicht zuletzt weil Riggan sein Alter Ego Birdman immer wieder dazwischen funkt.
Regisseur Iñárritu, eigentlich für sehr ernsthafte Stoffe wie „Amores Perros“, „Babel“ oder „21 Gramm“ bekannt geworden, wagt sich mit „Birdman“ an eine Backstage-Theater-Satire, die er mit Elementen des magischen Realismus, einer literarischen Tradition seiner Heimat Mexikos, und dem Stilmittel einer (scheinbar) einzigen Kameraeinstellung verbindet. Erst dieses Zusammenspiel von Form und Stoff sowie die darstellerische Leistung Michael Keatons ermöglichen es dem Zuschauer, die Welt mit Riggans Augen zu sehen.
Iñárritus erster Geniestreich bestand darin, Michael Keaton zu überzeugen, mit einer gehörigen Portion Selbstironie eine Variante seines eigenen Schicksals auf der Leinwand zu mimen. Denn wie Thomsons Karriere litt auch Keatons unter dem Ausstieg aus seiner eigenen Superhelden-Franchise, nachdem er seiner Blockbuster-Rolle als Batman 1992 den Rücken gekehrt hatte. Wie einst Gloria Swanson in „Sunset Boulevard“ gelingt dem zwischenzeitlich fast völlig von der Bildfläche verschwundenen Schauspieler nun sein Comeback ausgerechnet in einer Rolle, die auf dem Scheitern seiner Karriere im echten Leben beruht. Eine solche Rolle anzunehmen, dazu gehört erstmal Mut.
Iñárritus zweiter Geniestreich bestand darin, allen Zweiflern zum Trotz an seiner Vision von „Birdman“ festzuhalten als ein in (scheinbar) einer einzigen Einstellung gedrehtem Film. Im digitalen Zeitalter ist dies natürlich einfacher als 1948, als Alfred Hitchcock mit „Cocktail für eine Leiche“ erstmals versuchte den Eindruck zu erwecken, er hätte einen Film in nur einer Einstellung gedreht, was damals durch die begrenzte Länge einer Filmrolle technisch unmöglich war.
Bei dieser Art zu drehen sind die Möglichkeiten, im Nachhinein noch etwas zu ändern oder zu kürzen, extrem begrenzt, mit anderen Worten: Planung und Ausführung müssen perfekt sein. Wie die von ihnen porträtierten Theaterschauspieler musste das Ensemble seinen Text perfekt können und darüber hinaus eine strenge Choreografie einhalten, damit Kameramann Emmanuel Lubezki so lange Einstellungen wie möglich drehen konnte; dennoch unvermeidbare Schnitte wurden später digital getarnt. Lubezki, der im vergangenen Jahr schon den Oscar für die beste Kamera für „Gravity“ gewann, hat gute Chancen, die Auszeichnung auch für seine spektakuläre Arbeit an „Birdman“ zu bekommen, die man auch als Tanz mit der Steadycam bezeichnen könnte. Durch die eingeschränkte Perspektive der Kamera zwingt er den Zuschauer förmlich, sich voll und ganz auf den Film einzulassen.
Iñárritus dritter und letzter Geniestreich besteht im Zusammenstellen eines fulminanten Darstellerensembles, welches sich wie alles in diesem Film durch unglaubliche Liebe zum Detail und ein Augenzwinkern auszeichnet. So haben neben Michael Keaton auch Edward Norton und Emma Stone schon in Superhelden-Filmen mitgespielt, und Norton parodiert in seiner Rolle als Method Actor Mike wunderbar sein Image als notorisch schwieriger Mann am Set. Emma Stone brilliert als Riggans Tochter und Assistentin, neben Birdman die Figur, die ihn vielleicht am besten versteht, ohne dass ihr das bewusst wäre. Ebenso wunderbar in ihren Rollen sind Naomi Watts und Zach Galifianakis, und nicht zu vergessen das St. James Theater, welches eine ebenso zentrale Rolle im Film spielt.
Wenn am 22. Februar 2015 die Oscars verliehen werden, wird „Birdman“ hoffentlich nicht übergangen. Die größte Auszeichnung ist allerdings schon jetzt, dass man Iñárritus kreative Vision noch lange im Gedächtnis behalten wird, nachdem man die genauen Einzelheiten des Films vielleicht schon lange vergessen hat.
Neuen Kommentar hinzufügen