"Das Leben ist ein Hund" sangen die deutschen Punk-Helden Wizo einst einmal. Mit "Amores Perros" kommt jetzt sozusagen der Film zu dieser Weisheit. Wörtlich übersetzt bedeutet der Titel "Liebe eines Hundes", was sinngemäß allerdings so zu verstehen ist wie der deutsche Ausdruck "Hundstage". Daher ist der amerikanische Titel "Love's a bitch" eigentlich ziemlich nah dran an der Zweideutigkeit des Originals (da "bitch" unter anderem auch einen weiblichen Hund bezeichnet).
"Amores Perros", Anfang des Jahres für den Oscar als bester fremdsprachiger Film nominiert (und natürlich chancenlos gegen den Hype um "Tiger & Dragon") erzählt drei Geschichten im Großstadtdschungel von Mexico City, verbunden einzig durch ein einzelnes Ereignis (das in der Chronologie der Episoden an verschiedenen Stellen steht) und den gemeinsamen Motiven Liebe und Hunde.
Am Anfang steht Octavio, ein junger Bursche aus den mittellosen Arbeiterkreisen. Er ist verliebt in Susana, die Frau seines gewalttätigen und kriminellen Bruders, der diese geheiratet hat, nachdem sie schwanger wurde. Durch einen dummen Zufall entdeckt Octavio das Kampfhund-Talent seines treuen Vierbeiners und rutscht so in die illegale Szene dieser Wettkämpfe hinein. Seine Hoffnung: Genug Geld zu machen, um mit Susana zusammen abzuhauen. Doch diesem Plan stehen nicht nur Octavios Bruder und die anderen kriminellen Hundebesitzer im Wege, sondern auch die zögerliche Susana selbst und schließlich ein folgenschwerer Autounfall.
In diesem Autounfall verletzt wird das Topmodel Valeria, die gerade in ihre neue, von ihrem Liebhaber Daniel (der für sie seine Frau und zwei Kinder verlassen hat) bezahlte Wohnung eingezogen ist. Ihre schöne glückliche Welt wird durch die starken Verletzungen Valerias (ihr rechtes Bein besteht nach dem Unfall fast nur noch aus Schrauben) schwer erschüttert, und die Festigkeit ihrer Liebe auf eine noch härtere Probe gestellt, als Valerias kleiner Hund Richie in einem Loch im Parkett verschwindet und nicht wieder herauskommt. Das immer wieder durch den Fußboden zu hörende Wimmern des Hundes sorgt für Anspannungen, die nicht nur zu einer schleichenden Zerstörung der Parkettleisten führen.
Ebenfalls am Ort des besagten Unfalls befindet sich El Chivo. Vor vielen Jahren verließ er seine Familie, um als Guerilla zu kämpfen. Nach zwanzig Jahren im Knast lebt er nun langhaarig, verwahrlost und mit einem Rudel Hunde auf der Straße, von eben dem Polizisten, der ihn einstmals geschnappt hat, mit einer schlichten Bleibe und gelegentlichen Jobs als Auftragskiller versorgt. Heimlich beobachtet er seine erwachsene Tochter, die ihn für tot hält. Erst ein tragisches Ereignis gibt ihm die Kraft und Perspektive, um nicht nur seinem Leben eine neue Wendung zu geben.
So unterschiedlich wie die soziale Identität ihrer Hauptcharaktere, so unterschiedlich ist auch die Erzählweise und Funktion der drei Geschichten in "Amores Perros". Die erste Episode um Octavio und Susana packt den Zuschauer mit einer schnellen, beweglichen Kamera und einem harten Realismus á la Martin Scorsese. Die High Society-Mitglieder Daniel und Valeria befinden sich nicht nur in einer anderen Umgebung, ihr Plot ist auch weitaus schwieriger zugänglich. Wie eine komplexe Kurzgeschichte (der Drehbuchautor schreibt für gewöhnlich Romane) arbeitet diese Episode weniger mit narrativen Mitteln als mit Eindrücken, Stimmungen und Symbolen, so dass dem Zuschauer eine Menge mehr Eigenarbeit zugemutet wird als bei der gewöhnlichen Kinoware. Entsprechend bleibt das Ende hier auch ungewohnt offen. Mit dem am Boden der sozialen Nahrungskette lebenden El Chivo verhält es sich wiederum anders: seine Geschichte ist eher eine moralische Reise, die Rückkehr einer Person zu Glück und Werten die beides schon lange verloren geglaubt hat.
Gemeinsam haben die drei neben der enormen Bedeutung von Hunden die Nähe zu den Figuren: Ähnlich wie die "Dogma"-Filmer arbeitete Regisseur Inárritu konsequent mit der Handkamera und lässt in zahlreichen Nahaufnahmen nicht eine Regung im Gesicht seiner Akteure unbeobachtet. Eine Herausforderung, die die ausnahmslos fabelhaften Darsteller bravourös zu meistern wissen, und die sich als ungemein wertvoll für einen Film erweist, der den Mut aufbringt, möglichst wenig durch den Dialog zu erklären.
Was "Amores Perros" zu einem solch außergewöhnlichen und vielversprechenden Debütfilm macht ist indes nicht nur die enorm kraftvolle und einfallsreiche Bildersprache Inárritus irgendwo zwischen Scorsese, Tarantino, Bunuel und Rodriguez. Denn der Film entwickelt weit mehr als ein Portrait der kontrastreichen Seiten des Lebens in Mexikos Metropole. Leise wachsen größere Zusammenhänge und Statements aus der gefühlvollen und vorsichtigen Konstruktion des Films, der so schließlich berechtigte Erinnerungen an P.T. Andersons Meisterwerk "Magnolia" hervorruft. Symptomatisch: das zentrale Zitat "Wenn du Gott zum lachen bringen willst, erzähl ihm von deinen Zukunftsplänen", sehr nah an der Botschaft Andersons.
Trotz seiner Länge langweilt "Amores Perros" nicht für eine Sekunde und bringt das erstaunliche Kunststück fertig, drei sehr verschiedene Geschichten zu erzählen und trotzdem eine gemeinsame Linie zu entwickeln. So ist er nicht nur das aufregende Debüt eines innovativen und immens talentierten jungen Filmemachers, von dem wir hoffentlich noch mehr sehen werden, sondern auch eine willkommene Abwechslung von der Einheitsware, die sich zusehends in unseren Kinos breit macht. Nicht häufig hat man die Chance einen Film zu sehen, der gleichzeitig eine selten gewordene kinetische Frische ausstrahlt und den Zuschauer zum Denken anregt.
Originaltitel
Amores Perros
Land
Jahr
2000
Laufzeit
153 min
Genre
Release Date
Bewertung
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