Stereo

Jahr
2014
Laufzeit
95 min
Release Date
Bewertung
6
6/10
von Frank-Michael Helmke / 28. April 2014

Erik (Jürgen Vogel) lebt auf dem Land, betreibt eine Motorrad-Werkstatt und führt eine knospende Beziehung mit der alleinerziehenden Mutter Julia (Petra Schmidt-Schaller). Mal abgesehen davon, dass Julias Vater es missbilligt, dass seine Tochter sich auf so einen Lederjacke-und-Tätowierungen-Typ eingelassen hat, ist in Eriks Leben soweit alles wunderbar. Bis eine sehr mysteriöse Gestalt auftaucht, die Erik permanent zu beobachten scheint, und die - wie sich bald herausstellt - außer Erik sonst niemand sehen kann. StereoAls Erik den mysteriösen Burschen endlich konfrontieren kann, stellt dieser sich als Henry (Moritz Bleibtreu) vor und entpuppt sich als ziemlich unangenehmer Zeitgenosse, der Erik nicht mehr in Ruhe lässt und bald drauf und dran ist, Erik in den Wahnsinn zu treiben - wenn er nicht schon längst da ist. Wenig hilfreich, dass zur selben Zeit weitere finstere Gestalten auftauchen, die Erik zu kennen scheinen und von ihm reichlich zwielichtige "Gefallen" fordern. In was ist Erik da bloß hinein geraten?

Tja, und wer ist Erik eigentlich? Das verbleibt für den Großteil der Handlung das große Fragezeichen in den Köpfen des Publikums bei Maximilian Erlenweins neuem Kinofilm, der sich immerhin den Marketing-technisch ganz nützlichen Coup aufs Plakat schreiben kann, zum ersten Mal Jürgen Vogel und Moritz Bleibtreu gemeinsam auf der Leinwand zu präsentieren. Erlenwein versucht sich hier an etwas, was in Deutschland ziemlich selten gemacht wird, nämlich einen waschechten Psychothriller.Stereo Da ist es Genre-gemäß schon durchaus richtig, dass man als Filmemacher seine Karten nahe an der Brust hält und den Zuschauer nicht zu viel zu früh erkennen lässt, damit die Spannung auch schön erhalten bleibt. Es ist allerdings ein riskanter Drahtseilakt, den man hier ausbalancieren muss, zwischen Nicht-zu-viel-verraten-und-so-die-Spannung-halten und Entschieden-zu-wenig-verraten-und-das-Publikum-damit-frustrieren. Erlenwein passiert leider letzteres.

Dabei scheitert der Regisseur, der wie so viele Abkömmlinge deutscher Filmhochschulen auch seine Drehbücher selber schreibt, an einer der simpelsten Grundregeln der Filmdramaturgie: Sorge dafür, dass dein Publikum emotional in deinen Protagonisten investiert. Doch über Erik erfährt man hier leider viel zu wenig, als dass man sich ernsthaft für ihn interessieren würde. Das einzig Positive, was sich nach einer halben Stunde sicher über diesen Mann sagen lässt, ist dass er nett zur Tochter seiner Freundin ist. Das war's dann auch schon. Wer dieser Mann eigentlich ist, was ihn hieraus aufs Land getrieben hat und wie sein Leben vorher aussah, darüber erfährt man sehr lange sehr wenig - nämlich gar nichts. Natürlich hat dieses frühere Leben von Erik etwas mit dem Rätsel zu tun, welches "Stereo" schlussendlich aufdröselt, und es ist sehr bald offensichtlich, dass Erik ganz eindeutig etwas verdrängt hat, was ihn nun wieder einholt - das Auftauchen einer Figur wie Henry ist da ein untrüglicher Hinweis. Trotzdem verpasst es der Film, seinem Publikum einen Einblick in seine Hauptfigur zu gewähren, der uns zumindest etwas darüber erzählt, was dieser Mann selbst von sich denkt, denn schließlich leidet er nicht an Amnesie. Nach gut der Hälfte der Laufzeit erzählt Erik in die Enge getrieben eine Geschichte, die erklärt, warum er sein altes Leben hinter sich gelassen und sich aufs Land zurückgezogen hat.Stereo Aufgrund der Situation innerhalb dieser Szene kann man sich als Zuschauer aber nicht mal sicher sein, ob das jetzt eigentlich wirklich stimmt, oder ob Erik hier gerade überzeugend eine Lüge improvisiert, um weitere lästige Nachfragen zu ersticken. Wenn "Stereo" dieselbe Backstory gut 20 Minuten früher und ohne Zweifel an ihrer Authentizität präsentiert hätte, dann hätte der Film sein Publikum für seinen Protagonisten eingenommen, dieser Mann würde uns leid tun und wir wären emotional involviert, was mit ihm passiert. Hätte, würde, wäre...

Diese erzählerische Schwäche kann "Stereo" leider nie richtig kompensieren, so stark der Film ansonsten auch gemacht ist. Er ist als Drehbuchautor wahrlich nicht der Beste, als Regisseur macht Maximilian Erlenwein hier aber sehr viel richtig. Gerade was das Erzeugen einer effektiven, weil bedrohlich-unheimlichen Atmosphäre betrifft, schlägt das Zusammenspiel aus Kamera, Ausstattung, Beleuchtung und Musik hier die genau richtigen Töne an, und der eine oder andere dezente Schritt ins Surreale unterstreicht sehr hübsch die wachsenden Zweifel von Erik an der eigenen geistigen Gesundheit. Nur für ein Setting gewinnt "Stereo" definitiv keine Originalitätspunkte: Erik wird auf etwas obskure Weise an so eine Art Privat-Geistesheilerin verwiesen, und deren Wohnung erinnert in Aufmachung und Farbgebung mehr als nur ein bisschen an die Heimstätte des Orakels aus "Matrix". 

StereoHandwerklich also durchaus sauber, lässt sich "Stereo" aber schlicht zu viel Zeit, um die wenigen Informationsbröckchen, die zu seiner Auflösung führen, unters Volk zu bringen. Der ganze Film ist hingebaut auf den Knalleffekt seiner finalen Enthüllung, was hier eigentlich wirklich die ganze Zeit gelaufen ist und was es mit Erik bzw. Henry auf sich hat. Man kann dem Film zugute halten, dass diese Auflösung immerhin halbwegs klug ist und einen guten Twist parat hält. Man kann bei kritischer Betrachtung aber durchaus auch der Meinung sein, dass das auf psychologischer Ebene nicht so ganz glaubwürdig ist. So oder so bleibt die Tatsache, dass der Weg hin zur Auflösung unnötig in die Länge gezogen ist und "Stereo" über weite Strecken in einem erzählerischen Stillstand verharrt, während dem seine Zuschauer längst das Interesse verlieren, bevor es dann doch noch interessant wird. Schade um die starke Paarung Vogel-Bleibtreu, die für ihr erstes Aufeinandertreffen einen weitaus stärker und stringenter konstruierten Stoff verdient gehabt hätte.

Bilder: Copyright

5
5/10

Besser gut geklaut als schlecht erfunden.

Eine ganz unterhaltsame Mischung aus "Mein Freund Harvey" und Cronenbergs "A history of violence".
Schauspielerisch Top. Jürgen Vogel, Moritz Bleibtreu und Georg Friedrich sind schauspielerisch erstklassig.

Aber das waren Viggo Mortensen, James Stewart und William Hurt auch.

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