
Kurz vor seinem viel zu frühen Tod 1996 verfasste der polnische
Regieveteran Krzysztof Kieslowski mit seinem Freund und Drehbuchautor
Krzysztof Piesiewicz die Drehbücher zu seiner Filmtrilogie
"Heaven, Hell and Purgatory". Doch die Verfilmung seiner
Drehbücher konnte Kieslowski selbst nie in Angriff nehmen.
Somit überließ er mehr oder weniger freiwillig sein Werk
der Nachwelt, die sich zum ersten Mal 2002, in der Gestalt von Tom
Tykwer, der Trilogie annahm. Tykwer verfilmte "Heaven"
mit Cate Blanchett und Giovanni Ribisi in den Hauptrollen und landete
damit einen kleinen Achtungserfolg. Jetzt knöpft sich der bosnische
Oscargewinner Danis Tanovic ("No
Man's Land") den zweiten Teil "Hell" vor und
liefert mit "Wie in der Hölle" einen beeindruckend
stillen, aber dennoch äußerst kraftvollen Film ab.
Drei Frauen stehen im Mittelpunkt dieser Geschichte. Sophie (Emanuelle
Beart) verfolgt krank vor Eifersucht ihren Ehemann, den sie verdächtigt,
sie zu betrügen. Anne (Marie Gillain) ist mit der Liebe zu
ihrem Professor an der Universität sichtlich überfordert.
Und Celine (Karin Viard) ist überhaupt nicht fähig, sich
mit einem Mann einzulassen. Sogar der sympathische Bahnschaffner
lässt sie völlig kalt. Viel lieber pflegt sie ihre im
Rollstuhl sitzende Mutter.
Diese höchst unterschiedlichen Frauen sind Schwestern. Kontaktlos
und fast schon anonym leben sie nebeneinander her, ohne sich um
die Belange der anderen zu kümmern. Doch die Oberflächlichkeit,
mit der sie sich meiden, trägt grausame Wurzeln in der gemeinsamen
Vergangenheit. Und als diese schmerzlich zum Vorschein kommt, finden
sich die Schwestern zusammen in der titelgebenden Hölle wieder.
Schwerwiegend sind die Themen, die Danis Tanovic in seinem neuen Film verhandelt: Schicksal und Zufall, Schuld und Sühne, Verrat und Vertrauen. Themen, die Kieslowski immer sehr wichtig waren. Ob nun in seinem Opus Magnum "Dekalog" oder in seiner brillanten Trilogie "Drei Farben: Blau/Weiß/Rot" zeigte er oft sehr direkt, wie es guten Menschen in dieser schlechten Welt ergeht. Außerdem interessierte ihn das Motiv des Menschen, der beim Versuch, etwas Gutes zu tun, immer wieder in der bitteren Erkenntnis endet, letztendlich doch nur Böses geschaffen zu haben. Eine konsequente Spirale des Abstiegs also, die Phillippa und Fillipo aus "Heaven" schon ereilt hat und in der sich nun auch die drei Protagonistinnen aus "Wie in der Hölle" befinden.
Die
Hölle liegt wohl in der Natur. Das suggeriert uns auch die
eindrucksvoll intensive Anfangssequenz. In der sehen wir die Intrige
des Kuckucks, der (wie allgemein bekannt ist) sein Ei durch ein
geschicktes Ablenkungsmanöver in ein fremdes Nest bringt. Über
dem Nest herrscht erstmal himmlische Ruhe. Doch als das Kuckuck-Kücken
schlüpft, beginnt die sprichwörtliche Hölle. Das
Vogelbaby stößt seine noch nicht geschlüpften Brüder
und Schwestern achtlos aus dem Nest und verurteilt sie so zum Tode.
Grausam ist dieses Bild, und genial zu gleich. Die Metapher, mit
der wir konfrontiert werden, ist eindeutig: Der Mensch als Teil
der Natur ist dieser Hölle ebenfalls hilflos ausgeliefert.
"Die Hölle kann Teil unseres Alltags sein. Man muss sie
nicht in einem Land suchen, das sich wie Afghanistan im Krieg befindet.
Gerade dort habe ich viel glücklichere Menschen getroffen als
in Paris", sagt Tanovic im Presseheft. Und das kann der Bosnier
auf wunderbare Art vermitteln. In "Wie in der Hölle"
lässt er die Spannungsfelder zwischen den Personen aus ihrem
Schweigen heraus entstehen. Im Ungesagten liegt, wie bei Kieslowski
auch, immer mehr Wahrheit als im Gesagten. Das funktioniert hier
aber nur durch die drei wirklich brillanten französischen Schauspielerinnen.
Allen voran die sensationelle Emanuelle Beart ("8
Frauen"), die es während der ganzen Spieldauer von
102 Minuten schafft, mit einem einzigen eiskalten Gesichtsausruck
alles Leid und alle versteckten Aggressionen ihres Charakters
schlicht und einfach unmittelbar zu machen. Celine, die älteste
Schwester, wird grandios von Karin Viard verkörpert. Sie legt
jegliche Form von Weiblichkeit und Eleganz ab und lässt Celine
fast schon schlafwandlerisch durch die Straßen von Paris schlurfen.
Und auch die Jüngste im Bunde, Marie Gillain, die die Anne
spielt, weiß durchaus zu überzeugen.
Vielleicht schafft es Tanovic nicht immer, die Balance zwischen den drei separaten Geschichten der Schwestern zu halten. Es mag durchaus sein, dass er die existenzielle Schwere der Fragen, die der Film aufwirft, oft zu gewollt in Szene setzt. Die Leichtigkeit, die sein internationaler Durchbruch "No Man's Land" trotz tragischer Thematik immer mal wieder durchschimmern ließ, lässt er hier dann doch vermissen. Und so gibt es Phasen, in denen die Geschichte der drei Schwestern durchaus tiefgreifend und packend ist, aber es gibt auch Phasen, wo sie langweilt.
Ob "Wie in der Hölle" Kieslowski gefallen hätte? Das kann keiner sagen. Aber man darf es sich auch nicht zu leicht machen und folgern, dass er es auf jeden Fall besser gemacht hätte. Danis Tanovic hat mit seinem Film ein durchaus fesselndes Familiendrama mit gleichnishaften Untertönen geschaffen. In dem vor allem die Hauptdarstellerinnen ihr ganzes Können unter Beweis stellen dürfen. Und genau deshalb darf auch die Verfilmung des zweiten Teils dieser Kieslowski-Trilogie durchaus als kleiner Erfolg gelten.
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