Wie in der Hölle

Originaltitel
L'enfer
Land
Jahr
2005
Laufzeit
102 min
Genre
Release Date
Bewertung
7
7/10
von Patrick Wellinski / 23. Dezember 2010

Kurz vor seinem viel zu frühen Tod 1996 verfasste der polnische Regieveteran Krzysztof Kieslowski mit seinem Freund und Drehbuchautor Krzysztof Piesiewicz die Drehbücher zu seiner Filmtrilogie "Heaven, Hell and Purgatory". Doch die Verfilmung seiner Drehbücher konnte Kieslowski selbst nie in Angriff nehmen. Somit überließ er mehr oder weniger freiwillig sein Werk der Nachwelt, die sich zum ersten Mal 2002, in der Gestalt von Tom Tykwer, der Trilogie annahm. Tykwer verfilmte "Heaven" mit Cate Blanchett und Giovanni Ribisi in den Hauptrollen und landete damit einen kleinen Achtungserfolg. Jetzt knöpft sich der bosnische Oscargewinner Danis Tanovic ("No Man's Land") den zweiten Teil "Hell" vor und liefert mit "Wie in der Hölle" einen beeindruckend stillen, aber dennoch äußerst kraftvollen Film ab.

Drei Frauen stehen im Mittelpunkt dieser Geschichte. Sophie (Emanuelle Beart) verfolgt krank vor Eifersucht ihren Ehemann, den sie verdächtigt, sie zu betrügen. Anne (Marie Gillain) ist mit der Liebe zu ihrem Professor an der Universität sichtlich überfordert. Und Celine (Karin Viard) ist überhaupt nicht fähig, sich mit einem Mann einzulassen. Sogar der sympathische Bahnschaffner lässt sie völlig kalt. Viel lieber pflegt sie ihre im Rollstuhl sitzende Mutter.
Diese höchst unterschiedlichen Frauen sind Schwestern. Kontaktlos und fast schon anonym leben sie nebeneinander her, ohne sich um die Belange der anderen zu kümmern. Doch die Oberflächlichkeit, mit der sie sich meiden, trägt grausame Wurzeln in der gemeinsamen Vergangenheit. Und als diese schmerzlich zum Vorschein kommt, finden sich die Schwestern zusammen in der titelgebenden Hölle wieder.

Schwerwiegend sind die Themen, die Danis Tanovic in seinem neuen Film verhandelt: Schicksal und Zufall, Schuld und Sühne, Verrat und Vertrauen. Themen, die Kieslowski immer sehr wichtig waren. Ob nun in seinem Opus Magnum "Dekalog" oder in seiner brillanten Trilogie "Drei Farben: Blau/Weiß/Rot" zeigte er oft sehr direkt, wie es guten Menschen in dieser schlechten Welt ergeht. Außerdem interessierte ihn das Motiv des Menschen, der beim Versuch, etwas Gutes zu tun, immer wieder in der bitteren Erkenntnis endet, letztendlich doch nur Böses geschaffen zu haben. Eine konsequente Spirale des Abstiegs also, die Phillippa und Fillipo aus "Heaven" schon ereilt hat und in der sich nun auch die drei Protagonistinnen aus "Wie in der Hölle" befinden.

Die Hölle liegt wohl in der Natur. Das suggeriert uns auch die eindrucksvoll intensive Anfangssequenz. In der sehen wir die Intrige des Kuckucks, der (wie allgemein bekannt ist) sein Ei durch ein geschicktes Ablenkungsmanöver in ein fremdes Nest bringt. Über dem Nest herrscht erstmal himmlische Ruhe. Doch als das Kuckuck-Kücken schlüpft, beginnt die sprichwörtliche Hölle. Das Vogelbaby stößt seine noch nicht geschlüpften Brüder und Schwestern achtlos aus dem Nest und verurteilt sie so zum Tode. Grausam ist dieses Bild, und genial zu gleich. Die Metapher, mit der wir konfrontiert werden, ist eindeutig: Der Mensch als Teil der Natur ist dieser Hölle ebenfalls hilflos ausgeliefert.

"Die Hölle kann Teil unseres Alltags sein. Man muss sie nicht in einem Land suchen, das sich wie Afghanistan im Krieg befindet. Gerade dort habe ich viel glücklichere Menschen getroffen als in Paris", sagt Tanovic im Presseheft. Und das kann der Bosnier auf wunderbare Art vermitteln. In "Wie in der Hölle" lässt er die Spannungsfelder zwischen den Personen aus ihrem Schweigen heraus entstehen. Im Ungesagten liegt, wie bei Kieslowski auch, immer mehr Wahrheit als im Gesagten. Das funktioniert hier aber nur durch die drei wirklich brillanten französischen Schauspielerinnen. Allen voran die sensationelle Emanuelle Beart ("8 Frauen"), die es während der ganzen Spieldauer von 102 Minuten schafft, mit einem einzigen eiskalten Gesichtsausruck alles Leid und alle versteckten Aggressionen ihres Charakters schlicht und einfach unmittelbar zu machen. Celine, die älteste Schwester, wird grandios von Karin Viard verkörpert. Sie legt jegliche Form von Weiblichkeit und Eleganz ab und lässt Celine fast schon schlafwandlerisch durch die Straßen von Paris schlurfen. Und auch die Jüngste im Bunde, Marie Gillain, die die Anne spielt, weiß durchaus zu überzeugen.

Vielleicht schafft es Tanovic nicht immer, die Balance zwischen den drei separaten Geschichten der Schwestern zu halten. Es mag durchaus sein, dass er die existenzielle Schwere der Fragen, die der Film aufwirft, oft zu gewollt in Szene setzt. Die Leichtigkeit, die sein internationaler Durchbruch "No Man's Land" trotz tragischer Thematik immer mal wieder durchschimmern ließ, lässt er hier dann doch vermissen. Und so gibt es Phasen, in denen die Geschichte der drei Schwestern durchaus tiefgreifend und packend ist, aber es gibt auch Phasen, wo sie langweilt.

Ob "Wie in der Hölle" Kieslowski gefallen hätte? Das kann keiner sagen. Aber man darf es sich auch nicht zu leicht machen und folgern, dass er es auf jeden Fall besser gemacht hätte. Danis Tanovic hat mit seinem Film ein durchaus fesselndes Familiendrama mit gleichnishaften Untertönen geschaffen. In dem vor allem die Hauptdarstellerinnen ihr ganzes Können unter Beweis stellen dürfen. Und genau deshalb darf auch die Verfilmung des zweiten Teils dieser Kieslowski-Trilogie durchaus als kleiner Erfolg gelten.


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