Die meisten Menschen, die heute in den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens leben, scheinen etwas zu suchen. Egal ob es die damalige Wohnung ist oder verlorene Familienmitglieder. Der Krieg hat vieles zerstört, vernichtet und durcheinander gebracht. Von genau so einer Suche erzählt Christian Wagners neuer Film "Warchild - Stille Sehnsucht".
Senada (Labina Mitevska) lebt in Sarajevo. Sie ist 30 und der Krieg ist schon einige Jahre her. Doch Senada hat damals, als der Krieg angefangen hat, zusammen mit ihrem Mann Samir (Senad Basic) ihre 10jährige Tochter Aida in einem Rettungstransport außer Landes bringen lassen. Seit dem ist Aida verschwunden. Senada hat dies nie überwunden. Als sie eine alte Ausgabe der "Süddeutschen Zeitung" in die Finger bekommt, meint sie ihre Tochter auf einem der Fotos wieder zuerkennen. Sie macht sich auf die Suche nach ihr und landet in Ulm. Aber Aida heißt jetzt Kristina und ist ein ganz und gar deutscher Teenager.
Die Idee ist packend. Eine Frau sucht ihr Kind. Eine Geschichte,
die in einer ähnlichen Form dem Drehbuchautor Edin Hadzimahovic
in einer Zeitung begegnet ist. Dieser Artikel diente ihm als Grundlage
für die Geschichte von "Warchild".
Der Kosovokrieg wird mehr und mehr filmisch verarbeitet. Erst neulich
gewann "Grbavica" von Jasmila Zbanic den Goldenen Bären
auf der Berlinale. In "Grbavica" ging es ebenfalls um
eine Frau. Esma musste ihre Tochter mit der grausamen Wahrheit über
ihren Vater konfrontieren. Das war beklemmend und beeindruckend
zugleich. Christian Wagner macht es jetzt in "Warchild"
ähnlich. Es geht in diesem Film um die Sehnsucht einer Frau
nach ihrem verlorenen Kind. Senada begibt sich auf eine Odyssee
quer durch Mitteleuropa, um letztendlich im kleinen deutschen Städtchen
Ulm ihre Tochter zu finden.
Wagners größte Leistung liegt in einigen Bildkompositionen, die einem das Schlucken nahezu unmöglich machen. Wenn beispielsweise Senada den PC der Sozialarbeiterin Frau Jandrasko (Katrin Sass) klaut, oder wenn Frau Jandrasko Senada erklärt, dass sie sehr wohl wisse was in den Frauenlagern (was letztendlich nichts weiter als Vergewaltigungslager waren) "bei diesem grünen Licht" passiert ist. Sie habe es in der Zeitung gelesen. Dann zeigt der Regisseur Senada, wie sie mit ihrem linken Auge fast unmerklich zuckt und in ihrem schlechten Deutsch sagt: "Es war gelbes Licht". In diesen Momenten ist alles gesagt und das Grauen des Krieges rückt in den Vordergrund. Was für eine Frechheit unsererseits zu behaupten, wir wüssten was damals wirklich passierte. Hier schafft es der Film eine kritische Haltung gegenüber dem Sujet zu beziehen. Leider gelingt ihm das nicht immer.
Kristinas/Aidas Eltern agieren leider ein wenig zu sehr nach Schema
F. Die Schreianfälle der Adoptivmutter (Crescentia Dünsser)
und das ständige "Gehen Sie weg, oder ich hole die Polizei"
nervt auf Dauer. Ein weiterer Schwachpunkt ist die Dramaturgie der
Geschichte. Der Film nimmt sich am Anfang sehr viel Zeit, Senadas
Leben in Sarajevo zu beschreiben (fast ein Drittel des Films), um
dann die illegale und sehr spannende (weil gefährliche) Ausreise
Senadas mit einem dreisten Schnitt zu beenden. Es ist ungeschickt,
zuerst die Ausreise in einem Fischerboot (Senada vollkommen bedeckt
mit Fischen) und die dann folgende Fahrt in einem Tiefkühltransporter
dialogisch genau zu beschreiben, um später mit einem einfachen
Schnitt Senada direkt nach Ulm zu bringen.
Wie ist sie aus Italien nach Ulm gekommen? Wie hat sie es geschafft
unerkannt zu bleiben? Wer hat ihr
geholfen? Alle diese Fragen bleibt der Film schuldig. Nun gut, mag
man jetzt sagen, es geht ja schließlich um das Zusammentreffen
mit ihrer Tochter. Wenn die Adoptiveltern es nicht mehr schaffen,
Katarina/Aida ganz und gar vor Senada zu schützen, drückt
der Film aufs Gaspedal und alle Ereignisse überschlagen sich
förmlich, um dann in einer sehr bedeutungsschweren weißen
Blende zu enden.
Wagner hätte sich ganz allein auf seine Charaktere konzentrieren
können, ihnen genauer und mit etwas mehr Geduld beim Handeln
zusehen. Dabei liefert Labina Mitevska eine wunderbare und kraftvolle
Tour de Force, wie sie ihrer Zeit auch Mirjana Karanovic in "Grbavica"
leistete. Man schaut ihr gerne bei ihrer Suche zu. Es ist beeindruckend,
wie sie - eine Frau von eher unscheinbarer Gestalt - große
Gefühle und vor allem das Leid einer Mutter, die erkennen muss,
dass ihre Tochter nicht mehr das 10jährige Mädchen von
damals ist, spürbar macht.
"Warchild - Stille Sehnsucht" greift ein schwieriges und sehr anspruchsvolles Thema auf und schafft es in einigen Momenten durchaus, diesem in seiner Erzählung gerecht zu werden. Aber die markanten dramaturgischen Schwächen und die zu plakativ in Szene gesetzte, fast erzwungene Karthasis der Hauptfigur sind letztendlich nicht von der Hand zu weisen. Was der wichtigen Botschaft des Films aber nicht schadet, nur den Sehgenuss stört.
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