Andreas Dresens Werke haben erheblichen Anteil daran, dass deutsche
Filme wieder erfolgreich in unseren Kinos laufen. Mit "Nachtgestalten"
brachte er den Neorealismus zurück auf die deutsche Leinwand.
"Herr Wichmann von der CDU"
stellt immer noch eine kleine Revolution im Genre der Dokumentarfilme
dar, und mit dem komplett improvisierten Film "Halbe Treppe"
hat er einen der besten deutschen Filme der letzten Jahre produziert.
Sein neuer Film "Sommer vorm Balkon" bestätigt,
dass Dresen zurzeit vielleicht der beste, oder zumindest der konstanteste
und wandlungsfähigste Regisseur Deutschlands ist.
Ein Sommer in Berlin. Katrin (Inka Friedrich) und Nike (Nadja Uhl)
sind zwei Freundinnen. Sie wohnen im gleichen Haus im Berliner Osten.
Katrin ist geschieden und arbeitslos. Außerdem hat sie einen
pubertierenden Sohn und wohnt im Erdgeschoss. Nike arbeitet als
Altenpflegerin, ist Single und hat einen Balkon. Genau auf diesem
titelgebenden Anbau verbringen beide Frauen viele Abende miteinander
und diskutieren über ihr Leben, vor allem aber über Männer
und warum die Richtigen immer die Falschen sind. Eines Tages tritt
Ronald, der Lastwagenfahrer (Andreas Schmidt), in ihr Leben und
mischt Nikes und Katrins Alltag ordentlich durcheinander.
Mit
Hilfe von Wolfgang Kohlhaase, dem Stamm-Drehbuchautor des legendären
DDR-Filmemachers Konrad Wolf, erlaubt uns Dresen einen Sommer lang
einen sehr intimen aber auch sehr ehrlichen Blick auf die Probleme
im Leben beider Frauen. Ein Leben, das mal traurig, mal dramatisch
und dann wieder witzig ist. Wenn Katrin sich in Seminaren á
la "Wie Bewerbe ich mich richtig?" blamiert und von den
Kursteilnehmern deswegen angegriffen wird, ist das ebenso unheimlich
lustig wie äußerst tragisch - die schwierige Gratwanderung
der Tragikomödie meistert Dresen beeindruckend. Nike wiederum
wird bei ihrer Arbeit äußerst schmerzvoll daran erinnert,
dass nicht nur die alten Menschen meistens allein sind, sondern
sie auch. Ronald wechselt die Frauen, wie andere die Zahnbürsten,
ist aber selber ein ganz zerbrechlicher Mensch.
Neben der Wahl des introspektiven Drehbuchs beweist der Regisseur
wieder einmal ein glückliches Händchen bei der Besetzung.
Das Duo Inka Friedrich als Katrin und Nadja Uhl als Nike ist mehr
als ein Glücksgriff. Beide verkörpern ihre Figuren mit
einer außerordentlich greifbaren Intensität und sehr
körperbetontem Spiel. Es reichen oft nur Blicke, kleine Nuancen,
um ganze Gefühlswellen zu vermitteln.
Sobald
Inka Friedrich als Katrin sich leicht geduckt durch die Berliner
Straßen bewegt, erleben wir eine äußerst distanzierte
und gehemmte Frau, auf der eine sehr schwere Last zu hängen
scheint. Doch einmal geht sie in die Disco tanzen, jegliche Distanz
verschwindet und wir erleben für einen kleinen Moment, so scheint
es, die wahre Katrin. Ganz anders Nadja Uhl, wenn sie mit ihrem
Fahrrad durch die Menschenmenge am Prenzlauer Berg rast oder in
die Wohnungen der alten Menschen stürmt. Sie ist das völlige
Gegenteil von Katrin. Extrovertiert, laut mit typischer Berliner
Schnauze. Sie musste sich immer durchkämpfen. Ihr wurde nie
etwas geschenkt. Ihre String-Tangas schauen immer aus der Jeans,
und wenn sie wieder mal auf der Straße jemanden anbrüllt,
wirkt Nadja Uhl wie die deutsche Cameron Diaz.
"Sommer
vorm Balkon" ist eine Mischung aus "Halbe Treppe"
und Dresens letzter Arbeit "Willenbrock".
Trotz eines festen Drehbuchs hat Dresen sich mit einem nur zwölfköpfigen
Team und der für ihn fast schon typischen Handkamera an die
Arbeit gemacht, und in nur einem Sommer den ganzen Film gedreht
und geschnitten. Außerdem besteht der Großteil des Ensembles
aus Laiendarstellern. Dass man dies nicht merkt, ist allein Dresens
großem Talent, mit Menschen zu arbeiten, zuzuschreiben.
Es tut richtig gehend gut, endlich mal wieder einen deutschen Film
zu sehen, der so vieles richtig macht. Mit einem Starttermin Anfang
Januar könnte es Dresen so zukommen, ein hoffentlich besseres
deutsches Kinojahr einzuläuten. Mehr Filme und Regisseure mit
Dresens Mut zu aktuellen und menschlichen Themen wären dem
deutschen Kino zu wünschen.
"Sommer vorm Balkon" ist ein Film ohne konkreten Höhepunkt,
dafür aber mit sehr vielen kleinen. Dieses kleine Filmjuwel
zeigt die beiden Seiten des Lebens, ohne dabei in tiefe sinnleere
Belehrungen zu verfallen. Dresen ist ein Werk voller innerer Schönheit
gelungen. Man verfällt dem Charme und der Wärme des Films
von der ersten Minute an. Eine Bestandsaufnahme aus dem Leben, die
beweist, dass die besten Filme noch im Kopf weiter gehen, wenn der
Abspann längst vorbei ist.
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