Die nächste Runde der aktuellen Phase im Marvel Universe steht an und wieder durfte man durchaus skeptisch sein. Während bei „Black Widow“ vorher nicht so sicher war, ob diese eigentlich auserzählt wirkende Figur denn nun unbedingt noch ihren eigenen Film brauchte, war es bei „Shang-Chi“ sogar grundsätzlich fraglich, ob dieser Charakter überhaupt stark genug für einen groß angelegten Blockbuster ist. Der Marvel-Held kämpfte zwar schon in den 70er Jahren auch in deutschen Comic-Taschenbüchern unter dem Titel „Die tödlichen Hände des Kung-Fu“ auf eine für damalige Verhältnisse so brutale Weise für das Gute, dass es ihm prompt eine Indizierung und einen Platz auf der Liste der jugendgefährdenden Schriften einbrachte. Er war aber letztlich nicht viel mehr als ein Anhängsel des seinerzeit grassierenden Kung-Fu-Booms, den die gleichnamige TV-Serie mit David Carradine und die Bruce Lee-Filme ausgelöst hatten. Was man aus dem guten Shang-Chi nun aber fürs Kino gemacht hat, ist wirklich beeindruckend und präsentiert eine der bisher stärksten Origin-Storys innerhalb des Cinematic Universe überhaupt.
Wir begegnen Shaun (Simu Liu) und seiner besten Freundin Katy (Awkwafina) im heutigen San Francisco, wo sie ein eher anspruchsloses, aber spaßiges Leben zwischen ihrem Parkwächter-Job und dem Abhängen in Karaoke-Bars führen. Bis Shaun plötzlich eines Tages bei der Fahrt im Bus von mit speziellen Waffen und Kräften ausgestatteten Attentätern attackiert wird. Erst dann wird die Verbindung zum zuvor gesehenen Prolog klar, denn Shaun ist in Wahrheit Shang-Chi, der Sohn des mächtigen Wenwu (Tony Leung), der seit einem Jahrtausend mithilfe der mächtigen zehn Ringe seine eigenes Reich errichtet hat, aus dem seine beiden Kinder allerdings vor einigen Jahren geflohen sind, um ein völlig anderes und unabhängigeres Leben zu führen. Nun sendet Wenwu seine Schergen aus, so dass auch Shangs Schwester Xialing (Mengér Zhang) in Gefahr ist. Die Absichten ihres Vaters scheinen dabei aber durchaus edel zu sein, sucht er doch nach einem Weg der allen dreien vielleicht die verstorbene Ehefrau und Mutter zurückbringen könnte. Die Methoden, die er anwendet um dieses Ziel zu erreichen, sind allerdings nicht nur moralisch fragwürdig, sondern könnten auch großes Unheil über die gesamte Welt bringen.
„Shang-Chi“ fühlt sich lange Zeit überhaupt nicht wie ein Teil des Marvel-Universums an, nicht nur weil es zunächst keine offensichtlichen Verbindungen gibt, sondern vor allem weil die Geschichte sehr geerdet daherkommt. Und dazu passen dann auch die „echten“, ohne viel CGI-Effekte inszenierten Kämpfe von Mann zu Mann bzw. Frau, vor allem die erste lange Action-Sequenz im Bus weiß in dieser Hinsicht zu begeistern. Der bei den relevanten Rollen fast rein asiatische Cat wird von dem bisher eher unbekannten Simu Liu angeführt, während seine Partnerin Awkwafina ja seit „Crazy Rich Asians“ und dem zweiten Jumanji-Film fast schon die Standard-Besetzung für Comedy-Sidekick Parts ist. Hier bekommt sie im Grunde nicht allzu viel Relevantes zu tun, setzt aber immer wieder gute Pointen und die Chemie mit ihrem Kumpel (die erwartete Romanze zwischen den Beiden bleibt bemerkenswerterweise aus) ist sehr stimmig.
Mit Tony Leung hat man dazu einen echten Veteranen des asiatischen Action- aber auch Arthouse-Kinos verpflichtet. Nicht zuletzt sein Charisma sorgt dafür, dass Wenwu nicht als Standard- Bösewicht daherkommt, im Prinzip eigentlich nicht mal einer ist. Denn seine Motive sind zumindest nachvollziehbar und zwischenzeitlich hat es sogar kurz den Anschein, als würde die Familie wieder vereint, ohne dass es überhaupt zu einem großen Konflikt kommen muss.
Aber da sind dann doch die Gesetze des Blockbuster-Kinos vor, und die erfordern halt eine große, finale Schlacht. Was dazu führt, dass wir uns am Ende dann doch wieder im effektgeladenen Fantasy-Kino befinden. Das ist aber tatsächlich der schwächste Teil des Films, wirkt wenig inspiriert und ab und zu schon fast wie eine halt nötige Pflichtübung.
Die ersten zwei Drittel des Films sind die klar stärkeren, mit viel Witz, interessanten Charakteren und einem bodenständigen, handfesten Setting, das durchgehend überzeugen kann. Und einen Extrapunkt gibt es dann noch für den Gastauftritt einer Figur aus einem schon länger zurückliegenden Film, mit dem man nun wirklich nicht rechnen konnte, der aber genauso köstlich ausfällt wie beim ersten Mal.
Es deutet sich zum Schluss dann mehr als deutlich an, dass Shang-Chi und seine Freunde nun natürlich stärker ins Marvel-Universum eingebunden und dort in Zukunft diverse Aufgaben zu erledigen haben werden. Da stellt sich die Frage, ob das tatsächlich so etwas Gutes ist, denn es ist bisher vor allem die Eigenständigkeit, die „Shang-Chi“ seinen Reiz verleiht und den Film zu einer unerwarteten, positiven Überraschung macht.
Neuen Kommentar hinzufügen