Infernal Affairs

Originaltitel
Wu jian dao
Land
Jahr
2002
Laufzeit
97 min
Genre
Bewertung
von Simon Staake / 14. November 2010

Diesem Film eilte bei der verspäteten Veröffentlichung auf DVD in diesem Jahr bereits ein imposanter Ruf voraus. In seiner Heimat Hongkong war "Ju Wian Do" alias "Infernal Affairs" 2002 DER Blockbuster des Jahres (weshalb innerhalb von einem Jahr ein Prequel und ein Sequel folgten), räumte im darauffolgenden Jahr beim Hongkong-Äquivalent des Oscars acht Trophäen ab, darunter fast alle Hauptpreise (u.a. bester Film, beste Regie, bestes Drehbuch) und gilt generell als der Film, der Ausgangspunkt einer Renaissance des seit Jahren eher stagnierenden Hongkong-Kinos werden könnte. In England überschlugen sich Kritiker mit Lob und zogen gar Vergleiche mit amerikanischen Gangsterfilm-Klassikern wie "Heat" (angesichts des Stils absolut naheliegend) und "Der Pate" (als Vergleichsmaterial eher abwegig).
Schluss mit den Fremdlorbeeren, her mit den eigenen: Ist "Infernal Affairs" so gut, wie einem suggeriert wird? Ist er. Die Regisseure Andrew (eigentlich Wei Keung) Lau und Alan (Siu Fai) Mak haben mit diesem Film einen Instant-Klassiker abgeliefert, der der beste, spannendste und abwechslungsreichste Genrefilm seit vielen Jahren ist. Klug und wendungsreich geschrieben, unnachahmlich gefilmt und perfekt gespielt - Hier gibt es aber auch gar nichts auszusetzen.

Am Anfang der Geschichte steht ein vermeintlich simples Konzept. Ein Polizist und ein Gangster. Beides sind Spitzel. Beide haben sich durch das jahrelange Aufhalten auf der anderen Seite des Gesetzes verändert. Da ist Detective Ming (Andy Lau), der junge aufstrebende Kommissar, der alles hat: die Karriereleiter im Polizeidienst im Eiltempo erklommen, eine intelligente, hübsche Frau - und eben einen Gangsterboss als heimlichen Mentor, der ihn noch vor der Polizeischule als Spitzel engagierte. Auf der anderen Seite ist Detective Yan (Tony Leung), der bereits seit fast zehn Jahren undercover als Handlanger diverser Gangsterbosse ist und allmählich die Verbindung zu seinem alten Leben verliert. Yans eigentlicher Boss ist Superintendent Wong (Anthony Wong), der Chef von Mings Abteilung. Er steht jedoch auf der Schmiergeldliste von Mings echtem Boss Sam (Eric Tsam), dem örtlichen Mafiaboss. Mehr darf man dann eigentlich auch nicht verraten, denn "Infernal Affairs" weiß aus dieser zwar faszinierenden, aber auch etwas bequem klingenden Prämisse einen erfreulich überraschungsreichen Thriller zu machen.

Wem also die Grundidee nicht sonderlich innovativ vorkommt, der möge sich im Verlauf des Films bekehren lassen von einem extrem wendungsreichen, dabei jedoch nie überkonstruiert wirkenden Skript von Mak und Felix Chong. Eine genial einfache Grundidee wird mit diversen unerwarteten oder zumindest so nicht- oder jetzt nicht-erwarteten Momenten umgeben, die einem zu keinem Augenblick ein "Ich weiß eh schon, wie es ausgeht" durch den Kopf schießen lassen. Auch altgediente Filmfreunde werden mit so manch unerwarteter Storywendung ihren Spaß haben.
"Infernal Affairs" lebt aber natürlich nicht in erster Linie von der Krimihandlung, die ist ‚nur' eine exzellente Projektionsfläche für den psychologischen Kampf zweier Menschen gegen den anderen, vor allem aber sich selbst. Beide Spione haben zu lange in einer fremden Identität gelebt, als dass sie sich noch über irgendetwas sicher sein könnten, erst recht nicht über die Schwarz-Weiß-Frage "Bin ich ein guter oder ein schlechter Mensch?". Ambivalenz wird in diesem Film sowieso ganz groß geschrieben, nichts ist einfach oder plakativ. Die eigentlich komplett im Schatten der Männerwelt stehenden Frauenfiguren ermöglichen Szenen, die ohne große Erklärung auskommen. Mings Frau schreibt einen Roman, dessen Hauptfigur ein Mann mit Persönlichkeitsspaltung ist - und meint doch ihren Mann. Yans Ex-Freundin vertut sich ‚versehentlich' beim Alter ihrer Tochter - und der Zuschauer weiß sofort, wessen Tochter sie ist.

Hongkong-Superstar Andy Lau leiht dem aufstrebenden Polizisten sein glattes Popstargesicht, dessen Emotionslosigkeit aber gut zur Figur passt. Und über Tony Leung als sein Gegenspieler muss man eh nicht mehr viel sagen. Dessen irgendwie immer melancholische Gesichtszüge (man denke da auch an seine Darstellung von "Zerbrochenes Schwert" in "Hero") passen perfekt zur Rolle des verwirrten Polizisten, der zu lange sein Leben für eine Scheinidentität aufgeben musste. Lau ist überzeugend, Leung ist großartig. Und die wenigen, aber tollen Szenen, die die beiden miteinander haben, lassen fast einen gewissen berühmten Kaffeeklatsch zweier Rivalen vergessen.
Dazu kommt ein absolut exzellentes Ensemble von Nebendarstellern, allen voran Anthony Wong als Polizeichef. Wie dieser mit Würde, Wärme und Witz unter der harten Fassade des Veteranen als Vaterfigur für Yan gezeichnet wird, das ist schon klasse. Sein Rededuell mit Mings etwas weniger konturiert gezeichnetem Ersatzvater Sam im Polizeirevier ist die spannende Begegnung zweier Hongkong-Veteranen in Höchstform. Intelligent auch, wie Mak und Lau das dem Film als Prinzip unterliegende Yin-Yang-Motiv nicht nur anhand der Hauptfiguren ausbauen, sondern auch anhand ihrer Bosse und Ziehväter.

Für die Umsetzung der Geschichte muss man wieder zu Superlativen greifen, denn die Kombination aus Kameraarbeit, Bildkomposition und Musikuntermalung ist perfekt. Fast jedes Bild möchte man anhalten, um es länger zu genießen, und die Atmosphäre ist fantastisch dicht. Wer Filme in ihrer Reinform wirklich liebt, der wird auch diesen Film lieben. Denn anders als viele andere Filmemacher aus Hongkong macht das Regieduo nicht den Fehler, Stil als Platzhalter von Substanz zu nehmen, sondern mit einem unnachahmlichen visuellen Auge setzen sie eine substantielle Geschichte großartig um.
Dementsprechend bleiben auch allzu selbstverliebte Spielereien und visuelle Mätzchen nur um ihrer selbst willen außen vor und die tollen Bildkompositionen stehen immer im Dienst der Geschichte. Dadurch fehlen auch zu erwartende money shots, andererseits könnte man ob der visuellen Brillanz natürlich argumentieren, dass der sämtliche Film ein einziger money shot ist. Die set pieces stehen im Rahmen von Spannung und Suspense im Hitchcock-Stil (denn hier weiß der Zuschauer zumindest anfänglich auch immer mehr als die Protagonisten). Zumindest gibt es aber keine klassischen ausgedehnten Schießereien im "Bloodshed"-Stil, und generell werden Gewalteinlagen kurz und bündig gehalten. Der kurze, aber famose Shoot-Out in der Mitte des Films reißt gerade durch seine kompakte Inszenierung umso mehr mit.
Dennoch ist dies psychologisches Drama und spannender Thriller, kein Actionfeuerwerk. Und tritt trotzdem Rest-Hongkong kräftig in den Allerwertesten, von Hollywood mal ganz zu schweigen. Und der Schlussmoment allein sagt in vielleicht zehn Sekunden mehr als manch amerikanischer Streifen in anderthalb Stunden, und lässt einen bewegt (und mit einigen Fragen) zurück.

Die Rechte an "Infernal Affairs" hat dem Vernehmen nach übrigens Martin Scorsese erstanden, um den Film im nächsten Jahr mit seinem neuen Lieblingsschauspieler Leonardo DiCaprio für den amerikanischen Markt neu zu verfilmen. Bei aller Liebe zu dem großen Marty und der Freude, eine gute Geschichte auch noch ein zweites Mal zu sehen: Das Original wird er nicht erreichen können. Denn so wie er ist, ist "Infernal Affairs" ein Film, der nicht verbesserungsfähig scheint. Ein cineastisches Erlebnis, dass einen auch lange nach dem Abspann nicht loslässt.


10
10/10

hallo ,
suche einen der soundtracks des films infernal affairs, ist leider nicht auf der soundtrack CD zum film enthalten:
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das Lied welches gespielt wird, als Yan am Anfang Lau die sündhaft teure Anlage verkaufen will?
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ist für mich das beste aus dem ganzen film, würde mich freuen wenn mir hier jemand helfen kann.
dankeschön

Koubi

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5
5/10

Ich verstehe den Hype um diesen Film nicht, und erst recht nicht den Inhalt der Rezension - im Prinzip hat diese nichts mit "Infernal Affairs" zu tun. Ok, er ist recht gut gefilmt, stellenweise sogar exzellent. Aber sonst? So gut wie keine Charakterzeichnung, nicht eine einzige Figur hat eine Motivation für ihre Handlungen. Keine Hintergründe, keine Entwicklung. Der "Mafia"-Boss ist eine leere Figur, ein Statist. Woher kommen die beiden Hauptfiguren? Wieso sind sie in ihrem Job, was treibt sie an, und warum machen sie das überhaupt noch? Kein Wort, null.

Hält man jetzt mal die Scorsese-Variante dagegen, weiß man, wie es richtig gemacht wird und warum man ihm einen Oscar dafür verliehen hat.
Departed ist das, was Infernal Affairs (vielleicht) sein wollte - hier ist die "Kopie" (eher Neuerfindung) mal um Welten besser als das Original.

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