Sie hatten es sich so schön vorgestellt: Matthias (Sebastian Fräsdorf), seine Freundin Camille (Alice Pehlivanyan) und deren Sohn Etienne wollen den Sommer über im Ferienhaus von Matthias' Eltern an der französischen Atlantikküste entspannen. Doch als unerwartet Matthias' Bruder David (Godehard Giese) und seine Freundin Lena (Karin Hanczewski) auftauchen, um ebenfalls dort Urlaub zu machen, ist es schlagartig vorbei mit der Ruhe. Offenbar hat die terminliche Absprache der beiden Brüder über die Nutzung des Ferienhauses nicht geklappt – und wie sich bald herausstellt, ist auch sonst kommunikativ zwischen den beiden einiges im Argen. Der gestresste Banker David macht nach seiner Ankunft seinem Bruder jedenfalls schnell klar, dass fortan andere Regeln im Haus gelten: Das nervige Kind muss weg, sofort. Matthias soll sein Zimmer räumen und David überlassen. Und überhaupt muss der Rasen endlich mal wieder gemäht werden! Während Matthias zunächst jeden Konflikt vermeiden will und sich den Launen seines Bruders fügt, geht Camille von Anfang an auf Konfrontationskurs. Und so beginnt für die beiden Paare ein gemeinsamer Urlaub, der vieles zu versprechen scheint – bloß keine Entspannung.
In der ersten Viertelstunde des Films macht Tom Sommerlatte bei seinem Regiedebüt alles richtig. In nur wenigen Szenen gelingt es ihm, seine Figuren treffend zu charakterisieren. Zum Beispiel genügen ihm wenige Sätze und ein Laptop, den Lena unerwartet in Davids Gepäck entdeckt, um die Beziehung der beiden herauszuarbeiten: Während Lena auf einen ruhigen, romantischen Urlaub gehofft hat, hat David andere Prioritäten und kann die Arbeit einfach nicht zuhause lassen. Als er wenig später versucht, auf dem Balkon ein Buch zu lesen, während Matthias und Camille durch den Pool toben, bezeichnet er die beiden verächtlich als „Proleten“. Sehr schnell wird deutlich, dass David nur wenig Respekt für seinen Bruder hat, dem er vorwirft, sich sein Lotterleben vom Vater finanzieren zu lassen, während er selbst hart arbeite.
Mit nur fünf Darstellern und dem Ferienhaus als einzigem Schauplatz ist „Im Sommer wohnt er unten“ ziemlich minimalistisch gehalten, was bei einem Erstlingsfilm verständlich ist. So kann nicht nur das Budget niedrig gehalten werden, es bietet dem Regisseur auch die Möglichkeit, sich ganz auf seine Darsteller zu konzentrieren. Und die machen ihre Sache sehr gut, teilweise sogar hervorragend. Godehard Giese ist als spießiger, versnobter Banker so gut, dass es richtig Spaß macht, ihn zu hassen. Natürlich steckt in David weit mehr, als es anfänglich den Anschein hat, und auch die später zum Vorschein kommende andere Seite seiner Figur bringen sowohl das Drehbuch als auch Gieses Schauspiel glaubwürdig zum Vorschein. Sebastian Fräsdorfs zunächst passiv agierender Matthias bildet den notwendigen ruhigen Gegenpol zu David und Alice Pehlivanyan hat in der Rolle der (klischeehaft?) temperamentvollen Französin Camille sichtlich Spaß. Am wenigsten Eindruck hinterlässt Karin Hanczewski als Davids Freundin Lena, was aber weniger der Darstellerin anzulasten ist, als vielmehr der Tatsache, dass Lena als Figur nur durch ihre Erwartungen an David definiert wird. Trotzdem gibt es schauspielerisch hier eigentlich nichts zu meckern.
Eine höhere Wertung ist trotz der großartigen Schauspielleistungen ganz einfach deswegen nicht drin, weil dem Film mit zunehmender Laufzeit etwas die Puste ausgeht. So schwungvoll das alles losgeht und so treffend die Charakterisierungen zu Beginn auch sind, nach und nach geht die anfänglich so hohe Dynamik des Films leider flöten. Zwar wird im Laufe der Handlung klar, dass die Konfliktlinien doch nicht so eindeutig sind wie sie zunächst zu sein scheinen. Doch wirklich überraschen können diese Entwicklungen nicht und die Beschränkung auf lediglich einen Schauplatz bringt nicht nur Vorteile mit sich. Ein vorrübergehender Szenenwechsel hätte vielleicht etwas Abwechslung in den Film bringen können.
Wenn auch der dramaturgische Spannungsbogen also nach hinten etwas schlingert, so gelingt es Sommerlatte dennoch, einen detaillierten, fast schon soziologischen Blick auf die Beziehungen zwischen den Charakteren zu werfen. In zahlreichen gelungenen Szenen arbeitet der Film die Machtverhältnisse und die sich daraus ergebenden Konflikte heraus. Das hat immer wieder großes komödiantisches Potential – und es gibt hier auch durchaus etwas zu lachen – aber der Humor ist ein eher leiser und liegt vor allem in der Alltäglichkeit der gezeigten Situationen, was auf jeden Fall eine Stärke des Films ist. „Im Sommer wohnt er unten“ ist also ein sehenswerter Film mit starken Schauspielleistungen, der einen bereits jetzt gespannt auf zukünftige Werke des Regisseurs warten lässt. Für wen das noch nicht ausreichend Argumente für einen Kinobesuch sind, dem sei noch gesagt, dass das Setting des Films wunderbare Sommerstimmung verbreitet. Und davon kann man in einem trüben Herbst doch immer eine Dosis brauchen.
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