So
lange sie denken kann, lebt Nina (Julia Hummer) bei Pflegeeltern
oder in Heimen. Nun ist sie in einem Projekt "Betreutes Wohnen"
untergebracht und muss mit ihren Mitbewohnern die Berliner Parks
vom Müll befreien. Dabei sieht sie, wie die heimatlose Toni
(Sabine Timoteo) von zwei Jungen geschlagen wird. Als Toni später
beim Stehlen erwischt wird, hilft Nina ihr und lädt sie zu
einem Frühstück ein. Nina vertraut sich der älteren
und erfahrenen Toni an und beschließt mit ihr zusammen abzuhauen.
Denn Toni erzählt von Castings, bei denen man entdeckt werden
kann...
Zeitgleich läuft die Französin Francoise (Marianne Basler)
durch Berlins Straßen, während ihr Mann Geschäftsterminen
nachgeht. Sie kehrt zu dem Supermarkt zurück, an dem vor vielen
Jahren ihre dreijährige Tochter Marie entführt wurde.
Seit diesem Tag sucht Francoise überall nach ihrem verschwunden
Kind. Sie gibt die Hoffnung nicht auf, Marie eines Tages wieder
zu finden. Dann begegnet sie Nina vor einem Kaufhaus und glaubt,
endlich vor ihrer Tochter zu stehen.
Die Inspiration zu "Gespenster" erhielt Regisseur und
Autor Christian Petzold ("Die innere
Sicherheit") durch die Phantombilder, die von verschwundenen
Kleinkindern angefertigt werden. Am Computer werden ihre Gesichter
konstruiert, so wie sie zehn oder zwanzig Jahre später aussehen
können: Es sind Bilder von Menschen ohne Seele und ohne Geschichte,
sie sehen aus wie Gespenster.
Und
diese "Gespenster" beschreibt Petzold in seinem neuen
Film: Drei Frauen ohne Hoffnung und ohne Halt. Zum einen Nina, die
ihr Leben nicht erträgt, dann Toni, die nur für den Moment
lebt, und zuletzt Marie, die einer Verlorenen nachtrauert. Sie sind
ohne emotionale Heimat und keine soziale Definition würde auf
sie zutreffen. Sie haben weder einen Ort noch einen Menschen zu
dem sie gehören. Da sie keine Hoffnungen auf die Zukunft setzen,
vertrauen sie blind auf das, was gerade kommt.
So geisterhaft, wie die Figuren gezeigt werden, verläuft auch
ihr Umgang. Nina und Toni besprechen keine Pläne oder reden
über ihre Gefühle, sie schauen sich nur an und wissen,
was sie tun werden. Nina bewundert, dass Toni frei von Zwängen
ist und jeden Tag neue Dinge erlebt. Bereitwillig, aber trotzdem
voller Angst und Zweifel, lässt sie sich auf sie ein. Die plötzliche
entstehende, intensive Beziehung zwischen Nina und Toni ist der
Versuch von beiden, das Vertrauen und die Intimität zu bekommen,
die sie so ungern hergeben. Ihre Unnahbarkeit schlägt von einer
Sekunde zur anderen in Sehnsucht und Nähe um, aber der Moment
verflüchtigt sich so schnell, wie er gekommen ist.
Während
des ganzen Filmes ist die Kamera lediglich der Beobachter, der weit
weg zu stehen scheint, und dabei den Charakteren umso näher
kommt. So kann der Zuschauer selbst entscheiden, auf welche Figur
er sich einlässt, wem er vertrauen würde und wessen Gefühle
er am besten teilt. Diese Freiheit für das Publikum gibt ihm
die Chance, sich voll in die Figuren zu vertiefen. Und da sich die
Handlung erst allmählich aufbaut, merkt man gar nicht, wie
man im Strudel mitgerissen und für den Film eingespannt wird.
Das lässt man deshalb so gerne mit sich machen, weil die Darsteller
einfach toll sind: Intensiv, glaubhaft und trotzdem überraschend.
Dank der vielen starken Momente geht einem die Geschichte ganz nahe.
Da während der ganzen Zeit die Hoffnungslosigkeit im Raum steht
und man sich des seelischen Abgrunds, an dem sich die Figuren bewegen,
stets bewusst ist, ist der Film traurig und macht am Ende ziemlich
kleinlaut.
Aber "Gespenster" ist nicht nur ein beklemmendes Sozialdrama,
sondern er beschreibt auch ganz allgemein die Suche und die Sehnsucht
nach Halt, die jedem von uns tief in der Seele steckt. Und deshalb
ist "Gespenster" vor allem packendes Gefühlskino,
das einen nicht loslässt und bis zur letzten Minute berührt.
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