
Der Prototyp einer glücksseligen Szene:
Vier chinesische Damen sitzen an einem runden Tisch und spielen
Mahjong. Ihre Finger flitzen über den Tisch und greifen nach
den Steinen so schnell, dass sich die Spielobjekte fast von alleine
aufbauen. Der Schnelligkeit dieses Vorganges setzt die Kamera die
Gesprächsfetzen
der Konversation zwischen den Frauen gegenüber. Scheinbar ist
es nur belangloses Geplauder wie: "Heute ist Reis wichtiger
als Gold geworden" und "Diese dummen Japaner wissen nicht,
dass es über ihrem Kaiser noch einen anderen Himmel gibt".
Doch dann gibt es immer wieder diese spürbaren aber keinesfalls
auffälligen Momente der Verwirrung und der Irritation. Ein
kurzes Innehalten, ein nervöser Seitenblick. Hat sie das gerade
wirklich gesagt? Meint sie das ernst? Eine unsagbar subtile und
geheimnisvolle Atmosphäre der Spannung legt sich über
diese ausgezeichnet gefilmte und geschnittene Szenerie, die jede
falsche Regung zu enttarnen droht. Und enttarnen kann lebensgefährlich
sein, im von faschistischen Japan besetzten China während des
Zweiten Weltkrieges.
Genau zu dieser Zeit spielt Ang Lees neuster Film "Gefahr und
Begierde". Shanghai 1942: An der Universität beschließt
eine kleine Truppe von patriotischen Studenten - alle samt Mitglieder
einer Theatergruppe - nicht mehr nur passiv durch ihre Kunst Widerstand
zu leisten, sondern aktiv. In den Semesterferien wollen sie den
Kollaborateur Herr Yee (Tony Leung) umbringen und somit ihren Dienst
für das okkupierte Vaterland leisten. Doch es ist nicht einfach
an den hochrangigen Yee zu kommen. Die schöne Wang Jiazhi (Wei
Tang) soll als Lockvogel
herhalten und Herrn Yee verführen, um ihn dann der Gruppe auszuliefern.
Der Plan geht schief, die Gruppe zerfällt. Vier Jahre später,
in Hongkong, bietet sich Wang Jiazhi wieder die Möglichkeit,
Yee zu erledigen, doch dieses mal kämpft sie nicht mit äußeren
Barrieren sondern mit inneren. Denn Herr Yee ist ihr längs
nicht mehr so egal wie vor vier Jahren.
Mit seinem letzten Film "Brokeback
Mountain" sorgte der in den USA lebende Taiwanese Ang Lee
für eine Kontroverse - und bewies erneut, dass er zu den besten
und akribischsten Filmemachern unserer Zeit gehört, was endlich
auch mit dem Regie-Oscar belohnt wurde. Zwar stammt er aus Taiwan,
doch unterscheiden sich seine Filme grundsätzlich von denen
seiner Landsmänner, wie Hou Hsiao Hsien, Edward Yang oder Tsai
Ming-Liang. Wo diese die prekäre politische Situation ihres
Landes in ihren Werken anprangern, verfolgte Ang Lee von Anfang
an eine ganz andere thematische Linie. Ob "Eat, Drink, Man,
Woman", "Sinn und Sinnlichkeit", "Der Eissturm",
"Tiger & Dragon"
oder "Hulk" - in all seinen
Filmen betrachtet Ang Lee die Schwierigkeiten beziehungsweise die
Unmöglichkeit der Liebe. Dabei beobachtet der 53-jährige
nicht nur die Extreme der Liebe, wie ihren völligen Verlust
("Der Eissturm")
oder ihren freudigen Überschwang vor der unweigerlichen Katastrophe
("Brokeback Mountain"). Selbst die feinen zwischenmenschlichen
Nuancen einer Beziehung werden unter seiner Führung sichtbar.
So wurde aus der Comicverfilmung "Hulk" kein Unterhaltungsfilmchen,
sondern viel mehr ein Porträt zweier erwachsener Kinder, die
von Egomanen großgezogen worden sind und nach der verlorenen
Liebe ihrer Eltern verlangen.
Auch in "Gefahr und Begierde" geht es um die amourösen
Gefühle von Wang Jiazhi, die zuerst unbedarft und aus jugendlichem
Leichtsinn der Theatergruppe beitritt, um dann in ihrer Rolle der
Verführerin völlig aufzugehen. Sie spielt zunächst
die Leidenschaft und merkt nicht, dass der Moment des Spiels, des
Scheins und der Illusion schon längst nicht mehr existiert.
Das geniale an Ang Lees neuster Regieleistung ist dabei die differenzierte
und ausgeklügelte Bildersprache. Er spielt mit expliziten Bezügen
zum Film Noir, lässt ominöse Schatten auf die Gesichter
der Protagonisten fallen und erschafft somit eine wahre Poesie der
Blicke. Gesten und Körper werden durchleuchtet. Auch die Sexszenen,
die im Vorfeld für einen kleinen Eklat gesorgt hatten und dazu
führten, dass der Film nur in einer gekürzten Fassung
in den USA auf den Markt kam, sind wirklich harmlos und weniger
schockierend
als unglaublich berührend. Die Körperlichkeit wird zum
zentralen visuellen Thema in "Gefahr und Begierde". Sie
wird zum Ventil der ständigen Bedrohung und Anspannung der
Figuren. Besonders deutlich wird dies, wenn Wang Jianzhi einem Offizier
erzählt, was mit ihr passiert, wenn sie mit Yee schläft.
"Wie eine Schlange kriecht er in mein Herz", sagt sie
und der Offizier kann nicht länger zuhören. Er weist sie
zurecht und verlässt sofort den Raum.
Wieder beweist Lee, dass er ein Meister ist, wenn es darum geht,
Geschichten und von Menschen nur durch die Bilder zu erzählen.
Überhaupt besticht dieser Film durch seine ausstatterische
Kargheit und erinnert dadurch an Carol Reeds Noir-Klassiker "Der
dritte Mann". Die Straßen Shanghais sind fast immer leer.
Das ist gespenstisch und doch kann man seinen Blick nicht von der
Leinwand nehmen. Erlesene Szenen, wie die beim Mahjong spielen,
sind so virtuos inszeniert, dass man diesen Frauen am liebsten tagelang
dabei zu sehen würde.
Der einzige kleine Kritikpunkt an diesem Epos ist seine Dauer. Aus
den zweieinhalb Stunden hätte man getrost eine halbe Stunde
herausstreichen können. Doch auch das stört den Eindruck
nur wenig. Neben der klaren Schauspielführung und dem tollen
Drehbuch ist auch der Blick in das China während des Zweiten
Weltkrieges sehr interessant und in dieser Breite einmalig. Nicht
umsonst wurde Ang Lee jedenfalls nach "Brokeback Mountain"
auch für "Gefahr und Begierde" mit dem Goldenen Löwen
der Filmfestspiele von Venedig ausgezeichnet, beweist er hier doch
erneut und eindrücklich sein unglaubliches Können.
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