
Dass ein ganzes Dorf innerhalb kürzester Zeit der Hysterie verfallen kann, zeigt der dänische Regisseur Thomas Vinterbergs mit „Die Jagd“ dem Publikum eindringlich. Wie auch in seinem ersten und bisher wichtigsten Film „Das Fest“, mit dem Vinterberg in Cannes 1998 die Goldene Palme gewann, ist auch hier das Thema Pädophilie, allerdings aus der Perspektive eines Mannes, der unschuldig ist, was ihm aber niemand glauben will. „Die Jagd“ ist zwar ein guter Film, besonders aufgrund der fantastischen schauspielerischen Leistungen und der Kameraarbeit, doch mal wieder nicht das neue Meisterwerk nach „Das Fest“, auf das die Kritiker bei jedem neuen Film Vinterbergs hoffen.
Lucas (Mads Mikkelsen) ist glücklich: Er arbeitet seit neuestem als Erzieher im Kindergarten, seit er seine Stelle als Lehrer verloren hat. Nach seiner Scheidung zeichnet sich eine neue Liebe am Horizont ab und auch sein Sohn soll bald wieder bei ihm leben. Die Kindergartenkinder lieben ihn, allen voran die kleine Klara (Annika Wedderkopp). Doch als Klara ihm ihre Liebe zeigen will und er sie sanft zurückweist, kommt sie nicht damit zurecht und sagt der Kindergartenleiterin, Lucas hätte ihr sein erigiertes Glied gezeigt. Da ihr Bruder ihr am Vortag ein solches auf seinem iPad gezeigt hat, kann sie es sogar beschreiben. Ihre Lüge wird geglaubt und bald wendet sich nicht nur das Dorf gegen Lucas, sondern auch seine langjährigen Freunde und Verwandten.
Vinterberg verharmlost Pädophilie hier nicht und verweilt nicht zu lange damit, dass das Mädchen hier zum Täter wird. Klara versteht nicht so richtig, was sie angestellt hat und als sie versucht, alles wieder gut zu machen und ihre Lüge zugibt, glaubt ihr trotzdem niemand, dass nichts passiert ist. Eine überforderte Psychologin, die es gut meint, führt dazu, dass die anderen Eltern auch plötzlich glauben, dass ihre Kinder alle Anzeichen von Trauma zeigen und so wird der vermutete Einzelfall zur von allen geglaubten Tatsache.
Vinterberg zeigt kein Gerichtsverfahren, sondern konzentriert sich hier komplett auf die Interaktion zwischen Dorf, Freunden und Familie mit dem angenommenen Täter. Für den Zuschauer kaum aushaltbar, versucht Lucas lange, sich ruhig zu verhalten und abzuwarten, bis sich alles aufgeklärt hat, doch wird er so lange mit Anschuldigungen und Gewalt konfrontiert, bis sogar dieser freundliche und liebevolle Erzieher ausrastet.
Der in Cannes 2012 mit dem Preis für den Besten Schauspieler ausgezeichnete Mikkelsen ist der Grund, weswegen man „Die Jagd“ sehen sollte. Auch Wedderkopp ist als überforderte Klara wunderbar. Doch ihre Geschichte an sich ist erzählerisch einfach gestrickt und auch die Zeichnung der Figuren eher klischeehaft. Dafür sind immerhin die Bilder des winterlichen Dänemarks herausragend.
Der facettenreiche Mikkelsen spielt übrigens bald eine nicht ganz so unschuldige Rolle: Er verkörpert ab April 2013 im amerikanischen Fernsehen die Figur des Hannibal Lecter in der NBC-Serie „Hannibal“.
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